# taz.de -- Weniger Polizei in den Stadien: Defensiv aufstellen | |
> Weil der NRW-Innenminister sparen will, soll die Polizeipräsenz in und um | |
> die Stadien verringert werden. Ein Modellversuch in Düsseldorf. | |
Bild: Auf dem Rückzug? Polizeibeamte in den Stadien zwischen Rhein und Ruhr | |
DÜSSELDORF/BERLIN taz | Ausgerechnet jetzt, nachdem er erzählt hat, dass | |
seine Bereitschaftspolizei nicht im Stadion ist, muss etwas passieren. | |
Hans-Joachim Kensbock-Rieso steht in der Sky-Box unter dem Stadiondach der | |
Düsseldorfer Arena, seinem Kontrollraum. Vor ihm eine Glasfront, unter ihm | |
die Fußballer der Fortuna Düsseldorf und des Karlsruher SC, hinter ihm | |
sieben Bildschirme, die Bilder von sitzenden Sportlern in roten Trikots und | |
Ordnern einer Sicherheitsfirma in gelben Westen zeigen. | |
In Block 42 trommeln die Fans, dm dm dedededm, Allez Fortunaaa, Foortuuna | |
Düsseldooorf, es schallt durch die doppelt verglasten Scheiben. Schräg | |
gegenüber stehen die Gäste von auswärts in Block 22. Hier recken Fans des | |
Karlsruher SC die Fäuste. Der Polizeiführer lehnt sich nach vorne, schaut | |
stirnrunzelnd nach rechts. In Block 23 klettern drei Düsseldorfer Fans auf | |
den Zaun, der an das Gelände des Auswärtsblocks grenzt. Hans-Joachim | |
Kensbock-Rieso wartet, wartet ab. | |
Vier Tage vorher, es ist Dienstag, der Polizeiführer, 61, angegrauter Bart, | |
sitzt in einem Vereinsraum in der Arena, auf der glatten Oberfläche des | |
Tisches seine Arbeitsmappe, es riecht nach Chlor. Der Sicherheits- und der | |
Spieltagsbeauftragte der Fortuna neben ihm reden über die Gästefans, über | |
vergangene Spiele. „Am 17. Dezember konnten die Karlsruher schneller durch | |
unsere Personenkontrollen, als uns lieb war. Deshalb stellen wir | |
zusätzliche Gitter auf.“ Kensbock-Rieso nickt, notiert. | |
„Es kommt ein Sonderzug mit 600 Fans am Fernbahnhof an, die shutteln wir | |
bis zum Stadion.“ Die Sonderbusse trennen Gäste- von Heimfans. „Ganz früh… | |
wurden sie von der Bereitschaftspolizei begleitet, in voller Montur, Helm | |
auf und ganz dicht“, sagt der Polizeiführer. Er redet leise, seine Stimme | |
ist ein wenig rau. „Bis zu einer Hundertschaft, also 60 Mann, waren vorher | |
mit den Shuttlebussen beschäftigt. Jetzt sind es nur noch 10 Kradfahrer.“ | |
Das ist das neue Konzept: defensiv aufstellen. Es kommt von | |
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Die rot-grüne Regierung in Bremen hatte | |
beschlossen, dass die Deutsche Fußball Liga die Rechnung für einen | |
Polizeieinsatz bei Risikospielen bekommt. Daraufhin wollte auch Jäger | |
sparen. Er erklärte, einen Test machen zu wollen: weniger Polizei einsetzen | |
bei Spielen von Vereinen, bei denen es in den letzten drei Jahren keinen | |
Krawall gab. „Das funktioniert alles nur, wenn auf der Anreise nichts | |
passiert“, sagt Kensbock-Rieso. „Wenn sie Flaschen aus Zügen schmeißen, | |
Pyro an Bahnhöfen zünden, ist die Präsenz am Zielbahnhof anders als jetzt | |
geplant.“ Durchs Fenster blickt er auf die leeren Wellenbrecher des | |
Auswärtsblocks. | |
## Der Auswärtsblock gilt als bespnders riskant | |
Die Polizei geht davon aus, dass die Fans einer Gastmannschaft im Stehblock | |
eines Stadions am riskantesten sind. Die lange Anfahrt, Alkohol, | |
Gruppenanreise, keine Stammplätze. „So gesehen ist Auswärts der | |
gefährlichste Block“, sagt Melissa Schiefer. „Aber in den ganzen Jahren | |
habe ich mich im Block immer sicher gefühlt.“ Die schlanke Frau steht in | |
Jeans und T-Shirt im Auswärtsblock der Alten Försterei in Berlin, | |
unterstützt die Fortuna gegen Union Berlin. Ein junger Mann schlägt die | |
Trommel, der Anheizer schreit ins Megafon. Schiefer, 25, lange braune | |
Haare, studiert Sozialwissenschaften und nennt sich „Allesfahrerin“: bei | |
jedem Spiel dabei. | |
Drei Hartplastikbecher fliegen in den 90 Minuten vor ihr vorbei. In | |
Düsseldorf hätte sie nach dem Werfer suchen müssen, ihn hinausbegleitet. | |
Dort ist Schiefer ehrenamtliche Fanordnerin, Block 40, 41, 42a und b sind | |
selbstverwaltet. Es gibt wenige bezahlte Ordner, dafür mehr Freiwillige in | |
grauer Weste. „Wenn etwas passiert, regeln wir das selbst.“ | |
Wer Karten für diese Blöcke kauft, unterschreibt Regeln. Pyro zünden, | |
Gegenstände schmeißen und Aufgänge blockieren ist verboten. Schiefer sagt, | |
das klappt. „Im selbstverwalteten Block fühlt man sich wie im eigenen | |
Wohnzimmer, da macht man nichts kaputt.“ Sie wippt mit den Füßen zu den | |
Trommelschlägen. „Mich stört diese Hysterie um angebliche Gewaltprobleme.“ | |
Für Zugreisende sei es fast schon Alltag, dass die Polizei sie am Bahnhof | |
einkesselt. „Einfach so. Die dürfen nicht mal zum Kiosk. Fans werden wie | |
Verbrecher behandelt.“ Selbst harmlose Fans fühlten sich dann angestachelt. | |
„Vielleicht stimmt das“, sagt Polizeiführer Kensbock-Rieso. Er ist 2009 | |
angetreten, um das Konzept zu ändern, nachdem sein Vorgänger für zu harte | |
Einsätze kritisiert wurde. „Klar, so eine martialische Truppe, wenn die da | |
steht, das führt nicht dazu, dass man ganz entspannt ist.“ Die | |
Bereitschaftspolizei von NRW verbringt ein Drittel ihrer Einsatzzeit bei | |
Fußballspielen. Deutschlandweit kosteten die Polizeieinsätze 2013 etwa 70 | |
Millionen Euro Steuergelder. | |
## Die Ultras sorgen für Stimmung | |
In Düsseldorf-Derendorf sitzen Marco, Matthias und Alex im Haus der Jugend | |
an einem runden Tisch. Die drei, Mitte 20 bis Anfang 30, sind Ultras, | |
organisierte Fans aus Düsseldorf. Die jungen Männer treffen sich in dem | |
Flachbau, um zu kickern oder in der Halle nebenan Plakate zu malen. | |
„Ultras sind kreativ, am Anfang ähnelten sie einer Bastelgruppe“, sagt | |
Alex. Er hat die Haare nach hinten gegelt, sein weißes Hemd ist gebügelt. | |
Vor dem Anpfiff um 13 Uhr wird er um 9.40 Uhr im Stadion sein, wird mit | |
Gaffa-Tape Banner ans Blockgeländer kleben. Wird zum Spaß mit einem | |
Security-Mitarbeiter mit den Röhren der Konfettikanonen wie mit Schwertern | |
kämpfen. „Wir sind aktiv, sind vernetzt und versuchen, unseren Verein | |
mitzugestalten“, sagt Alex. „Die Stimmung, die wir im Stadion machen, wird | |
als selbstverständlich angesehen, damit wird geworben“, ergänzt Marco. Ihre | |
Kritik sei aber meist unerwünscht. | |
Die Ultras haben ein Image als Randalierer. Matthias tippt sachte mit den | |
Fingern auf den Tisch, runzelt die Stirn. „Die Medien warten, dass etwas | |
passiert, und zack titeln sie: ’Ausschreitungen im Stadion'.“ Es gehe nur | |
um Klicks. „Beim Fußball geht’s um Emotionen. Die lassen sich verkaufen.“ | |
Draußen knallt es. Das lange weiße Band einer Konfettikanone verfängt sich | |
im Gebüsch. Alex steht auf und sieht hinaus. „Der soll das gleich | |
wegmachen.“ – „Da müssen wir jetzt selbstreinigend wirken“, sagt Marco | |
augenzwinkernd. | |
Wenn die Polizei weniger präsent ist, übernehmen dann die Fans? „In der | |
selbstverwalteten Kurve hat man uns die Chance gegeben, eigenverantwortlich | |
zu handeln – und es funktioniert“, sagt Marco. „Interne Gewalt ist für u… | |
ein No-Go.“ Jägers Pläne finden sie gut, aber ganz so bahnbrechend sei das | |
alles nicht. Aktive Fans fordern den Rückzug seit Jahren. „Natürlich gibt | |
es Gewalt“, sagt Alex. „Aber das ist kein reines Problem des Fußballs.“ | |
Niemand würde auf die Idee kommen, Karneval zu verbieten oder für den | |
Rosenmontag Meldeauflagen auszusprechen. | |
## „Easy“ Anreise | |
30.278 Zuschauer kommen an diesem Samstag zum Spiel der Zweitligisten. Die | |
Polizei übernimmt die Fantrennung. Die Anreise der Gäste sei „easy“ | |
verlaufen, erklärt der Polizeiführer. Neben dem Auswärtsblock gibt es eine | |
Pufferzone mit leeren Plätzen. Fangnetze liegen darüber, in denen sich | |
potenzielle Blockstürmer verheddern sollen. „Da hatten wir früher ein oder | |
zwei Züge, das sind 50 bis 60 Leute.“ Sie saßen sichtbar neben dem | |
Auswärtsblock. | |
„Die haben wir abgeschafft.“ Kensbock-Rieso klingt stolz. Ein paar Minuten | |
später klettern drei Düsseldorfer Fans auf den Trennzaun, provozieren die | |
Karlsruher. Kensbock-Rieso schaut durch das Fenster zu. Er bleibt stehen. | |
Denkt, die Ordner schaffen das allein. Überlegt, schaut. „Wie lange die | |
brauchen, um da hinzugelangen“, sagt er ruhig. Dann lässt er die | |
Bereitschaftspolizei anfunken. 30 Polizisten, in grüner Montur, sollen den | |
Blocksturm verhindern. | |
„Düsseldorfer Fans randalieren in Würzburg vor Pokalspiel“, meldete die | |
Nachrichtenagentur dpa eine Woche zuvor. Nachts sollen 30 Düsseldorfer Fans | |
mit rund 15 überraschend angereisten Nürnberger Anhängern gewalttätig | |
aneinandergeraten sein. Sie schlugen laut dpa „mit Stühlen, Stöcken, | |
Stangen und Flaschen aufeinander ein“. | |
Für die Ultras Düsseldorf eine Verteidigungssituation. „Wir sind nicht auf | |
Gewalt aus, verteidigen aber natürlich unsere Gruppe“, sagt Alex. Er | |
kritisiert das Vorgehen der Polizei: „Die haben deshalb sämtliche | |
Raststätten auf unserer Rückfahrt dichtgemacht. Für Busse und andere | |
Autofahrer. 300 Kilometer, keiner konnte aufs Klo – und das Klo in unserem | |
Bus war kaputt.“ | |
## Zaunkletterer auf den Bildschirmen | |
Im Düsseldorfer Stadion, auf den Bildschirmen der Überwachungskameras, | |
schauen sich der Spieltagsbeauftragte des Vereins und ein Polizeibeamter | |
die Zaunkletterer an. „Die was anstellen, vermummen sich“, sagt der | |
Polizist. „Wir haben ein Problem mit der Qualität der Anlage“, sagt | |
Kensbock-Rieso. „Die wird bald auf HD-Technik umgestellt, um beweissichere | |
Bilder machen zu können.“ | |
In Block 42 zeigt Alex auf eine Kamera. „Überwachung kann man das nicht | |
nennen“, scherzt er. Trotzdem: Glücklich sind die Ultras mit den | |
Sicherheitsplänen nicht. „Jäger wird sicherlich ein Ziel verfolgen. Er ist | |
ein Hardliner, will sich politisch über Fußball profilieren. Wenn etwas | |
passiert, kann er sagen: Jetzt schwingen wir richtig die Keule“, sagt | |
Matthias. Was dann kommt? „Verringerung von Kartenkontingenten, | |
Alkoholverbote, Meldeauflagen, personalisierte Tickets, mehr | |
Stadionverbote, eigene Richter für Fußballfans.“ | |
„Die Aufregung im Block hat nicht zu Straftaten geführt“, sagt | |
Kensbock-Rieso nach dem Spiel. Im Karlsruher Block zeigten Fans eine | |
eroberte Düsseldorf-Fahne und zerrissen sie. „Zehn Düsseldorfer standen | |
dann am Block und haben die Fans emotionalisiert.“ Der Polizeiführer | |
befürchtet, dass die Busse, die die Gäste von auswärts zum Fernbahnhof | |
bringen, nach dem Spiel angegriffen werden. Er hat den Fans einen | |
Vertrauensvorschuss gegeben, jetzt entscheidet er um. | |
Um 17 Uhr übergibt Kensbock-Rieso an die Altstadtwache. Es ist ein sonniger | |
Samstag. „Polizeiunfreundlich“, nennt es Kensbock-Rieso. Gutes Wetter, gute | |
Stimmung, das zieht Auswärtsfans in die Altstadt. Düsseldorf verliert 0:2. | |
„Always look on the bright side of life“, tönt es aus den | |
Stadionlautsprechern. Die Düsseldorfer Ultras verlassen Block 42. „Fortuna, | |
du Fotze!“, rufen die Karlsruher, bevor sie in ihre Busse steigen. Ein Zug | |
von 30 Bereitschaftspolizisten wird sie begleiten. | |
26 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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