# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Der Hund von Pankowville | |
> Es regnet, und der Hund vom Balkon gegenüber heult. Die perfekte | |
> Situation, um über das Ende einer Beziehung zu sprechen. | |
Bild: Gleich heult er los! | |
In einer Samstagnacht Anfang August um kurz nach Mitternacht steht ein Hund | |
auf dem französischen Balkon im vierten Stock des Hauses gegenüber und | |
bellt den Regen an. Er hat seinen Kopf durch die Gitterstäbe gesteckt, die | |
das Zimmer seines Herrchens Richtung draußen begrenzen, und bellt auf die | |
Straße hinaus. Die Häuser werfen die Laute zurück. Der Regen wird stärker. | |
Der Hund bellt. Das tut der sonst nie. Er sieht höchstens mal nach dem | |
Rechten, checkt die bitches ab, die unten auf der Straße vorbeilaufen, aber | |
er bellt nie einen Mucks. | |
„Das ist der Regen“, sagt Paul, „der Regen hat ihm Angst gemacht.“ Bis … | |
saßen wir noch friedlich auf unserem Balkon, Paul und ich, tranken Bier, | |
stöhnten über die Hitze und versicherten uns gegenseitig, wie urlaubsreif | |
wir seien. „Nur noch zwei Wochen“, sage ich, „dann sind wir auf Hiddensee… | |
und plötzlich fängt es an zu regnen. Hektisch räumen wir die Gläser rein. | |
Das Bier soll nicht verwässern. Der Hund bellt. „Hoffentlich regnet es im | |
Urlaub nicht die ganze Zeit“, sage ich. „Dann trennen wir uns“, sagt Paul. | |
„Ja“, sage ich. | |
Wir haben eine Art Studie gelesen, wonach sich nirgendwo so viel gestritten | |
wird wie auf der autofreien Insel links neben Rügen. Nina Hagen war mit | |
ihrem Michael auch dort, als er den Farbfilm vergessen hat. Und wenn das | |
Wetter schlecht ist, bringen sich die Paare wahrscheinlich gleich um. Der | |
Hund bellt. „Hiddensee“, hat ein Kollege neulich gesagt, „da hab ich mal | |
mit einer Freundin Schluss gemacht.“ Der Kollege war Anfang zwanzig damals. | |
Nach einer Woche Insel hat er die Langeweile einfach nicht mehr ausgehalten | |
und ist abgefahren. „Das war dann das Ende vom Urlaub“, sagt er. „War auch | |
das Ende der Beziehung.“ | |
Der Hund bellt. Er scheint in eine Art Trance verfallen zu sein. Betört von | |
dem Lärm, den er selbst zu machen im Stande ist. „Ob er auch tanzt?“, frage | |
ich. Paul tritt halb auf den Balkon. Er will eine rauchen, aber nicht nass | |
werden. Das Bellen schraubt sich noch ein paar Takte höher und überschlägt | |
sich dort. Kurz habe ich die Vision, wie der Hund auf das Geländer | |
klettert, sich abstößt und zu uns rüberspringt. Der Hund von Pankowville. | |
Mich schaudert. Die Augen des Hundes leuchten im Widerschein der | |
Straßenlaterne. Ich kann es sogar von drinnen sehen. Wie zwei helle Sterne. | |
„Sind nicht auch grad Hundstage?“, fragt Paul ins Zimmer. Er muss rufen. | |
Hund und Regen machen Lärm wie die Fans bei einem Elvis-Presley-Konzert. | |
„You aint nothin but a hound dog“, ruft Paul in den Regen hinaus. Ich | |
zitiere Tucholsky: „Der Mensch ist ein Wesen, das klopft, schlechte Musik | |
macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann | |
ist er tot.“ – „Tot …“, wiederholt Paul nachdenklich. „Untersteh di… | |
sage ich. Ich mag Hunde. Sie fressen dich wenigstens nicht auf, wenn du | |
stirbst. Sie beschützen dich. Und sie ziehen deinen Schlitten den Berg hoch | |
im Winter. Der Hund meines Vaters hat das immer gemacht. Man musste nur den | |
Schlitten an seinem Halsband festbinden. Blöd war nur, wenn man den Strick | |
dann nicht wieder abbekam und der Hund plötzlich ein Reh im Wald witterte | |
und losrannte. Mit dem Schlitten im Schlepptau. Weit kam er nicht, weil der | |
Schlitten in einem Graben stecken blieb, über den der Hund gesprungen war. | |
Armes Tier. Die Rehe haben sich gefreut. | |
„Hunde stinken, sabbern und bellen“, sagt Paul. Er mag Katzen. Diese | |
arroganten Mistviecher, die nie tun, was man ihnen sagt, und ihre gesamte | |
Umgebung terrorisieren. „Du bist doch nur eifersüchtig“, sagt Paul. „Pah… | |
sage ich. | |
„Hör ma“, sagt Paul. Ich horche. Der Regen hat aufgehört. Der Hund hat | |
aufgehört. Wir strahlen uns an. | |
Drei Katzen fangen an zu schreien. | |
17 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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