| # taz.de -- Umweltgifte: „Es fehlt der politische Wille“ | |
| > Die Nordsee ist seit Langem zu stark mit Quecksilber belastet. Ein | |
| > Gespräch über Kohlekraftwerke, Muscheln, Plattfische und den verrückten | |
| > Hutmacher. | |
| Bild: Besser nicht öfter als einmal pro Woche essen: Muscheln. | |
| taz: Wie stark ist die Nordsee mit Quecksilber belastet, Herr Liebezeit? | |
| Gerd Liebezeit: An der deutschen, dänischen, niederländischen und | |
| belgischen Nordseeküste liegen die Werte im Sediment sehr weiträumig über | |
| den Werten, die die EU noch für akzeptabel hält. | |
| Die Bundesregierung hat erst jüngst behauptet, dass sie zu dieser Frage | |
| nichts sagen kann. | |
| Sie sagte: Es fehlt an Informationen. Die aber sind durchaus da. Es gibt | |
| zum Beispiel die Zustandsberichte für die Nordsee oder das Wattenmeer. | |
| Was bedeutet das Nervengift für die Tiere, die im Wasser leben? | |
| Die Minimata-Krankheit, die in den 50er-Jahren zu Schädigungen am zentralen | |
| Nervensystem von Menschen und Tieren führte, ist vielleicht bekannt. Sie | |
| war auf quecksilberhaltige Abfälle einer Chemiefabrik zurückzuführen. | |
| Daraufhin wurden Umweltqualitätsziele definiert. In Aalmuttern von der | |
| Nordseeküste liegt der Quecksilberwert laut Umweltbundesamt seit 20 Jahren | |
| mehr oder weniger konstant um das drei- bis vierfache über dem | |
| Umweltqualitätsziel. Auch in den Silbermöweneiern dort sind die | |
| Quecksilberwerte seit dem Beginn der Neunziger konstant hoch – obwohl die | |
| Quecksilberbelastungen in dieser Zeit zurückgegangen sein sollen. Dabei | |
| muss man wissen: Das im Sediment gebildete organische Methylquecksilber ist | |
| sehr viel toxischer als das elementare Quecksilber – und es reichert sich | |
| leicht im Fettgewebe an. Und: Fische, die in der offenen Nordsee oder im | |
| Atlantik gefangen werden, weisen eine deutlich geringere Belastung aus als | |
| jene aus den Küstengewässern. | |
| Wie stark sind die Fische, die wir so essen, vergiftet? | |
| Die Plattfische, die am Boden leben – Flundern, Schollen, Seezungen, | |
| Klieschen –, sind der Quecksilber-Belastung aus dem Sediment am stärksten | |
| ausgesetzt. Sie könnten sehr viel höhere Werte aufweisen als Aalmuttern. | |
| Daten für diese Fischarten liegen für eine Bewertung nicht in ausreichender | |
| Menge vor. | |
| Was ist mit den Raubfischen? | |
| Je höher man in der Nahrungskette kommt, desto höher ist auch der | |
| Anreicherungsfaktor. Deshalb weist etwa Thunfisch höhere | |
| Quecksilber-Belastungen auf als die Aalmutter. | |
| Die Bundesregierung sagt, selbst jene, die viel Fisch essen, sind nicht | |
| gefährdet. | |
| Alarmismus ist sicher fehl am Platze, aber man sollte vielleicht nicht | |
| mehrere Male pro Woche Fisch essen. Wer viel Plattfisch isst, bei dem | |
| könnte es aber vorkommen, dass die Grenzwerte überschritten werden. | |
| Wie oft essen Sie Fisch? | |
| Einmal in der Woche. | |
| Wie sieht es bei Muscheln aus? | |
| Die esse ich höchstens einmal im Jahr. Im niedersächsischen Watt liegen wir | |
| bei den Muscheln schon seit Jahren bei einer Quecksilber-Belastung von etwa | |
| 400 bis 500 Nanogramm pro Gramm Feuchtgewicht. Das sind bei einer Mahlzeit | |
| von etwa 200 Gramm schon etwa 100 Mikrogramm Quecksilber. Das ist viel – | |
| etwa ein Drittel der von der EU empfohlenen wöchentlichen Aufnahme bei | |
| einem Gewicht von 70 Kilo. Da der Anteil des Methylquecksilbers in | |
| Meeresfrüchten mehr als 90 Prozent ausmachen kann, habe ich mit einer | |
| Muschelmahlzeit die wöchentliche Dosis schon erledigt. | |
| Woher kommt denn all das Quecksilber im Meer? | |
| Vor allem aus der Kohleverbrennung, aber auch aus Müllverbrennungsanlagen. | |
| In Deutschland kommen von 7.000 Tonnen Quecksilber im Jahr 5.000 aus diesen | |
| Quellen. Wenn man die Grenzwerte reduziert, wie jetzt die USA, wird der | |
| Eintrag in die Umwelt geringer. Es gibt auch natürliche Quellen wie | |
| Gesteinsverwitterungen oder Vulkane. Global gesehen stammt etwa die Hälfte | |
| des emittierten Quecksilbers aus natürlichen Quellen. | |
| Wie groß ist das Problem mit den Energiesparlampen? | |
| Pro Jahr werden etwa 40 Millionen Energiesparleuchten in Deutschland | |
| verkauft. Bei einem Quecksilber-Wert von 2,5 Milligramm pro Leuchte – das | |
| ist der Grenzwert, der jetzt gilt – kommen wir auf 100 Kilogramm | |
| Quecksilber im Jahr. Daraus resultiert – global gesehen – also keine | |
| massive Belastung. | |
| Was kann man gegen Quecksilber aus Kohlemeilern tun? | |
| Man kann Kohlekraftwerke und Müllverbrennungsanlagen mit Filtern | |
| nachrüsten. | |
| Kann man auch etwas gegen das Quecksilber machen, das schon in der Nordsee | |
| ist? | |
| Nein. Elemente wie Blei, Cadmium, Zink oder Quecksilber werden nicht | |
| abgebaut. Das einzige, was dazu führt, das Quecksilber aus dem Kreislauf | |
| entfernt wird, ist seine Einlagerung in sauerstofffreiem Sediment. | |
| Irgendwann liegt es so weit unten, dass daraus schwerlösliches | |
| Quecksilbersulfid wird. | |
| Wie lange dauert das? | |
| Wenn wir jetzt nichts mehr einleiten würden, dann würde es in den | |
| schlickigen Wattsedimenten etwa zehn bis 15 Jahre, in den sandigen | |
| Sedimenten etwa 30 Jahre dauern, bis das Quecksilber tief genug versinkt. | |
| In der küstennahen Nordsee würde es noch länger dauern. | |
| In den USA gelten viel niedrigere Grenzwerte. Die Bundesregierung sagt: Das | |
| kann man nicht vergleichen. | |
| Das ist ein Streit unter Experten. Meiner Meinung nach will die | |
| Bundesregierung einfach die großen Stromerzeuger nicht noch stärker | |
| belasten. Ein Prozent der Bevölkerung, das sagt auch die Bundesregierung, | |
| hat Quecksilbergehalte im Blut, die über den Referenzwerten liegen. Für | |
| dieses eine Prozent will die Bundesregierung die Industrie nicht mit | |
| enormen Kosten belasten. Meiner Meinung nach sollten die Grenzwerte für die | |
| Emission von Quecksilber bei uns deutlich gesenkt werden. | |
| Was können die USA, was wir hier nicht können? | |
| Die niedrigeren Grenzwerte ließen sich auch hier einhalten. Das ist eine | |
| Kostenfrage. Es fehlt aber der politische Wille. Bei anderen Schadstoffen | |
| lassen sich die Erfolge beim Senken der Belastungen durchaus nachweisen – | |
| beim Quecksilber nicht. | |
| Es fehlt Problembewusstsein? | |
| Nach dem, was die Bundesregierung derzeit verlauten lässt: Ja. Andere | |
| EU-Staaten haben noch nicht einmal Grenzwerte. Es ist nicht die | |
| Bereitschaft erkennbar, sehr rasch zu handeln. Bei Cadmium oder Blei war | |
| das anders. | |
| Diese Schadstoffe konnte man unmittelbarer mit Erkrankungen in Verbindung | |
| bringen. | |
| Wir haben nicht das Problem, das Japan mit der Minimata-Krankheit hatte. Es | |
| gibt nur den verrückten Hutmacher aus Alice im Wunderland, der hatte eine | |
| Quecksilbervergiftung, das kam bei Hutmachern öfter vor. Zwar treffen | |
| Quecksilbervergiftungen besonders Föten, Säuglinge und Kleinkinder, | |
| hierzulande sind aber nur wenige Menschen betroffen. Und es ist schwer, | |
| einen unmittelbaren Kausalzusammenhang nachzuweisen. | |
| 9 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
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