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# taz.de -- Kultur-Güter: Blindes Schulterklopfen
> Senat und Parlament feiern sich und Bremen als Vorreiter in Sachen
> Provenienzforschung. Der vollen Wahrheit entspricht das allerdings nicht.
Bild: Trevisanis Madonna klauten Nazis der Familie Berolzheimer 1938 - der Kuns…
BREMEN taz | Das Schulterklopfen ist parteiübergreifend: Sämtliche
Bürgerschafts-Fraktionen loben Bremens „vorbildliches Handeln“ in Sachen
Provenienzforschung. Im Gegensatz zu Bayern, sagt Claas Rohmeyer von der
CDU mit Blick auf den Fall Gurlitt, seien die Bremer Einrichtungen und
Behörden bestens aufgestellt, um mit der Problematik NS-verfolgungsbedingt
entzogener Kulturgüter umzugehen.
Die Linkspartei zeigt sich „beeindruckt“, wie umfassend in Bremen
Provenienzen erforscht würden. Der Senat selbst betont, die hiesigen
Kultureinrichtungen hätten sich „zum Teil zu einem sehr frühen Zeitpunkt
dem Thema offensiv gestellt“.
In einer Stellungnahme des Senats, die vergangene Woche Anlass zu einer
Bürgerschafts-Debatte war, heißt es: „Der Senat bewertet die Erfahrungen in
Bremen als durchaus positiv.“ All dies zeugt von einem eher kurzen
Gedächtnis.
Dabei ist es jetzt gerade einmal fünf Jahre her, dass der erste Bremer
Museumsdirektor begann, an die Überprüfung seiner Bestände denken. Das war
Rainer Stamm von den vergleichsweise überschaubaren Kunstsammlungen
Böttcherstraße. Noch 2010 lehnte das Kulturressort einen Antrag der
Kunsthalle auf 10.000 Euro für Provenienzforschung ab.
Dass seither Bewegung in solche Bemühungen gekommen ist, liegt wesentlich
an außerbremischen Faktoren: An den ständig aufgestockten und offensiv
offerierten Mitteln der Bundesregierung für Provenienzforschung. Doch noch
immer ist der Löwenanteil der Bremer Museumsbestände keineswegs
durchforstet – was freilich auch eine mühsame Arbeit darstellt.
Eine Ausnahme, die der Senat als bundesweit wegweisend heraus stellt, ist
in der Tat die Staats und Universitätsbibliothek. Doch auch dort wurden die
Bemühungen, ehemals jüdischen Besitz zu identifizieren und einen bewussten
Umgang mit ihm zu pflegen, jahrelang massiv unterdrückt. Zu den engagierten
BibliothekarInnen, die zurück gepfiffen wurden, gehörte Elisabeth Dickmann,
damals Leiterin der Abteilung für Gesellschaftswissenschaften. Schon Ende
der 1970er hatte sie die Bestände auf Raubgut überprüft – bis
Bibliotheksdirektor Hans-Albrecht Koch alle weiteren Aktivitäten
unterbunden habe, so Dickmann.
Sie musste die Bibliothek verlassen. Als das Haus zehn Jahre später,
aufgeschreckt durch die Petition eines Nutzers, der über den
zeitgenössischen Vermerk „J.A.“ für „Judenauktion“ in einzelnen Büch…
gestolpert war, nochmals mit Nachforschungen begann, mussten die
Mitarbeiter von vorn anfangen. „Unsere Erkenntnisse und Karteikarten waren
stillschweigend entsorgt worden“, berichtet Dickmann.
Dabei seien bereits 95 Prozent der Werke erfasst gewesen, die anschließend
erneut mühsam als Raubgut identifiziert wurden. Welcher Geist in der
Bibliothek herrschte, sagt Dickmann, zeige auch die Schließung einer
Ausstellung zum Auschwitz-Befreiungstag 1985 im Foyer: Sie sei noch vor der
Eröffnung abgeräumt worden.
Aufschlussreich sind auch die Anmerkungen der kulturpolitischen Sprecherin
der SPD, Karin Garling, zum Thema. Dass Provenienzforschung in Bremen
„schon sehr lange ein Thema“ sei, „belegt“ sie mit Hinweis auf die
Bemühungen um die Baldin-Sammlung. Dass es sich hierbei um die –
berechtigte – Forderung nach Rückgaben kriegsbedingter Kunsthallen-Verluste
in Richtung Bremen handelt, und keineswegs um die Aufklärung eigener
NS-Profite, fällt dabei offenbar nicht auf. Auch über die Problematik
privaten Kunstbesitzes fällt in der Bürgerschaft kein Wort, ebenso wenig
wie über die vor fünf Jahren von den Grünen gestartete Initiative, einen
Bremer Restitutions-Fonds zu gründen.
Stadt, Unternehmen und BürgerInnen sollen sich hier finanziell engagieren,
um den Bremer Museen bei künftigen Restitutionsfällen zu helfen. „Wir haben
eine gemeinsame moralische Verantwortung“, betonte die damalige
kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Karin Krusche, 2009 – doch einen
solchen Fonds gibt es bis heute nicht. Gerade, weil der große Bereich
privater und mittlerweile vererbter Arisierungsgewinne nur in minimalem
Umfang aufklärbar ist, wäre er ein geeignetes Mittel
zivilgesellschaftlicher Beteiligung gewesen.
Warum wird dieser öffentlich-private Ansatz, der beispielsweise bei der
Entschädigung von Zwangsarbeitern produktiv war, nicht weiter verfolgt?
„Für den Staat ist es schwierig, präventiv von Privatleuten Geld zu
sammeln“, sagt Krusches Nachfolger bei den Grünen, Carsten Werner, auf
Nachfrage.
Die Gründung einer entsprechenden Stiftung wäre angesichts der Zinslage
derzeit ungünstig, aber zugleich erscheint sie als das einzige juristisch
mögliche Modell. Dabei ist der Mittelbedarf überschaubar: Bislang gab es in
Bremer Museen lediglich zwölf Restitutionen beziehungsweise Entschädigungen
von Erben.
23 Jun 2014
## AUTOREN
Henning Bleyl
## TAGS
Restitution
Kunst
Museen
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