| # taz.de -- Debatte Das Klischee der taffen Ostfrau: Fixe Partnerinnen | |
| > Ostfrauen sind so schön pragmatisch, heißt es gern. Aber sie können mehr | |
| > und haben letztlich die heutige Republik entscheidend mitgeprägt. | |
| Bild: Eine Ostfrau hat es bis an die Spitze des Landes geschafft | |
| Wer bei Google den Begriff „Ostfrauen“ eingibt, erhält merkwüdige Treffer | |
| wie „Super Ostfrauen suchen einen fixen Partner“ und ostfrauen.de, wo über | |
| weiterführende Links Ostfrauen feilgeboten werden, nämlich Polinnen und | |
| Russinnen. | |
| Man findet aber auch Texte, die den „Ostfrauen-Mythos“ auseinandernehmen: | |
| Frauen aus der DDR seien gar nicht so emanzipiert und so selbstbewusst, wie | |
| das in den vergangenen Jahren häufig behauptet wurde. Ihre vermeintliche | |
| Emanzipation sei ihnen durch die Pflicht zur Arbeit aufgezwungen worden, | |
| heißt es darin. | |
| Ist das alles, was heute über Ostfrauen gesagt werden kann? Dass sie | |
| pragmatisch und praktisch sind und nur ein bisschen geschlechterbewusst? | |
| Dass sie die Dreifachbelastung – Arbeit, Familie, Kinder – hingenommen | |
| haben, statt gegen sie aufzubegehren? | |
| Eine Ostfrau hat es bis an die Spitze der Landes geschafft. Andere sind | |
| Ministerinnen und Ministerpräsidentinnen. Sie führen Parteien und | |
| Fraktionen, sie leiten Wissenschaftseinrichtungen und sie sind | |
| Firmenchefinnen. Das ist das Gegenteil von „irgendwie funktionieren“. Das | |
| ist Machtbewusstsein und Karrierestreben. | |
| Nun ist die taffe Ostfrau ein ebenso gern bemühtes Klischee. Allerdings | |
| sind alle diese Klischees totaler Quatsch. Und sie sind alle total wahr. | |
| Wahr ist auch: Frauen aus der DDR haben zur heutigen Lage der | |
| Bundesrepublik mehr beigetragen, als den meisten Menschen hierzulande | |
| bewusst ist. Am wenigsten wahrscheinlich den Ostfrauen selbst. | |
| ## Job als Quelle von Selbstverständnis | |
| Dass heute vehement über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf debattiert | |
| und der Kitaausbau intensiv betrieben wird, hat stark mit dem Verständnis | |
| von Ostfrauen von Erwerbsarbeit zu tun. Für sie bedeutete und bedeutet der | |
| Job nicht nur finanzielle Unabhängigkeit (von Mann und Staat), sondern er | |
| war und ist Quelle von Selbstverständnis, intellektueller und praktischer | |
| Selbstentfaltung. Ein Job, das sind soziale Kontakte und Netzwerke, das | |
| können Freundschaften sein. „Zur Arbeit gehen“ hieß und heißt für die | |
| Ostfrau nicht nur einseitige Verpflichtung durch den Staat, sondern in | |
| erster Linie Verpflichtung sich selbst gegenüber. | |
| Mit der Vollberufstätigkeit auf der einen Seite und dem häufig gelebten | |
| Hausfrauendasein auf der anderen Seite trafen nach der Wende zwei | |
| Lebensmodelle aufeinander, die konträrer nicht sein konnten. Mittlerweile | |
| wird am westlichen Hausfrauenmodell heftig gerüttelt, sowohl politisch als | |
| auch von den Frauen selbst. Dafür haben zum großen Teil die Ostfrauen | |
| gesorgt. | |
| Sie haben nach der Wende weitergearbeitet, als wäre nichts geschehen. Die | |
| großen Freiheiten – Reisen, Meinungsoffenheit, Konsum – wollten sie um | |
| keinen Preis eintauschen gegen eine neue Unfreiheit des beruflichen | |
| Nichtstuns. Und wer den Job verlor, hat zugesehen, bald einen neuen zu | |
| bekommen. Die Ostfrauen haben allein durch ihr Beharren auf einem für sie | |
| selbstverständlichen Recht die Debatte über weibliche Berufstätigkeit so | |
| stark angekurbelt wie keine Frauengeneration in der Bundesrepublik zuvor. | |
| Diese Debatte schließt die Kita-Frage ein. Auch so eine | |
| Selbstverständlichkeit für Ostfrauen: Job und Kinder, Karriere und Kinder | |
| widersprechen sich nicht. Wer beides hat, braucht allerdings eine | |
| verlässliche Kinderbetreuung. Eine, die nicht zu Hause stattfindet, sondern | |
| eine Kita, die von morgens bis abends geöffnet hat. Denn die meisten | |
| Ostfrauen sind es gewohnt, Vollzeit zu arbeiten, auf Teilzeit oder gar | |
| Minijobs lassen sie sich ungern reduzieren. Diesen Anspruch „vererben“ sie | |
| an ihre Töchter und Söhne. | |
| Kurioserweise kritisieren Gegner der weiblichen Vollzeitarbeit diese gern | |
| mit dem Argument, dass Frauen in eine 5-Tage-Arbeitswoche gedrängt würden, | |
| weil sie das kapitalische Wirtschaftssystem unterstützen sollen. Auf | |
| Männer, die Vollzeit arbeiten, trifft das wohl nicht zu. | |
| ## Stärkere Gleichstellung in der DDR. | |
| Ostfrauen ist es ebenso zu verdanken, dass dieses Land mittlerweile eine | |
| männerfreundliche Familien- und Geschlechterpolitik betreibt. Durch die | |
| stärkere Gleichstellung in der DDR fühlten sich Ostfrauen den Männern nie | |
| so unterlegen und nie so ausgeliefert, wie viele Westfrauen das taten. | |
| Ostfrauen haben auch nie so stark gegen Männer „gekämpft“ wie manche | |
| Westfrauen in den Hochzeiten der Frauenbewegung in den siebzigerer und | |
| achtziger Jahren. | |
| Im Gegenzug dazu waren Ostmänner gezwungen, manche ihrer maskulinistischen | |
| Anwandlungen zu „drosseln“. Wer nicht mitmachte, hatte schlechte Karten, | |
| vor allem in der Liebe. Das führte im Übrigen dazu, dass Ostmänner auch | |
| heute noch als partnerschaftlicher und hilfsbereiter wahrgenommen werden – | |
| insbesondere von Westfrauen. | |
| Und dann ist da noch die Sache mit dem Abtreibungsparagrafen 218. Als die | |
| Mauer fiel, war im Westen Abtreibung verboten, im Osten erlaubt. Allerdings | |
| galten auch in der DDR für einen Schwangerschaftsabbruch strenge | |
| medizinische und ethische Voraussetzungen. Der Eingriff war keineswegs eine | |
| Verhütungsmethode, wie es manche „LebensschützerInnen“ heute im Nachhinein | |
| darstellen. Ostfrauen sahen die Möglichkeit, ein Kind nicht bekommen zu | |
| müssen, gleichermaßen als großes Privileg und als Selbstverständlichkeit | |
| an. | |
| Dass der Mauerfall ihnen dieses Recht nehmen sollte, wollten sie nicht | |
| zulassen. So haben sie, gemeinsam mit Westfrauen, nach 1990 Petitionen | |
| gestartet, Unterschriften gesammelt, demonstriert und Gesetzesänderungen | |
| geschrieben. Herausgekommen ist das, was heute als „rechtswidrig, aber | |
| straffrei“ im Strafgesetz steht. | |
| Dass sie es nicht vermochten, den Paragrafen 218 komplett aus dem | |
| Strafgesetz zu streichen, liegt einerseits an der damaligen konservativen | |
| Mehrheit im Bundestag. Andererseits aber auch an dem naiven Glauben mancher | |
| Ostfrauen, dass Selbstverständlichkeiten auf ewig selbstverständlich | |
| bleiben. | |
| 26 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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