| # taz.de -- Nachruf auf Frank Schirrmacher: Schreiben als Waffe | |
| > In seinen Texten zeigte er sich gut gepanzert. Jenseits aller | |
| > Weltwichtigkeiten, die ihn umtrieben, konnte Frank Schirrmacher | |
| > sentimental werden. | |
| Bild: Frank Schirrmacher, 1992, in seinem „FAZ“-Büro. | |
| Er konnte bewegende Nachrufe schreiben. Sein Stück über den Tod Marcel | |
| Reich-Ranickis etwa, dem er einst als Literaturchef der FAZ nachgefolgt | |
| war, bevor er deren Mitherausgeber wurde, war ein Drahtseilakt und große | |
| Kunst. Die ganze Zumutung des Todes steckte darin und viel von dem Drama an | |
| Streitpunkten und Versöhnungen, das diese beiden Alphatiere des deutschen | |
| Feuilletons verband. Das Leben als Drama, darunter machte es Frank | |
| Schirrmacher sowieso nicht. | |
| Einen sehr schönen Nachruf hat Frank Schirrmacher aber vor gut einem Jahr | |
| auch auf Otfried Preußler verfasst, den Erfinder der „Kleinen Hexe“ und des | |
| „Räuber Hotzenplotz“. Auch dieses vermeintliche Nebenstück wird in | |
| Erinnerung bleiben, wie so vieles von diesem Journalisten, der einen immer | |
| wieder in Erstaunen versetzen konnte, im Positiven wie dann doch auch im | |
| Fragwürdigen. | |
| Und weil es bei diesem Kinderbuchautor jetzt nicht um Weltwichtigkeiten | |
| ging, wie sie ihn meistens umgetrieben haben, konnte er darin ein bisschen | |
| sentimental werden – was sehr berührend wirkte, vor allem aber auch eine | |
| Art Seiteneingang in sein Denken gewährt. | |
| Eine Eingangstür, die vielleicht weniger prunkvoll auftrumpft wie die | |
| großen Debattenfelder rund um die alternde Gesellschaft, die wildgewordene | |
| Ökonomie und die Gefahren des Internet, die Schirrmacher als Feuilletonist | |
| wie als Sachbuchautor („Das Methusalem-Komplett“, „Ego“) so wirkmächtig | |
| beackert hat. Die Tür, die es aber immerhin auch gibt. | |
| ## Eine Kulturgeschichte Deutschlands seit 1968 | |
| An Otfried Preußler hat Frank Schirrmacher vor allem die Magie der Sprache, | |
| ihre Zauberkraft fasziniert. Er beschreibt, wie es Preußler gelingt, durch | |
| die Aura von Namen und Begriffen – „Abraxas“, „Wachtmeister Dimpfelmose… | |
| „Buxtehude“ – das „Abwesende und Versunkene“ der Kindheit wieder | |
| heraufzubeschwören. Er ist fasziniert davon, wie sich Preußler damit als | |
| Autor selbst erfindet. Und es findet sich in diesem Nachruf einer dieser so | |
| überraschenden wie unbeirrbar dastehenden Schirrmacher-Sätze, von denen man | |
| oft gar nicht so genau weiß, wo sie herkommen: „Die großen | |
| Kinderbuchautoren legen mit ihren Geschichten einen Kreis um das Ich.“ Da | |
| ist der Seiteneingang. Diesen Satz hat Frank Schirrmacher auch über sich | |
| selbst geschrieben. | |
| Wie man mit Sprache Dinge tut und sich selbst erfindet, das hat ihn seit | |
| seinen Anfängen bis zu seinem so überraschenden Tod am Donnerstag dieser | |
| Woche im Alter von 54 Jahren interessiert. Nein, nicht nur interessiert. Er | |
| hat es betrieben. So ausgiebig, dass man mit dem Kreisen von Geschichten, | |
| die er in den vergangenen Jahrzehnten um sein Ich gelegt hat, eine | |
| Kulturgeschichte Deutschlands seit, na, 1968 erzählen kann. | |
| In seinen Anfängen in den Achtzigern fand er mit geradezu brutaler | |
| Präzision die Thesen und Begriffe, mit denen er sich selbst als Autor | |
| erfinden konnte. Während sich um ihn herum die kritischen Intellektuellen | |
| mit Poststrukturalismus und Ästhetik beschäftigten und die Rede in der | |
| Kultur sich um „Bewahrung“ zu drehen begann, ging er die Platzhirsche der | |
| Kulturlandschaft wie Günter Grass und Christa Wolf bald frontal an. | |
| ## Wirksamkeit im Diskurs | |
| Der Punkt war nicht nur, dass er dabei Elemente eines damals als rechts | |
| verschrienen, „gefährlichen Denkens“ etwa von Ernst Jünger und Stefan | |
| George reaktivierte. Der Punkt lag vielmehr in der Leidenschaft und | |
| Vehemenz, in der er auftrat. Wer auf seine literaturkritischen Prunkstücke | |
| mit dem gelassenen Setzen auf das bessere Argument reagierte, hatte wenig | |
| verstanden. | |
| Es war damals die Zeit, als gehobene Feuilleton-Autoren sich erst einmal in | |
| Ruhe ein gutes Mittagessen im Restaurant bestellten, bevor sie sich ans | |
| Verfassen einer Glosse oder einer Kritik setzten. Bei Schirrmacher aber | |
| wurden die Argumente, statt abgewogen zu werden, eher auf ihre Wirksamkeit | |
| im Diskurs – mit Blick auf den Preußler-Nachruf gesprochen: auf ihre | |
| Zauberkraft – ausprobiert und angewendet: Schreiben ist für ihn immer auch | |
| ein Waffengang gewesen. | |
| Hauptsächlich ging es dabei um Geschwindigkeit und um das Erhaschen des | |
| Momentums. Das Junggenialische an ihm – während zeitgleich der Begriff des | |
| Alt-68ers gesellschaftlich populär wurde – war Teil des Faszinosums. Erst | |
| wurde mit ihm in der FAZ die Generation der 68er übersprungen. Dann hat er, | |
| zusammen mit den damaligen Jungfeuilletonisten Gustav Seibt, Jens Jessen | |
| und Patrick Bahners, die alte Garde um seinen bürgerlichen Mentor Joachim | |
| Fest einfach überrannt. | |
| ## Die feuilletonistische Allzuständigkeit | |
| In Herlinde Koelbls berühmter Fotoarbeit „Spuren der Macht“ kann man in | |
| Schirrmachers Gesicht sehen, dass das Verhärtungen verursacht und Kraft | |
| gekostet haben muss. In seinen Texten dagegen zeigt er sich stets gut | |
| gepanzert. Bevor die Zeitungskrise ausbrach, konnte man Schirrmacher genau | |
| einmal beim Bewahrenwollen erwischen. Ende der neunziger Jahre, als die FAZ | |
| die Hörfunkprogramme abdruckte und Schirrmacher damit programmatisch | |
| „Lampions anzünden“ wollte. Da hat er eben auch mal diese Diskursform | |
| ausprobiert. | |
| Kurz darauf, am 27. Juni 2000, aber hat er statt Lampions lieber diskursiv | |
| Atombomben gezündet. Das FAZ-Feuilleton räumte er in Gänze frei, um die | |
| komplette, gerade eben von Craig Venter entschlüsselte Genomsequenz | |
| abzudrucken. Eine ungeheure Debatte um einen erweiterten Kulturbegriff | |
| setzte ein, den Schirrmacher immer weiter ausbaute – so wie er der alten | |
| Bundesrepublik in die Berliner Republik entkommen wollte, wollte er dem | |
| bildungsbürgerlichen Kulturbegriff in eine feuilletonistische | |
| Allzuständigkeit entkommen. | |
| Damals war Schirrmacher auf dem Höhepunkt seiner genuinen Macht. Die FAZ | |
| hatte Geld wie Heu und genug Seiten und Stellen, um Experten sowie | |
| Gegenexperten zu allen möglichen Debatten zu Wort kommen zu lassen. Nur die | |
| Frage, ob Schirrmacher damals die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts | |
| nun feiern oder vor ihren Folgen warnen wollte, blieb seltsam offen. Und | |
| seitdem die Werbeeinnahmen für die FAZ nicht mehr sprudelten, hat sich auch | |
| etwas Kassandrahaftes in seine Texte eingeschlichen. Immer sind „wir“ – | |
| Schirrmacher schrieb zuletzt meist in dieser so wuchtigen wie | |
| unverbindlichen Wir-Perspektive – vom Untergang bedroht. Immer müssen „wir… | |
| uns auf etwas besinnen. | |
| ## „He was a man, take him for all in all“ | |
| Nicht mit differenzierten Analysen, sondern mit solchen großen rhetorischen | |
| Gesten hat Schirrmacher Themen gesetzt: zuletzt, mit viel Neugier und | |
| vielleicht auch einer Art Angstlust betrieben, die Veränderungen des | |
| menschlichen Denkens und Handelns durch das Internet. Was ihm einen | |
| gehörigen Transfer von kulturellem Kapitel seitens der kritischen | |
| Computerszene beschert hat. Und der FAZ-Leserschaft einen Anschluss an die | |
| Debatten der Zeit. Neben inhaltlichem Gewinn hat Schirrmacher so über die | |
| Jahre einfach auch Neugier aufs Zeitungslesen erzeugt, und schon das ist | |
| eine gehörige Leistung: Man wollte schlicht wissen, was er jetzt schon | |
| wieder für eine Debatte angezettelt hat. | |
| Manchmal hilft nur Shakespeare weiter. „He was a man, take him for all in | |
| all“, heißt im „Hamlet“. Wer Schirrmacher gerecht werden will, muss das | |
| alles sehen: seine diskursive Wucht und rhetorische Kraft, seine | |
| Gründungslust, die etwa in den inzwischen legendären „Berliner Seiten“ der | |
| FAZ und der FAS mündeten, wie seinen dann letztlich doch in all seinen | |
| Debatten wiederholenden intellektuellen Gestus, der – tut mir leid – stets | |
| mindestens so sehr an Macht wie an Aufklärung orientiert war. | |
| Er hat so viele Talente; rhetorische, intellektuelle. Aber er wollte immer | |
| handeln mit seinen Worten: sich behaupten, Meinungsführerschaft | |
| durchsetzen, Gegner bekämpfen. Und oft wollte er die Magie der Worte auch | |
| erzwingen. An so etwas wie soziale Aushandelsprozesse, intersubjektive | |
| Diskurse und gegenseitige Selbstaufklärung des Publikums hat er nicht | |
| geglaubt. Auch seine zuletzt Aufsehen erregende Hinwendung zur linken | |
| Gesellschaftskritik unter dem Titel „Ich beginne zu glauben, dass die Linke | |
| recht hat“ klang in meinen Ohren jedenfalls ziemlich autoritär. Aus dem | |
| Machtkreis, den er um sein Ich gelegt hat, kam er nicht heraus. | |
| Oder vielleicht doch, manchmal, wer weiß das schon. Wenn er an Abwesendes | |
| und Versunkenes dachte. | |
| 13 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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