| # taz.de -- Bilder der Fußball-WM: Wir sehen nicht das, was wir glauben | |
| > Wer vor dem Fernseher sitzt, guckt kein Fußballspiel. Was die Bilder | |
| > zeigen, ist eine Inszenierung und eine Interpretation des Spiels. | |
| Bild: Die Kamera bestimmt das Spiel. | |
| BERLIN taz | Der Ball ruht, wir sehen ihn in Großaufnahme. Dann tauchen ein | |
| paar Sekunden lang in dem, was Fernsehleute Halbnahe nennen, Spieler auf. | |
| Schnitt. Halbtotale, die Kamera schwenkt mit, verfolgt den Ball. Dazu | |
| werden die Namen der Teams, der Spielstand, bisherige Torschützen und die | |
| Information „Fifa.com“ eingeblendet. | |
| Geht ein Spieler zu Boden, sehen wir, wie er – scheinbar oder wirklich – | |
| leidet, wir sehen, wie er sich beschwert, Gesten zu den Fans macht. Uns | |
| wird die Situation in Zeitlupe, aufgenommen von der gegenüberliegenden | |
| Platzseite, gezeigt. Dann erleben wir, was alles vor dem Freistoß passiert: | |
| ausführender Spieler in Naheinstellung, Vogelperspektive, Torwart in | |
| Naheinstellung. Schuss. Die nachfolgende Ecke, meine Damen und Herren, | |
| brachte nichts ein. | |
| So etwa sehen wir Fußballspiele. Auf der Basis dieses Bildmaterials glauben | |
| wir, beurteilen zu können, ob die WM von schlechten | |
| Schiedsrichterleistungen geprägt ist, ob Philipp Lahm eher auf die rechte | |
| Abwehrseite gehört oder ob der Ballbesitzfußball zu Ende ist. | |
| In Wirklichkeit aber ist das, was wir gucken, wenn wir | |
| öffentlich-rechtlich, bei Sky oder sonst wie telemedial transportiert und | |
| transformiert die WM gucken, die bloße Inszenierung eines Fußballspiels. | |
| Bis zu 34 Kameras sind bei den Spielen im Einsatz. Da wird geschnitten, | |
| durch Nah- und Fernaufnahmen den Zuschauern ein unterschiedliches | |
| Spieltempo vermittelt, da geht durch die dauernde Halbtotale jedes | |
| Verständnis von Spielaufbau verloren. Damit sich auch wirklich alles im | |
| Kreis dreht, sehen wir Fans, die sich freuen, dass sie sich sehen, dass wir | |
| sie sehen, wie sie sich freuen. Puh. | |
| Zu den Kameras der Weltregie gesellen sich die der nationalen TV-Anstalten | |
| aus reicheren Ländern, die dann ihren Bundestrainer, ihre Kanzlerin und | |
| auch ihre Fußballstars gezielt einfangen. Oft ist die Weltregie schon | |
| längst mit dem Bild woanders, doch das nationale Fernsehen präsentiert uns | |
| noch den gefoulten Spieler, wie er leidet. So hilft das Fernsehen mit | |
| seinen Bildern (nicht mit den Kommentatoren) dabei, dass wir einen | |
| nationalen Blick einnehmen. | |
| Dann sehen wir noch den Schiedsrichter mit seiner Spraydose. Als ob die | |
| Einhaltung des 9,15-Meter-Abstands bei Freistößen ein zentrales Manko des | |
| Fußballs gewesen wäre, wird der Eindruck erweckt, alle Probleme seien | |
| objektivierbar. Und die Fifa macht uns mit Hilfe des Fernsehens den Fußball | |
| zu einer objektiven Sache: Torlinientechnologie, Vierter Offizieller, | |
| irgendwann auch Videobeweis. | |
| ## Bildrechte der Fifa | |
| Es ist diese Ästhetik des Videoclips, die dafür sorgt, dass an der | |
| Präsentation des Fußballs kein Zweifel mehr möglich ist. Vermutlich muss | |
| ein Fußballspiel ja auch derart zusammengeschnitten werden, damit es in der | |
| ganzen Welt begeistert geschaut wird. | |
| Die Rechte an den Bildern hält die Fifa, und die will mit ihrem Produkt, | |
| das sich ganz offiziell „Fifa World Cup“ nennt, schließlich auch in die | |
| Winkel des Weltmarkts vordringen, in denen man für die Fernsehrechte noch | |
| nicht horrende Summen zahlt. Daher wird auch, wenn jemand die Inszenierung | |
| stört, etwa ein Flitzer oder jemand, der ein Protestplakat hochhält, dies | |
| im Fernsehen nicht gezeigt. | |
| Es ist ein doppeltes Manko: Wegen der televisionären Inszenierung sehen wir | |
| nicht, was wir glauben: die halbwegs funktionierende | |
| Eins-zu-eins-Wiedergabe eines Fußballspiels. Und weil obendrein die Fifa | |
| den Daumen drauf hat, wird diese ohnehin fragwürdige Präsentation sogar nur | |
| aus genehmigten Bildern zusammengepuzzelt. | |
| Das soll nicht heißen, dass wir etwas Langweiliges sähen oder dass wir | |
| manipuliert würden. Wir erleben nur eine andere Dramaturgie des | |
| Fußballspiels, eine Art Spiel-Film. Der Kick aber, über den wir nachher mit | |
| großen Gefühlen und im Gestus des Experten sprechen, fand ohne uns statt, | |
| Tausende Kilometer entfernt: im Stadion. | |
| Unsere fußballerische Expertise, mit der wie so gern angeben, orientiert | |
| sich an den Szenen, die uns aus vielen Perspektiven und mit etlichen | |
| Wiederholungen gezeigt wurden: Tore, Beinahtore, Fouls, | |
| Schiedsrichterentscheidungen. Natürlich sind Tore zentral. Ob aber jedes | |
| Foul und jede strittige Abseitsentscheidung zur Analyse des Geschehens von | |
| Bedeutung ist, darf bezweifeln, wer das Spiel im Stadion gesehen hat. Wir | |
| aber wissen (soll heißen: glauben zu wissen), dass es spielentscheidend und | |
| wichtig war – wir haben es ja gesehen. Im Fernsehen. | |
| ## Reden über Fußball | |
| Zum Fußball, wie wir ihn kennen, gehören auch die Kommentatoren, die Simons | |
| und Rethys, die Gottlobs und Bartels. Die reden Unfug, über die regt man | |
| sich auf. Eine häufig zu vernehmende kritische Wendung gegen die | |
| Kommentatoren lautet: Die haben wohl ein anderes Spiel gesehen. | |
| Ja, haben sie. Sie haben das Spiel gesehen, wir nicht. Das schließt nicht | |
| aus, dass die trotzdem Unfug reden, nur wir können es leider nicht | |
| beurteilen. Und ein Teil dessen, den wir für Unfug halten, dürfte aus dem | |
| Widerspruch resultieren, dass uns nur die Bildauswahl zur Verfügung steht, | |
| aufgrund derer wir unser Urteil fällen. | |
| Was heißt das alles? Nicht viel. Wir sehen nur keinen Fußball. | |
| 7 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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