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# taz.de -- Bunte Republik Neustadt: Mickymaus im Ährenkranz
> Mitten in Dresden existiert ein Scheinstaat mit eigenen Pässen. Zu seiner
> Geburtstagsfeier kommen auch Vertreter aus anderen Mikronationen.
Bild: Archivarin der Mikronation: Anett Lentwojt mit BRN-Flagge.
DRESDEN taz | Mirko Sennewald sieht mit seinen langen schwarzen Haaren, dem
schwarzen Samtstirnband und der immer schwarzen Kleidung nicht aus wie ein
Staatsmann. Trotzdem ist er einer. Er ist „informeller Hobby-Außenminister“
der Mikronation [1][Bunte Republik Neustadt] (BRN), die Anspruch auf einen
reichlichen Quadratkilometer erhebt, der in den Grenzen von Dresdens
hübschem Gründerzeitviertel Äußere Neustadt liegt.
Die BRN ist ein Scheinstaat, mit eigener Verfassung, mit Reisepass,
Satire-Zeitung und seit Kurzem sogar mit eigenen Briefmarken. Ihr
Kennzeichen ist eine schwarz-rot-goldene Flagge mit Mickymauskopf, umrahmt
von einem Ährenkranz. Sie ahmt die Struktur der Gesellschaft nach, in der
sie existiert, und nimmt sie gleichzeitig auf den Arm.
Eine der bekanntesten Mikronationen der Welt ist die [2][Freistadt
Christiania] in Kopenhagen, die, im Gegensatz zu so ziemlich allen anderen,
von der dänischen Regierung immerhin als autonome Kommune geduldet wird.
Ganz so ernst meint es die Dresdener BRN nicht. In ihrer „(Un)Verfassung“
steht, dass die Regierung „nichts verspricht, außer der Fortführung des
guten und schlechten Wetters unter allen Bedingungen sowie harten
Widerstand gegen Spekulation, Mietwucher, Zerstörung und Vertreibung der
Bewohner der BRN.“
Die Bewohner, das sind die mehr als 17.000 Stadtteilbewohner, zumindest
könnten sie es sein. Bisher haben sich allerdings weniger als ein Prozent
dazu bekannt und einen entsprechenden Zweitpass beantragt. Die Bunte
Republik Neustadt hat ein PR-Problem in der realen Welt, die sie umgibt.
Und das eigentlich schon, seitdem sie gegründet wurde.
An 362 Tagen im Jahr führt sie ein Schattendasein, lebt im Dunkel eines
kleinen Neustädter Museums, das vor allem die anarchischen Anfänge auf
vielen Schwarzweißfotos konserviert. Sie überlebt, weil sie einmal im Jahr
ihren Geburtstag feiert; ein dreitägiges Stadtteilfest mit geschätzten
150.000 Besuchern – offizielle Zahlen gibt es nicht, weil es keinen
einzelnen Veranstalter gibt, sondern jeder seinen Stand selbst anmeldet.
Nur wenige, auch von den Bewohnern der Neustadt, dürften wissen, was sie da
feiern. Gerade ging der 24. Republikgeburtstag zu Ende und wie jedes Jahr
errichteten auch ein paar befreundete Mikronationen ihre Botschaften auf
dem Festgelände.
Zum vierten Mal angereist ist Tomasz Czepaitis, Außenminister der
[3][Unabhängigen Republik Uzupis], einer litauischen Künstlerkolonie, die
sich im gleichnamigen Stadtteil Vilnius von Stadt und Land lossagte,
allerdings ohne bisher von Stadt oder Land anerkannt worden zu sein. Der
weitgereiste Minister bringt nicht nur seine mobile Botschaft, Aufkleber
und eine Fotoausstellung mit nach Dresden, er verleiht auch dem
BRN-Außenminister Sennewald für seine diplomatischen Aktivitäten den
Ritterorden seiner Mikronation – eine Kette mit einer silbernen
Knoblauchzehe. „Zur Abwehr von Vampiren“, wie er sagt.
Ab und zu regnet es. Das ist nicht nur durch die „(Un)Verfassung“
legitimiert, sondern führt auch dazu, dass die Botschaft voll ist.
Botschaften als letzter Unterschlupf, das kennt man aus der echten Welt.
Doch hier freut man sich, wenn sich jemand einbürgern lassen möchte.
Zwanzig Bunte Republikaner sind es am Sonnabend, die mit einen
Mickymaus-Pass nach Hause gehen.
## Staatsbesuch aus Slowenien
Gegenüber, bei der diplomatischen Vertretung des interdisziplinären
Künstlerkollektivs [4][Neue Slowenische Kunst] (NSK), ist der Chefdiplomat
Alexander Nym gerade nicht zugegen. Er hält eine Staatsrede in einer
Dresdener Galerie. „Die NSK ist keine Mikronation, sondern der erste
globale Staat des Universums“, erklärt der in Leipzig lebende Nyn den
Umstand, dass er NSK-Staatsbürger werden konnte. Er vertritt hier die
Dependance NSK Lipsk, sorbisch für Leipzig.
Während bei der BRN nur mitmachen kann, wer innerhalb der Viertelgrenzen
lebt, ist bei der NSK jeder willkommen. Sie ist sowieso ein Staat ohne
Territorium, es geht also eher um eine übergeordnete Zugehörigkeit. Die
slowenischen Musiker von Laibach sind Gründungsmitglieder der NSK und bis
heute international bekannte Vertreter, die mit ihrer brachialen Symbolik,
mit ihren schwarzen Uniformen und Springerstiefeln nicht nur innerhalb
ihrer Landesgrenzen provozieren.
Farblich passt Mirko Sennewald gut zur NSK. „Die Einbürgerungsdokumente
liegen bei mir in der Schublade. Seit 15 Jahren.“ Er ist bereits
Staatsbürger einiger Utopien. Der studierte Politikwissenschaftler und
Philosoph engagiert sich mit seinem Verein Kultur Aktiv seit vielen Jahren
für den Austausch, für den kleinen im Hinterhof genauso wie für den großen
zwischen Dresden und Osteuropa.
Von seinen Reisen brachte er 2010 auch die Idee der Mikronation mit. Bis
dahin galt die BRN als alternativer Staatsentwurf, entstanden aus Übermut
in der ungewissen Wendezeit. „Ursprünglich wollten ein paar Neustädter,
eine Woche bevor die Ostmark ihre Gültigkeit verliert, nur ihr DDR-Geld
verprassen und ein bisschen Spaß haben“, sagt Anett Lentwojt vom
BRN-Museum, die seit Jahren zusammenträgt, was an Reliquien und neuen
Exponaten zum Thema zu finden ist. In ihrem Haus hängt eine Kopie der
Verfassung von 1990, geschrieben von der „Ordentlichen Provisorischen
Regierung“, die allerdings schon 1993 das Interesse an einer Weiterführung
ihrer Utopie im von der D-Mark berauschten BRD-Staat verlor.
Dass heute trotzdem überall in der Äußeren Neustadt die BRN-Flagge weht,
ist Sennewald und knapp 20 engagierten Neustädtern zu verdanken. Als
„Schwafelrunde (ohne Ritter)“ tagen sie seit 2010 regelmäßig in
verschiedenen Neustädter Kneipen und überlegen, wie sie ihre Mikronation
sichtbar machen können. Deshalb haben sie auch dieses Jahr wieder
Flaggennachschub von einem kleinen Nähladen im Viertel produzieren lassen.
In ihr mikronationales Bewusstsein hineingewachsen, wollte sich eine kleine
Delegation der Bunten Republik Neustadt im Juli mit anderen Mikronationen
aus aller Welt treffen.
In der [5][Freien Republik Alcatraz], einer Künstlerkolonie in Italien,
sollte die Konferenz [6][PoliNation] stattfinden, an der neben den
Scheinstaaten auch echte Wissenschaftler teilnehmen sollten, die sich mit
dem Phänomen Mikronation auseinandersetzen wollten. Einen Tag vor
Flugbuchung jedoch bekommt Sennewald in einer Mail mitgeteilt, dass aus
diesem Treffen nichts wird.
## Virtuelles Missverständnis
Auf eine schriftliche Nachfrage beim Organisator George Cruickshank,
antwortet der Australier, dass sich trotz großer Interessensbekundung nur
23 Mikronationen verbindlich angemeldet hätten. „Ich vermute, dass viele
die Veranstaltungsform als virtuell missverstanden haben, obwohl wir sie
ausführlich als in der echten Welt stattfindend beschrieben.“
Für Cruickshank, selbst Herrscher über eine Mikronation namens [7][„Empire
of Atlantium“], sind viele seiner Mitstreiter komplette Fantasten. „Das
diesjährige Ergebnis bringt mich zu dem Schluss, dass Veranstaltungen für
Mikronationen Zeit- und Geldverschwendung sind. Deshalb wird die
internationale Konferenz auf 2015 verschoben und dann hauptsächlich von
Akademikern und interessierten Journalisten getragen.“
Mirko Sennewald und seine Regierungstruppe planen für 2015 ein größeres
Mikronationentreffen im Hoheitsgebiet ihrer Bunten Republik Neustadt. Wenn
der gerade stattgefundene Geburtstag verdaut ist, wenn alles mit dem
Ordnungsamt und der Polizeibehörde des Makrostaates drumherum geklärt ist,
besuchen sie ja vielleicht auch noch die Freie Republik Alcatraz in
Italien. Zur informellen Pflege der informellen Beziehungen zwischen zwei
informellen Staaten. Denn auch die größte Utopie braucht mal ein bisschen
Zeit, um sich zu entspannen.
15 Jun 2014
## LINKS
[1] http://www.brn-dresden.de/index.html
[2] http://www.christiania.org/
[3] http://www.facebook.com/uzupis/info
[4] http://times.nskstate.com/
[5] http://www.repubblicadialcatraz.com/taxonomy/term/16
[6] http://www.micronationconference.com/
[7] http://www.atlantium.org/
## AUTOREN
Juliane Hanka
## TAGS
Dresden
tazlab 2012: „Das gute Leben“
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