Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachrichten von 1914 – 17. August: Feldzugbriefe eines Landwehrma…
> Die Feldpostbriefe eines Landwehrmannes schildern lebhaft die Fahrt
> Richtung Front. Die Zustände in den Quartieren nahe der Front sind
> schwierig.
Bild: Kriegsfreiwillige 1914.
Ein Landwehrmann schreibt uns:
I.
Am 5. Mobilmachungstage musste ich also auch einrücken – letzte
Jahresklasse der Landwehr! Der Abschied von Weib und Kind ging leichter von
statten, als ich gefürchtet hatte; die Zeit vom 1. bis 4. Mobilmachungstage
war die schlimmste! Die Stimmung unter den Landwehrmännern war ernst und
würdig, aber etwas schwermütig; allgemein vertrat man die Ansicht: „Nun
aber raus aus Berlin, nur nicht überzählig zurückgeschickt und dann
wiedergeholt werden – sonst muss man den Abschied von zu Hause nochmals
durchmachen!“
Das also war das schlimmste gewesen: der Abschied von Weib und Kind! – Denn
diese Männer von 38 Jahren hatten meist Kinder im Alter von 12 bis 14
Jahren, und die lassen sich nichts mehr vormachen, die wissen, was es
bedeutet, „wenn Vater in’n Krieg zieht!“ – Bei mir ging es, wie gesagt,
leichter; der Junge sagt: „O, Papa, wenn Du nach Russland kommst, bringst
Du mir Briefmarken mit! – Und, Papa, was gibt es denn da für Geld? – Da
bringst Du mir auch welches mit! ...
Und zu meinem Mädel sage ich: „Na, nu halte Dich tapfer die 14 Tage, die
Vater nicht da ist!“ – Sie trollt auch ganz vergnügt von dannen, kehrt aber
gleich wieder um und sagt: „Da bist Du ja gerade zu meinem Geburtstage
nicht da, Papa!“ Und die dicken Tränen kullern ihr über die Backen. Am 18.
August hat sie Geburtstag, daran habe ich allerdings nicht gedacht. ...
Selige Kindheit, die doch schön ihre kleinen Sorgen hat.
Die Fahrt von Berlin nach X-Dorf war recht gemütlich: in Erkner,
Fürstenwalde usw. waren am Bahnhof Berge von Stullen und Brötchen
aufgestapelt, die natürlich im Sturm genommen wurden; auch Tee, Kaffee,
Limonade fand reißenden Absatz; und – was mich am meisten freute – es gab
keinerlei Alkohol; trotz reichlichen Proviants von zu Hause habe ich den
„Liebesgaben“ wacker zugesprochen, und dabei so recht die Wahrheit des
Wortes empfunden: „Mit vollem Magen ist man ein guter Soldat!“ –
Bürgerquartiere, welche wir nach dreitägigem Aufenthalt leider wieder
verlassen, sind im allgemeinen sehr gut, das meine besonders!
Vier Töchter, welche die Einquartierung hinten und vorn bedienen! – Der
einzige Sohn ist als „Kriegsfreiwilliger“ bei der Artillerie eingetreten,
überhaupt diese Freiwilligen: täglich kommen neue Transporte an – und
Kerlchen sind dabei, die unter regulären Zeiten im Leben nicht Soldat
geworden wären! Das eine Gute ist an diesen schmächtigen, jungen Leuten:
sie bieten den feindlichen Geschossen wahrlich nur ein recht kleines Ziel;
wie sie allerdings ein Gewehr halten und einen Tornister tragen sollen, das
mögen die Götter wissen! Aber machen werden sie es sicher.
Also die Quartiere: Die Töchter unseres Herbergsvaters sagen zu uns: „Na,
Sie beschützen uns doch, wir müssen Ihnen danken!“ Diese Stimmung herrscht
in den meisten Bürgerquartieren: wobei der Ton auf das Wort Bürger zu legen
ist. Die einzigen Klagen, welche ich hörte stammen von der Einquartierung
beim Grafen von ... und von der beim Herrn von ... und gerade diese
Herrschaften werden doch am meisten geschützt.
Alle Hochachtung dagegen vor den Frauen und Mädchen, welche an den
Bahnhöfen Liebesgaben verteilen; man sieht, die Bevölkerung bemüht sich,
den Kriegsteilnehmern die Strapazen zu erleichtern, und das verschafft doch
ein gewisses Gefühl der Beruhigung!
II.
Die schönen Tage der Bürgerquartiere sind nur zu schnell vorübergegangen;
am Sonntag 9. August abends 10 Uhr wurden wir verladen, um eine 24-stündige
Bahnfahrt anzutreten. Bei Nacht und Nebel rückte das Bataillon aus, sang-
und klanglos zog es im neuen Standort ein. Die 24 stündige Bahnfahrt wurde
2 – 3-stündlich durch Ess- und Kaffeepausen unterbrochen; zweimal gab es
Erbsen mit Speck aus Feldküchen, welche eigens für Verpflegung der
Truppentransporte errichtet worden sind.
Im neuen Standort wurden uns Nachtlager in der Turnhalle einer Kriegsschule
angewiesen; als Unterlage dient Stroh, als Kopfkissen der Tornister, zum
Bedecken die Uniform, die man auf dem Leibe hat. Die Verpflegung ist nicht
gerade lukullisch. Am ersten Tage mittags gibt es Komißbrot mit Speck, am
Abend desselben Tage: Speck mit Komißbrot. Trostlos sehen aber die
Toilettenverhältnisse aus. Die einzigen Waschgelegenheit besteht in einer
Pumpe im Hofe; mir persönlich passierte dabei das Missgeschick, dass mir
mein künstliches Gebiss aus der Hand glitt, als ich es abspülen wollte;
ritsch – schlitterte es in den Abfluss; sofort angestellte Rettungsversuche
blieben erfolglos.
Der Gulli hat keinen Senkkasten – meine Zähne waren bereits weggeschwemmt.
– Am anderen Tage war der Rost des Gullis vollständig mit Küchenabfällen
und Speiseresten verstopft; ich betrachtete wehmütig das Gemisch und hatte
nur den einen Gedanken: wenn meine Zähne dahineingefallen wären, hätte ich
sie doch wenigstens wieder herausfischen können! – C’est la guerre! (Das
ist der Krieg!)
Noch schlimmer steht es mit der anderen Hälfte der Toiletteneinrichtung:
den Klosettenanlagen! – Die wenigen vorhandenen Klosetts sind vollständig
verstopft bzw. „überfüllt“ in des Wortes verwegenster Bedeutung. Da aber
die in der Kriegsschule einquartierten zirka 1000 Mann doch auch ihre
Bedürfnisse irgendwo verrichten müssen, werden Gräben und Winkel, Sträucher
und Parkanalgen benutzt – der Rest ist Schweigen! – C’est la guerre! –
Quelle: Vorwärts
17 Aug 2014
## TAGS
aera
1914
Front
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Vorwärts
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
aera
aera
aera
aera
aera
aera
aera
aera
Schule
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachrichten von 1914 – 24. August: Die ersten Verwundetentransporte
In Berlin treffen die ersten Verwundeten von der Front ein. Streifschüsse
und Fleischwunden sind die häufigsten Verletzungen.
Nachrichten von 1914 – 22. August: Siegesnachricht in Berlin
Die Stimmung in Berlin war unbeschreiblich, als sich die Siegesnachricht
aus Metz verbreitete. In der Nacht noch feierten die Menschen Unter den
Linden.
Nachrichten von 1914 – 21. August: Ernährung der Massen im Krieg
Die Heeresverwaltung hat eine Verfügung von einschneidender Bedeutung für
die Ernährung getroffen: die Einschränkung des Alkoholgenusses.
Nachrichten von 1914 – 19. August: Mittagbrot für zehn Pfennig
Am Berliner Moritzplatz werden für nur 10 Pfennig diejenigen satt, die sich
ein normales Gasthaus nicht leisten können.
Nachrichten von 1914 – 15. August: Die Arbeitslosigkeit der Frauen
Der Mangel an Arbeitsstellen wird zu einem immer größeren Problem.
Besonders Frauen sind betroffen. Dabei gäbe es einige Maßnahmen.
Nachrichten von 1914 – 14. August: England erklärt Österreich den Krieg
England hat Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. Nun fehlt nur noch eine
Kriegserklärung, damit acht europäische Staaten in diesen Krieg verwickelt
sind.
Nachrichten von 1914 – 13. August: Was die Frauen tun
Auch wenn Frauen nicht in den Krieg ziehen, leisten sie einen großen
Beitrag für Deutschlands Sieg: So versorgen sie die Truppen mit
militärischer Pünktlichkeit.
Nachrichten von 1914 – 12. August: „Wir müssen siegen“
„Es geht um nicht weniger als die Existenz Deutschlands. Es geht sogar um
noch mehr: Siegt der Russe, siegt die Unkultur über die Kultur. Deswegen
müssen wir siegen.“
Nachrichten von 1914 – 11. August: Krieg und Schule
Am ersten Schultag nach den Ferien fehlten Lehrer und ältere Schüler, weil
sie an der Front sind. Dem Mangel soll nun mit ungewöhnlichen Methoden
begegnet werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.