# taz.de -- Kolumne Fußball-Wissenschaft: Schweini muss rein | |
> Nach dem WM-Spiel gegen Ghana wird um die Aufstellung der deutschen Elf | |
> heiß diskutiert. Lahm nach hinten rechts? Und wer soll auf der | |
> Doppelsechs spielen? | |
Bild: Schweinsteiger (l.) wurde gegen Ghana nur eingewechselt. Bringt Löw (r.)… | |
BERLIN taz | Die Große Koalition der Besserwisser ist sich einig, dass am | |
Donnerstag im entscheidenden WM-Gruppenspiel gegen die USA der Vize-Kapitän | |
Bastian Schweinsteiger (FC Bayern), in die Anfangsformation der deutschen | |
Fußballnationalmannschaft muss. | |
Die fachliche Beweislast ist anscheinend erdrückend und die emotionale | |
Situation spricht sowieso für Schweinsteiger, 29. Also: Kapitän Lahm nach | |
hinten rechts, Schweinsteiger auf die Sechs, dann läuft der Laden, das ist | |
doch evident. Wirklich? Es ist überhaupt nicht evident. | |
Es gibt jenseits von Verletzungsfragen ernstzunehmende Argumente, die dafür | |
sprechen, dass Lahm wieder hinten rechts spielen sollte. Das sind weniger | |
seine Defensivfehler gegen Portugal und Ghana, als vielmehr seine | |
Qualitäten als kreativer Vorbereiter über die rechte Seite. Der | |
großgewachsene Vorstopper-Vierer Boateng/Mertesacker/Hummels/Höwedes ist im | |
Spiel nach vorn schon sehr limitiert. | |
Lahm bereitet statistisch gesehen über rechts deutlich mehr Tore vor als | |
von der Sechs aus. Andererseits ist der Vorstopper-Vierer eine Waffe bei | |
Offensiv-Standards, was bereits zu zwei Toren (Hummels gegen Portugal, | |
Höwedes-Assist gegen Ghana) geführt hat und den Verlust an Offensivkraft | |
über die Seiten womöglich kompensiert. | |
## Wie in guten, alten Zeiten | |
Erschwerend kommt hinzu: Schweinsteiger muss das Spiel vor sich haben, aber | |
er kann nicht allein auf der Sechs spielen. Wenn man ihn ins Team nimmt, | |
muss man über die gesamte Statik nachdenken, also tendenziell vom 4-3-3 zum | |
4-2-3-1 wechseln. Das würde dem lagerübergreifenden und kollektiven | |
Bild-Zeitungs-Denken durchaus genügen, weil man dann gleich auch noch Miro | |
Klose in die Spitze zurück beordern kann, wie in den guten, alten Zeiten. | |
Die zwingende Folge wäre allerdings zunächst – unabhängig von dessen | |
Verletzungsproblemen – der Verzicht auf Sami Khedira. Zwei Rekonvaleszenten | |
mit mangelnder Spielpraxis im Zentrum des deutschen Spiels, das geht nicht. | |
Also Christoph Kramer (Mönchengladbach) neben Schweinsteiger stellen? | |
Dafür spricht, dass Kramer nach vorn und hinten gut arbeitet und jene Meter | |
zusätzlich übernehmen könnte, die Schweinsteiger nicht laufen kann. Und | |
sind wir nicht mit der Hereinnahme des laufstarken Mittelfeldneulings | |
Rainer Bonhof (auch Mönchengladbach) 1974 Weltmeister geworden? | |
Sind wir, aber fußballhistorische Ableitungen sind in der Regel nostalgisch | |
aufgeladene inhaltliche Armutszeugnisse. Selbst die Trainer, die ihn | |
täglich beobachten, können nur ahnen, ob der unerfahrene Kramer es auf | |
WM-Niveau wirklich bringt. | |
## Sinnlose Ferndiagnosen | |
Ferndiagnosen helfen auch im Fall von Bastian Schweinsteiger überhaupt | |
nichts. Nur die Trainer können wissen, ob er wirklich bereit ist. Seine | |
Vorteile als Spieleröffner, Spielbalancier und Vorbereiter wiegen dann | |
stärker als sein Tempo- und Zweikampf-Defizit, wenn er richtig fit ist. | |
Dann hat er tatsächlich jene Autorität, die ihm jetzt qua Wunschdenken | |
zugeschrieben wird und kann die erhoffte deutsche Dominanz und Stabilität | |
personifizieren. Wenn also Joachim Löw ihn nicht bringen sollte, dann liegt | |
das nicht daran, dass der Bundestrainer bescheuert ist und – im Gegensatz | |
zu allen anderen – keine Ahnung von Fußball hat. | |
Sondern es liegt daran, dass er ihn täglich beobachtet. Und wenn er ihn | |
bringt, so ist die Nominierung trotzdem immer eine Spekulation auf das | |
vermutete Potential. Doch irgendwann kann der Verstand auch mal schweigen | |
und das Herz sprechen. Und das sagt: Schweini muss rein. | |
24 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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