# taz.de -- Feinde oder Mitmenschen: „Als Kind war ich dafür nicht sensibel�… | |
> Der Journalist Hasnain Kazim hat erlebt, wie es sich anfühlt, Hassobjekt | |
> zu sein: in der Türkei, in Pakistan und in Deutschland. | |
Bild: Ärger nicht nur mit Erdogan-Anhängern in der Türkei: "Spiegel"-Korresp… | |
taz: Herr Kazim, wie haben Sie die Hasswelle in der Türkei gegen Sie | |
erlebt? | |
Hasnain Kazim: Anfangs habe ich davon gar nichts mitbekommen, weil ich | |
unterwegs war. Da habe ich vor allem meine Texte geschrieben – und ganz | |
selten bei Twitter und Facebook reingeschaut. Erst als ich drei Tage später | |
wieder im Büro war, wurde mir das Ausmaß klar: Tausende von beleidigenden | |
Mails, Tweets und Facebook-Nachrichten, darunter Morddrohungen. | |
Ein Bericht von Ihnen war mit dem Zitat „Scher dich zum Teufel, Erdogan!“ | |
betitelt – den Satz hatte ein wütender Bergarbeiter nach dem Grubenunglück | |
von Soma gesagt. | |
Nachdem es nicht weniger wurde, habe ich noch einmal einen Artikel | |
geschrieben, um klarzustellen, dass das inkriminierte Zitat nicht von mir | |
stammt, sondern von dem Bergarbeiter. Dieser Artikel wurde dann bei Spiegel | |
Online auch auf Türkisch veröffentlicht, aber auch das hat nichts gebracht, | |
im Gegenteil. Regierungsnahe Zeitungen verteufelten mich als Feind des | |
Premierministers, und die regierungskritischen Zeitungen griffen es | |
ebenfalls falsch auf und feierten mich als ihren Helden. Es war schwierig, | |
aus dieser Nummer rauszukommen. | |
Dann haben Sie die Türkei verlassen. | |
Meine Frau und ich wollten zunächst in Istanbul bleiben, aber die | |
Chefredaktion in Hamburg hat dann gesagt: Es reicht, wenn nur einer von | |
denen, die dir drohen, durchdreht. Uns würde es besser gehen, wenn du den | |
Sturm mit deiner Familie in Deutschland abwartest. | |
Haben Sie in Pakistan, wo sie vorher waren, ähnliche Erfahrungen gemacht? | |
Schon. Wenn mal ein Artikel erschien, der als islamkritisch aufgefasst | |
wurde, sahen manche darin sofort Gotteslästerung. Im Sommer 2013 sind wir | |
dort weggezogen, weil ich mit meiner Familie nur noch ungern dort leben | |
wollte. Die Sicherheitslage in Pakistan hatte sich kontinuierlich | |
verschlechtert. | |
Spielte es eine Rolle, dass Ihre Familie aus Pakistan stammt? | |
Die meisten Verwandten sind mittlerweile von dort weggezogen. Aber dass | |
mein Name so klingt und ich so aussehe, als komme ich von dort, war für die | |
Arbeit oft von Vorteil. Man schwimmt da wie ein Fisch im Wasser. Was die | |
Drohungen anging, war es natürlich eher von Nachteil, weil oft auch an mein | |
Gewissen appelliert wurde. Ich bin zwar seit 1990 deutscher Staatsbürger, | |
aber von Militär und Regierung kamen immer mal Sprüche wie: Sei doch mal | |
patriotisch! Und von Seiten der Extremisten hieß es: Du bist doch Muslim, | |
du musst doch in unserem Sinne schreiben. Dabei habe ich meine Religion nie | |
thematisiert, denn das ist für mich Privatsache. Da bin ich sehr deutsch. | |
Sind die Anfeindungen, die Sie wegen Ihrer Berichterstattung erlebt haben, | |
mit denen vergleichbar, die Sie aus Deutschland kennen? | |
Rassistische Anfeindungen habe ich häufig erlebt, und die erlebt man ja | |
auch jeden Tag wieder. Der Alltagsrassismus ist stärker geworden. Dass man | |
direkt beschimpft wird, kommt in Deutschland ja eher selten vor – obwohl | |
wir in der Reihe „Hate Poetry“ ja genau solche Beispiele präsentieren: | |
Leserbriefe von Deutschen, die sich gar nicht mit dem Inhalt unserer Arbeit | |
auseinandersetzen, sondern einfach darüber schimpfen, dass Leute mit Namen | |
wie unseren überhaupt Artikel schreiben dürfen. Einige der Reaktionen, die | |
ich nach der Berichterstattung über Soma von Erdogan-Anhängern bekommen | |
habe, passen ganz gut ins Lesungsprogramm. | |
Warum ist die Feindseligkeit in Deutschland gewachsen? | |
Das ist immer so in bestimmten Phasen, in denen sich in Deutschland die | |
wirtschaftliche Lage verschlechtert, das war ja auch in den 80er- und | |
90er-Jahren schon so. Eine Zäsur war noch einmal der Erfolg von Thilo | |
Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ – ein Buch voller Unsinn, das | |
trotzdem zu einem der erfolgreichsten Sachbücher in der Geschichte der | |
Bundesrepublik geworden ist. Ich weiß nicht, ob so etwas schon vor 20, 30 | |
Jahren möglich gewesen wäre. Leider reicht die Zustimmung für Sarrazin bis | |
zu Leuten, die ich für intelligent gehalten habe. | |
Bis in den Kollegenkreis hinein? | |
Ja, aber das gilt glücklicherweise nicht für den Spiegel. | |
In dem Buch „Grünkohl und Curry“ beschreiben Sie die Einwanderung Ihrer | |
Eltern und ihren zähen Kampf um die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie haben | |
Sie diese Zeit in Erinnerung? | |
Da muss man unterscheiden: Zum einen der Kampf gegen die Behörden, die | |
Menschen mit ausländische Wurzeln das Leben schwer machen. Zum anderen die | |
Situation vor Ort. Das Dorf Hollern-Twielenfleth, in dem ich groß geworden | |
bin, war wirklich ein Idyll. | |
Gab es in der norddeutschen Provinz keinen Rassismus? | |
Als ich aufwuchs, habe ich davon relativ wenig gemerkt. Die Gegend ist, wie | |
das ländliche Deutschland fast überall, eher konservativ geprägt, aber die | |
Menschen waren immer herzlich. Es gab nie blöde Sprüche. | |
Auch nicht von Mitschülern? | |
Doch, das schon. „Du bist braun wie Scheiße“ und solche Sachen. Aber | |
ähnliche Sprüche bekommen dicke Kinder und Kinder mit Segelohren auch zu | |
hören. So sind Kinder halt. Jedenfalls habe ich das nicht als dramatisch | |
empfunden – vielleicht, weil ich als Kind dafür gar nicht sensibel war. Auf | |
dem Land war man jedenfalls Teil der Gemeinschaft, und da ist man, wie man | |
ist. Da kamen ja nicht sonderlich viele Fremde. Meine Eltern, die | |
eingewandert waren, waren dann irgendwann Teil dieser Gemeinschaft, und wir | |
waren dann auch nicht mehr fremd. | |
1998 waren Sie FDP-Kandidat für den niedersächsischen Landtag. Wie kamen | |
Sie auf die Idee? | |
Ich war ja nur für ganz kurze Zeit in der FDP, da lege ich Wert drauf. Ich | |
wollte als Schüler schon Journalist werden, und da dachte ich, es sei gut | |
zu wissen, wie man Politiker wird und wie Wahlkampf funktioniert. Mein | |
Politiklehrer am Vincent-Lübeck-Gymnasium in Stade hatte mir gesagt: Geh am | |
besten zu einer kleinen Partei, also zur FDP oder zu den Grünen, da wirst | |
du relativ schnell für irgendwas aufgestellt. Die Grünen in Stade haben | |
Anfang der 90er-Jahre vor allem Politik gegen das Atomkraftwerk gemacht, | |
das wir dort damals noch hatten. Das fand ich zwar richtig und wichtig, | |
aber letztlich war mir die Partei zu diesem Zeitpunkt doch zu | |
monothematisch, und deshalb bin ich dann zur FDP gegangen. Und siehe da, | |
innerhalb von vier Jahren war ich Landtagskandidat. Es funktionierte also | |
wie geplant. Zwei Monate nach der Wahl bin ich dann wieder ausgetreten. | |
Das Ganze war also eher eine Art Experiment. | |
Ja, und es hat Spaß gemacht. Ich habe noch sehr viel Kontakte aus der Zeit, | |
die mir heute journalistisch nützlich sind. Philipp Rösler, der nun nicht | |
mehr im Amt ist, kommt ja aus Niedersachsen, den kenne ich von damals. | |
Patrick Döring, den Generalsekretär, ebenfalls. | |
Sie waren von 1994 bis 2000 bei der Bundeswehr. Wie sah es da mit dem | |
Rassismus aus? | |
Immer wenn es hieß, jetzt kommt der Leutnant Kazim, haben sich die Leute | |
über den Namen gewundert, und wenn sie mich dann zu Gesicht bekamen, | |
wunderten sie sich darüber, dass da ein Typ vor ihnen steht, der gar nicht | |
deutsch aussieht. Aber bei der Bundeswehr ist es letztlich wie bei vielen | |
staatlichen Institutionen, bei denen die Hierarchien so starr sind: Da | |
schlägt Ober Unter, und ich war nun mal Offizier. Während ich noch als | |
exotischer Vogel wahrgenommen wurde, gibt es mittlerweile sehr viele | |
Soldaten, die zum Beispiel türkischstämmig sind oder aus anderen | |
islamischen Ländern kommen. Das ist mir im Rahmen meiner Berichterstattung | |
aus Afghanistan aufgefallen, als ich viel mit der Bundeswehr zu tun hatte. | |
Warum sind Sie überhaupt zur Bundeswehr gegangen? | |
Das hatte ähnliche Gründe wie der Ausflug in die Politik. Mein Ziel | |
innerhalb des Journalismus war es von Anfang an, aus Krisenregionen zu | |
berichten. Deshalb hielt ich es für sinnvoll, auch das Militär | |
kennenzulernen. Anders als bei der Sache mit der FDP war das ein bisschen | |
naiv gedacht: Aus der Partei konnte ich ja auch jederzeit wieder austreten, | |
aber bei der Bundeswehr hatte ich mich für viele Jahre verpflichtet. Doch | |
im Nachhinein muss ich sagen, dass es mir sehr nützt, dass ich weiß, wie | |
die Bundeswehr tickt. Bei der Berichterstattung aus Afghanistan hat mir das | |
sehr geholfen. | |
28 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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