# taz.de -- Die Kulturgeschichte der Krawatte: Zwischen Kopf und Brust | |
> Lange Zeit war der Schlips ein Accessoire der Bankangestellten und | |
> Langeweiler. Aber muss das so bleiben? Nein! Zeit für ein Revival. | |
Bild: So geht's selbstverständlich auch: Krawatte in Deutschlandfarben. Muss a… | |
Die Krawatte ist so gut wie tot. Sie hat ausgedient. Zu ihren besten Zeiten | |
stand sie für männliche Selbstverwirklichung, später war sie als Symbol des | |
Spießertums verschrien. Heute ist der Schlips das wohl unmodischste | |
Kleidungsstück unserer Zeit – und kurz davor, vergessen zu werden. | |
„Damit wird man ihnen aber eigentlich nicht gerecht, dazu sind sie viel zu | |
schön und vielfältig“, sagt Chris Zschaber und zeigt auf die unzähligen | |
Krawatten, die in seinem Krawattenladen an der Wand hängen. Der | |
Gartenbauer, DJ und Modemacher will die Krawatte wiederbeleben und als | |
Freizeitaccessoire etablieren. | |
Dazu hat er an der Greifswalder Straße in Berlin „À la cravate“ eröffnet. | |
Zschabers Credo dort: „Man sollte Krawatten unbedingt tragen, aber nur wenn | |
einem wirklich danach ist.“ Einfach Krawatten von der Stange zu verkaufen | |
ist dem 44-Jährigen aber zu langweilig. „Viel spannender ist ja, ganz | |
andere Sachen daraus zu machen“, sagt er. Krawatten sind für Chris Zschaber | |
Material – er schneidert daraus Kissenbezüge, Miniröcke und ganze | |
Abendgarderoben. Alles Unikate. Mal dezent, mal knallig, aber immer | |
originell. | |
Außerdem hat er im Sortiment: Funktions- und Effektkrawatten. Eine | |
Sicherheitskrawatte aus orangefarbener Warnweste zum Beispiel, die grell | |
hinter dem Kassentresen hervorsticht. Gleich daneben die nietenbesetzte | |
Krawatte für Punks und die Babykrawatte mit Auffanglätzchen. Zschaber | |
selbst trägt das Modell „Haushaltskrawatte“, gefertigt aus einem alten | |
Geschirrtuch. | |
## Ironischer Bruch mit uraltem Kulturgut | |
Es geht ihm um den ironischen Bruch mit einem uralten Kulturgut, so viel | |
ist klar. Denn die Geschichte der Krawatte ist lang. Die ersten finden sich | |
schon im alten Ägypten. Im antiken Rom trugen Legionäre den Focale um den | |
Hals – ein längliches Stück Stoff zum Schutz vor der Kälte. | |
Als eigentliche Geburtsstunde der Krawatte gilt aber die Ankunft | |
kroatischer Söldner am französischen Hof um 1660. Zu ihrer Uniform gehörte | |
die Hrvatska, ein weißes Tuch, das sie in Form einer Rosette um den Hals | |
trugen. Ludwig XIV. fand Gefallen daran, beauftragte sogar einen Cravatier | |
damit, ihm täglich eine Auswahl solcher Halstücher vorzulegen. Damit | |
begründete er die Popularität der Krawatte, einer Mode, die man damals „à | |
la cravate“ nannte – nach kroatischer Art. | |
## Prüfstein des guten Geschmacks | |
Und so verbreitete sich die Krawatte in ganz Europa, ihr praktischer Nutzen | |
rückte dabei in den Hintergrund. Spätestens gegen Ende des 18. | |
Jahrhunderts, als in Großbritannien der Dandy geboren wurde, hatte die | |
Krawatte nur noch einen Zweck: den Kopf auf möglichst originelle Weise mit | |
der Brust zu verbinden. Dandys wie Beau Brummell machten die Krawatte zum | |
Fixpunkt männlicher Mode, zum Prüfstein des guten Geschmacks. „Soviel der | |
Mann wert ist, so viel wert ist die Krawatte. Und, um die Wahrheit zu | |
sagen, die Krawatte, das ist der Mann“, schrieb etwa Honoré de Balzac. Erst | |
die perfekte Kombination aus Schlips und Kleidung, erst der richtige Knoten | |
machte den Mann komplett. | |
In den 1860er Jahren entstand dann der schmale Langbinder, den wir heute | |
kennen. Er zog in den folgenden Jahrzehnten in die Hotellobbys und | |
Lehrerzimmer ein, in Versicherungshäuser und Beamtenbüros. Überall dort, wo | |
Kundenverkehr herrschte, war er Pflicht. | |
So bekam die Krawatte einen neuen Zweck. Fortan stand sie nicht mehr nur | |
für Eleganz und Noblesse, sondern vor allem für eines: den Zwang. Die | |
Krawatte wurde zum Symbol des bürgerlichen Establishments, zum | |
Markenzeichen der Spießer und Bürokraten. Nicht zuletzt deshalb sagte ihr | |
die 68er-Bewegung den Kampf an. | |
Und tatsächlich: Sieht man von Bankfilialen und Konfirmationsfeiern ab, | |
sind Krawatten aus unserem Alltag verschwunden. Tauchen sie doch einmal | |
auf, dann als neonbuntes Alleinstellungsmerkmal, nicht als ernsthafte | |
modische Option. Dagegen näht Chris Zschaber in seinem „tie-lab“ an, einem | |
Krawattenlabor, das er sich im Hinterzimmer seines Ladens eingerichtet hat. | |
An der Nähmaschine ein Autodidakt, patchworkt Zschaber hier Schlips an | |
Schlips, bis am Ende ein neues Modell rauskommt. „Hat ein bisschen was von | |
einem DJ-Set“, sagt er. „Da überlegt man ja auch, welches Stück man wann | |
bringt.“ Textiles Sampling also. | |
## Das postideologische Zeitalter der Krawatte | |
Chris Zschaber bezeichnet sich selbst als Krawattenaktivisten. Er will den | |
Schlips aber nicht dogmatisch in den Alltag zurückhieven. Die | |
Marginalisierung der Krawatte versteht er vielmehr als Chance: Für Zschaber | |
ist das postideologische Zeitalter der Krawatte angebrochen. Genau der | |
richtige Moment also, um sich diesem Kleidungsstück kreativ zu nähern – | |
irgendwo zwischen Kunst, Klamauk und Einzelhandel. | |
Trotz aller Spielereien ist die Krawatte allerdings immer ein Männerding | |
geblieben. Das mag an ihrem Ursprung im Soldatischen liegen. Sicherlich | |
aber auch am Krawattenzwang in männerdominierten Berufen. Vereinzelt gab es | |
Versuche, mit dem maskulinen Code zu brechen: Femmes Dandies wie Coco | |
Chanel probierten dies. Auch manche Dragkings tragen Krawatte. Doch | |
letztlich ist der Schlips immer auch ein Phallus, ein Symbol männlicher | |
Dominanz. Nur logisch, dass er den Männern zur Weiberfastnacht | |
abgeschnitten wird, ehe die Frauen das Rathaus übernehmen. | |
Auch in der Popkultur ist der Schlips ein wichtiges Symbol. Er wirkt wie | |
eine Schranke der Freiheit, die es zu durchbrechen gilt. In Filmen immer | |
die gleiche Szene: Der Mann kommt aus der Arbeit, wirft das Sakko über den | |
Stuhl und nimmt die Krawatte ab. Das Gesicht dabei schmerzverzerrt, als | |
bekäme er kaum Luft. Mit dem Schlips legt er den Arbeitsalltag ab, tritt | |
ein in die feierabendliche Freiheit. | |
Lustvoll erscheint die Krawatte nur, wenn sie als Lasso der Frau Teil des | |
sexuellen Vorspiels wird. Ansonsten muss man(n) sich von ihr befreien. In | |
einer großen Geste. So riss sich zum Beispiel 1998 Prins Claus, damals | |
Prinz der Niederlande, den Schlips während einer Rede vom Hals – sie habe | |
ihn sein Leben lang stranguliert. Ähnlich in der Popmusik. Die Beatles | |
waren in ihren frühen Tagen stets bürgerlich-adrett gekleidet, trugen Anzug | |
und Krawatte. Doch spätestens als sie mit „All you need is love“ der | |
sexuellen Befreiung auf den Weg halfen, waren die Krawatten verschwunden. | |
## „Suit Up!“ | |
Und dennoch gibt es einen kulturellen Bereich, in dem es mit dem Schlips | |
aufwärts geht: in US-amerikanischen Serien nämlich, die gegenwärtig so | |
etwas wie der Lackmustest für alles Coole und Relevante sind. Don Draper in | |
„Mad Men“ trägt Krawatte. Barney Stinson in „How I Met Your Mother“ | |
ebenfalls. Im Internet kommentieren die Zuschauerinnen und Zuschauer | |
massenhaft die Outfits dieser Charaktere, feiern sie sogar. Stinsons „Suit | |
Up!“ ist zum geflügelten Wort unter Fans geworden. | |
Ähnliche Reaktionen hat auch Chris Zschaber bei seinen Krawattenaktionen | |
schon erlebt. Letztes Jahr hatte er beim Fusion Festival in Lärz zum ersten | |
Mal einen Krawattenverleih. Das Motto: „Find your inner tie“. Gegen ein | |
paar Euro Pfand konnten Besucher einen Schlips ausleihen. „Ich habe etwa | |
400 Stück verliehen, davon kamen vielleicht fünf zurück“, erzählt Zschabe… | |
„Die Krawatten waren für ihre Träger offensichtlich das Souvenir von der | |
Fusion.“ Überrascht habe ihn, dass die Festivalbesucher damit nicht herum | |
blödelten. „Die wollten die Krawatte ganz klassisch gebunden haben, am | |
besten noch mit doppeltem Windsor-Knoten.“ | |
Ob das die Zukunft der Krawatte ist? Wer weiß: Vielleicht ist ihre | |
Verdrängung aus der Öffentlichkeit tatsächlich auch ihre Rettung, ihre | |
Chance auf ein Comeback abseits des Mainstreams. Die Chance, einfach ein | |
schickes Stück Stoff zu sein. | |
11 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Josef Wirnshofer | |
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