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# taz.de -- Fehlerhafte Autos von General Motors: Das Zündschloss aus der Höl…
> Mary Barra steht als erste Frau an der Spitze eines globalen
> Autokonzerns. Doch die GM-Chefin hat ein großes Problem: 13 Tote.
Bild: Mary Barra stellt im April 2014 den neuen Chevrolet vor.
BERLIN taz | Am 24. Oktober 2006 sterben Natasha Weigel, 18, und Amy
Rademaker, 15, bei einem Autounfall im US-Bundesstaat Wisconsin. Knapp 77
Kilometer in der Stunde ist der Wagen schnell, als in einer leichten
Rechtskurve die Reifen auf Schotter den Halt verlieren. Die Fahrerin kommt
von der Straße ab, prallt mit 60 gegen zwei Bäume. Die Airbags des
Fahrzeugs lösen nicht aus. Die Fahrerin überlebt mit schweren Hirnschäden,
die beiden anderen Frauen sterben in den Trümmern des Chevrolet Cobalt.
Am 18. Juni 2014 muss Mary Barra dem US-Kongress erklären, warum Natasha
und Amy starben. Eigentlich muss Barra es der ganzen Nation erklären. Es
ist eine öffentliche Anhörung, ein Tribunal, im Internet live übertragen
und millionenfach geklickt. Unter den Zuschauern sind die Angehörigen der
Opfer. Sie haben Dutzende Bilder mitgebracht und aufgestellt: Die beiden
jungen Frauen aus Wisconsin sind nicht die einzigen Toten. Mindestens 13
Menschen starben wegen eines fehlerhaften Zündschlosses in GM-Modellen.
Eine Abgeordnete spricht von mehr als hundert Opfern.
GM wusste seit über zehn Jahren von dem Fehler, der dazu führt, dass sich
der Zündschlüssel bei kleinster Berührung dreht. Dann erstirbt der Motor
mitten in der Fahrt, mit ihm der Bremskraftverstärker, die Lenkung wird
schwerer, der Airbag löst nicht mehr aus. Es gab im Jahr 2005 erste
Presseartikel, zuhauf interne Warnungen und offizielle Polizeiberichte über
Tote und Verletzte. Der über den Unfall von Wisconsin war der erste. „Der
Zündschlüssel drehte sich vor dem Unfall“, steht da und: „Der Airbag lös…
nicht aus.“
Bis es zu einem Rückruf von Fahrzeugen kommt, dauert es sage und schreibe
acht Jahre, bis Februar 2014: Insgesamt 2,6 Millionen Chevrolets, Pontiacs,
Vauxhalls, Daewoos mussten in die Werkstätten. Am 16. Juni folgten 3,1
Millionen weitere. Opel war bisher nicht darunter. Auch wegen anderer
Fehler musste GM in diesem Jahr über 20 Millionen Fahrzeuge, mehr als die
doppelte Jahresproduktion, zurückrufen.
## Teil der US-Identität
„GM muss das Vertrauen des amerikanischen Volkes wiedergewinnen“, sagt nun
der republikanische Abgeordnete Pete Olsen während der fast dreistündigen
Kongressanhörung in dieser Woche. Olson spricht von Barra als Kapitän auf
„unserem Schiff“ – GM ist Teil der US-Identität: Die US-Regierung kaufte
sich 2009 sogar mit Milliarden Dollar temporär in das Unternehmen ein, um
es nach der Insolvenz zu retten.
Barra verspricht, was man sich ins Deutsche übersetzt am besten als
„bedingungslose Aufklärung“ vorstellen kann. „Ich werde nicht Ruhen, bis
die Probleme gelöst sind“, sagte sie vor den Kongressabgeordneten. Sie hat
die prominentesten externen Experten zur Aufklärung verpflichtet: Die
Kanzlei von Anton Valukas, ein US-Anwalt, der bereits die Insolvenz von
Lehmann Brothers untersuchte, jene Bank die 2008 die internationale
Finanzkrise auslöste.
Valukas Leute werteten angeblich 41 Millionen Seiten interne GM-Dokumente
aus und sprachen mit 230 Zeugen. In ihrem 325-Seiten starken Bericht lässt
sich minutiös nachlesen, wie das defekte Zündschloss bereits während der
Entwicklung im Jahr 2001 den Spitznamen „The switch from hell“ – „der
Schalter aus der Hölle“ bekommt, weil es ständig defekt war.
Es sind winzige 0,6 Millimeter, die so vielen Menschen zum Verhängnis
wurden: Um diese Länge war ein Bolzen zu kurz, der den Zündschlüssel in
Position hält, wenn das Motor läuft. So aber reichte eine Berührung mit den
Knie, um den Schlüssel zu drehen und den Motor abzustellen. GM-Ingenieure
demonstrierten ihren Vorgesetzten im Jahr 2005 diese Fehlfunktion. Sie
schlugen ein neues Design vor. Zu teuer, so das Fazit, schließlich handle
es sich um ein Problem der Kundenzufriedenheit, nicht um eines der
Sicherheit.
## Offensichtliche Vertuschung
GM wies seine Händler deshalb an: Falls sich jemand über zu lockere
Schlüssel beschwert, solle man den Kunden empfehlen, allzu schwere
Schlüsselanhänger zu entfernen. Die könnten ja mit ihrem Gewicht dafür
sorgen, dass sich die Zündung auf Aus dreht.
Unterdessen stellt die GM-Entwicklungsabteilung das Problem irgendwann nach
dem Jahr 2006 auf eigene Faust ab. Es gab ein neues Design für
Zündschlösser, allerdings sahen sie von außen aus, wie die alten und trugen
die selbe Seriennummer. Die Sache mit dem Schlüssel sollte offenbar
vertuscht werden. Aus diesem Grund fanden auch die Behörden keine Ursache
für Airbags, die sich nicht öffneten. Bei GM selbst ging das Wissen um das
neue Schloss zwischen den Abteilungen verloren. Interne Untersuchungen
blieben erfolglos. Bis der Anwalt eines Airbag-Opfers selbst die Schlösser
durchleuchten ließ und das Rätsel im Frühjahr 2013 löste.
Was wusste das Top-Management davon? Barra selbst behauptet: nichts. Sonst
wäre sie selbst betroffen. Zwar ist sie erst seit Januar 2014 GM-Chefin,
allerdings macht sie seit ihrem 18. Lebensjahr, seit 33 Jahren, Karriere
bei GM. Noch viel gravierender ist die Frage, ob die Unternehmenskultur bei
GM schlicht dem Druck in der globalen Automobilindustrie geschuldet ist.
Millionen-Rückrufe häufen sich auch bei Toyota oder VW.
In Valukas Bericht beschreiben Mitarbeiter, dass GM davor zurückschreckte,
Sicherheitsprobleme anzusprechen, um das Image nicht zu gefährden.
Stattdessen gab es interne Trainings, bei denen Mitarbeiter eingebläut
wurde, niemals „Defekt“ zu sagen, sondern „Es entspricht nicht der
Auslegung“. Und wie sagte GM-Chefin Barra diese Woche vor dem US-Kongress?
„Ich freue mich über die Chance, wegen der Angelegenheit um den
Zündschloss-Rückruf wieder bei Ihnen erscheinen zu dürfen.“
23 Jun 2014
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Automobilindustrie
Verkehrssicherheit
USA
Verbraucherschutz
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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