# taz.de -- Frauen bei der Schwimm-EM: Atmen ist überschätzt | |
> Im Schwimmsport deuten sich nach der EM in Berlin vor allem bei den | |
> Frauen neue Weltrekordsphären an – jenseits von Wunderanzügen. | |
Bild: Der Bildbeweis: Sarah Sjöström atmet doch | |
BERLIN taz | Dorothea Brandt ist zwar die ultimative Sprinterin unter | |
Deutschlands Schwimmern, der Zeitplan für die letzten Finals im Velodrom | |
überforderte aber selbst die Geschwindigkeitsfetischistin von der SG Essen. | |
Brandt hatte sich, jeweils mit Medaillenambitionen, für die Entscheidungen | |
über 50 Meter Freistil und 50 Meter Brust qualifiziert. Das Problem: Der | |
Startschuss für ihr erstes Finale sollte um 16.02 Uhr erfolgen, der für ihr | |
zweites um 16.09 Uhr. „Das schafft die alte Dame mit 30 nicht mehr“, | |
begründete Henning Lambertz den Beschluss, Brandt am Sonntag nur für den | |
Endlauf über die eine Bahn Brust zu melden. Und rasch schob der | |
Chefbundestrainer hinterher: „Das ist nicht böse gemeint.“ | |
Sicher ist sicher, denn gerade die Frauenabteilung in Lambertz’ Laden gibt | |
momentan ein trauriges Bild ab. Alle sechs Medaillen des deutschen Teams | |
gingen an Männer. Die Frauen des DSV mussten sich dagegen mit einer | |
Nullnummer begnügen. | |
„Das ist aktuell ein nicht so schönes Bild“, umschrieb Lambertz die Lage | |
bei den Frauen sehr diplomatisch, nannte aber als Gegenbeispiel gleich die | |
Dänen und Schweden, bei denen es die Männer sind, die ein vergleichbares | |
Schattendasein fristeten. „Das ist normal“, erklärte der 43-Jährige. | |
## Eine Art Erdrutsch | |
Nicht ganz so normal ist allerdings das, was die schnellste unter diesen | |
vielen schnellen Skandinavierinnen vor sieben Wochen angestellt hat. Denn | |
Sarah Sjöström sorgte am 5. Juli für den bislang heftigsten Blitzeinschlag | |
in der laufenden Saison. Und zwar mit einem Rennen, das die gesamte Szene | |
aufschreckte. | |
Denn an Weltrekorde, die nach dem Verbot der Superanzüge im Januar 2010 | |
eigentlich auf Jahre hinaus unerreichbar schienen, hat sich die | |
Schwimmerbranche inzwischen wieder gewöhnt. Sjöströms Wundertat im | |
südschwedischen Boras aber machte alle sprachlos. Die blonde Schwimmerin | |
flog die eine Bahn Schmetterling in 24,43 Sekunden. | |
Die alte Topmarke von Therese Alshammar, wie Sjöström Schwedin, aus dem | |
Jahr 2009 war im Freibad von Boras krachend in sich zusammengefallen. 64 | |
Hundertstelsekunden schneller als Alshammar einst auf dem Höhepunkt der | |
Superanzug-Ära war Sjöström gewesen – über eine Strecke von 50 Metern | |
bedeutet die Verbesserung des Rekords um mehr als eine halbe Sekunde ein | |
Art Erdrutsch. Zum Vergleich: Bei seinem Weltrekord über 50 Meter Brust | |
schoss der Brite Adam Peaty am Freitag um fünf Hundertstel rascher durchs | |
Becken als der Südafrikaner Cameron van der Burgh fünf Jahre zuvor. | |
„Haha!! This day was sick!!!!!“, twitterte Sjöström nach ihrem mirakulös… | |
Flug im Badeanzug in die Welt hinaus. Ein „kranker Tag“, an dem sie auch | |
mit ihrer Atemlosigkeit für Furore sorgte. Ihre 50 Weltrekordmeter legte | |
die aus der Provinz Södermanland stammende Schwimmerin zurück, ohne dabei | |
ein einziges Mal Luft zu holen. Es war das erste Mal, dass sie das in einem | |
Wettkampf ausprobierte. | |
## „Ich gewöhne mich langsam daran“ | |
Um diese Luftlosigkeit im Training ständig zu üben, dafür sind 50 Meter zu | |
lang. Die halbe Distanz aber schwimmt Sjöström in ihren Übungseinheiten | |
mittlerweile häufig, ohne zu atmen. Und in Berlin vermeldete sie nach ihrem | |
Sieg auf den 50 Metern Schmetterling über die 25 Sekunden Sauerstoffentzug | |
nun: „Ich gewöhne mich langsam daran.“ | |
So, wie sie sich bei der EM ans Siegen gewöhnt hat. Nach einer für sie | |
enttäuschenden Olympia-Ausgabe, 2012 in London, und einem WM-Titel, 2013 in | |
Barcelona, kam Sarah Sjöström unter den besonders wilden Medaillensammlern | |
wie der ungarischen Vielschwimmerin Katinka Hosszu oder dem französischen | |
Beau Florent Manaudou als die Eifrigste im Velodrom daher. Drei Mal Gold | |
und zwei Mal Silber hatte sie unter der Woche eingesammelt, am Samstag | |
kraulte sie als Zeitschnellste ins Finale über 50 Meter Freistil am | |
Sonntag. | |
Am finalen Nachmittag am Sonntag versuchten neben Dorothea Brandt auch | |
Franziska Hentke (200 Meter Schmetterling) und Yannick Lebherz (400 Meter | |
Lagen) die mittelprächtige Medaillenausbeute der DSV-Schwimmer noch etwas | |
aufzuhübschen, die besten Aussichten auf Edelmetall hatte bei den | |
Gastgebern aber die Lagenstaffel der Männer. Das weibliche Lagenquartett | |
dagegen schrammte als Vorlaufneunte am Finale vorbei – passend zur | |
aktuellen Kluft zwischen den Leistungen der deutschen Schwimmer. | |
## Viel mehr trainieren | |
Henning Lambertz hat dafür eine simple Antwort parat. „Wir haben in | |
Deutschland vergessen, viel und hart zu trainieren. Und das trifft zuerst | |
die Frauen, weil sie noch viel früher als Männer anfangen müssen, viel mehr | |
zu trainieren“, führte der Chefbundestrainer zum Ausklang der EM seine | |
Lieblingsthese aus. | |
Sehr früh mit dem Training am Start und deshalb schon mit 15 erstmals | |
Weltmeisterin war Sarah Sjöström. In ihrer Art ist die 21-Jährige dabei | |
immer freundlich, aber zugleich distanziert. Als ihr angepeilter | |
Weltrekordsturz über 100 Meter Schmetterling vertagt und sie selbst um 0,01 | |
Sekunden besiegt worden war, platzte Sjöström-Bezwingerin Jeanette Ottesen | |
geradezu vor Stolz. „Keine Ahnung, wie ich das hinbekommen habe, Sarah zu | |
schlagen“, sprudelte es aus der 26-jährigen Dänin hervor. Die | |
Silbergewinnerin aus Schweden dagegen suchte erst einmal das Weite, ehe sie | |
später sehr knapp kommentierte: „Ein enges Rennen.“ | |
Das war’s. Sarah Sjöström war angesichts von Ottesens Triumph offenkundig | |
die Luft weggeblieben. | |
24 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Morbach | |
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