# taz.de -- Renovierung: Schlussspurt zum Altar | |
> Bald wird der Pergamonaltar fünf Jahre lang nicht mehr zu sehen sein – | |
> danach winkt Beschleunigung beim Gucken. | |
Bild: Altes Juwel, hier 1998 kurz nach der Renovierung | |
Was werden wir vermissen, wenn ab 29. September der Pergamonaltar für | |
mindestens fünf Jahre wegen Renovierung nicht mehr zugänglich sein wird? | |
Wer in den letzten Jahren einmal eine Zeit lang auf der marmornen | |
Freitreppe des Altars gesessen hat, wird die Magie dieses Ortes gespürt | |
haben. Die Besucher und die sie umgebenden Götterbilder scheinen sich für | |
den Betrachter von der Treppe ganz zwanglos zu mischen. „Sehen und gesehen | |
werden“ heißt es hier. Zwar ist Ort ganz gegenwärtig und doch versetzt er | |
die Menschen in einen größeren Zusammenhang, er schafft Bezüge zu etwas | |
Größerem, zur Geschichte, zum Götterhimmel, zur Bildungstradition. | |
Nach überstandener Sanierung wird der Saal nicht fundamental anders sein. | |
Der Boden – jetzt noch mit dem roten Marmor aus Hitlers Reichskanzlei | |
bedeckt – wird fehlen und auch die derzeitige Farbe am Sockel des großen | |
Götter-Giganten-Frieses wird sich etwas verändern. Nach der Renovierung | |
soll alles so aussehen wie zur Eröffnung des Raumes 1930. Auch wenn in | |
Wirklichkeit vieles neu sein wird – vor allem die unsichtbare | |
Gebäudetechnik. Der große Götter-Giganten-Fries war ja schon in den Jahren | |
1994 bis 2004 saniert worden. Jetzt wird er nur eingehaust, um darüber die | |
Eisenkonstruktion der Glasdecke zu erneuern und eine neue Kunstlichtanlage | |
zu installieren. | |
## Masterplan der Stiftung | |
Aber die Schließung des Altarsaales des Pergamonmuseum gilt nicht nur einer | |
bloßen Renovierung, vielmehr steht die „Vollendung“ des Hauses auf dem | |
Plan, wie Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer | |
Kulturbesitz, das nennt. Laut Masterplan der Stiftung für die Museumsinsel | |
von 1999 wird das Gebäude nämlich mit einem vierten Flügel versehen und an | |
eine Archäologische Promenade angeschlossen, die alle Häuser der | |
Museumsinsel außer der Alten Nationalgalerie unterirdisch verbinden wird. | |
Als Haupteingang zu den Museen dient dann die James-Simon-Galerie. | |
Im Pergamonmuseum wird nach dem Umbau den dort beheimaten drei Museen | |
(Antikensammlung, Vorderasiatisches Museum und Museum für Islamische Kunst) | |
je ein Flügel zugeordnet sein. Der neue vierte Flügel schließt die Front | |
zum Kupfergraben. | |
Ziel des Masterplans mit der Archäologische Promenade und dem vierten | |
Flügel ist, dass zukünftig noch vielfach gesteigerte Besuchermassen wie ein | |
Strom durch das Haus gespült werden können. Schon heute hat das | |
Pergamonmuseum circa 1,4 Millionen Besucher jährlich. Die Umbauplanungen | |
haben bereits Kritik hervorgerufen. Dass damit die Museen zu | |
Durchlauferhitzern werden, mit den Highlights der antiken | |
Menschheitsgeschichte in knapp einer Stunde. Das heißt eben, dass auch | |
diejenigen, die vor dem Altar stehen bleiben wollen, quasi im Besucherstrom | |
mit fortgespült werden. Ähnlich läuft es ja bei der Mona Lisa im Louvre. | |
Die Wahrnehmung für den Besucher auf der Treppe des Pergamonaltars wird | |
sich also zukünftig verändern. Man wird einen Menschenstrom der bei den | |
Museumsleuten offenbar so begehrten Bustouristen am Altar vorbeifluten | |
sehen. Und alle Besucher werden sich in der Betrachtung der 113 Meter | |
langen Frieses ähnlich fühlen wie früher beim Schlussverkauf. | |
## Zeit und Muße | |
Was verloren gehen wird, ist eine bei den Museumsleuten offenbar als | |
unzeitgemäß befundene Haltung der Kontemplation. Wer den Altar aber | |
wirklich erfassen will, braucht vor allem zwei Dinge: Zeit und Muße. Und | |
das wird den künftigen Besuchern verwehrt. Denn der Pergamonaltar ist ja | |
nicht deshalb gerühmt, weil er als größter Altar der Antike einen | |
Superlativ darstellt. Er ist ein wunderbares plastisches Kunstwerk, auf dem | |
sich rund 50 olympische Götterfiguren tummeln und 60 der ihnen | |
widerstreitenden Giganten. | |
Aber was davon wird das Museum jenen Besuchern zukünftig vermitteln können, | |
die den Altar sozusagen im Vorbeigehen wahrnehmen? Den meisten Besuchern | |
werden wohl weder die antike Stadt Pergamon nahe der Westküste in der | |
heutigen Türkei kennen, noch deren Geschichte. Sie werden auch nicht | |
unbedingt den mythologischen Hintergrund parat haben, dem das Geschehen auf | |
dem Fries folgt, geschweige den die Geschichte von Telephos, dem mythischen | |
Gründers Pergamons, die im zweiten Fries in der oberen Säulenhalle des | |
Altars zu sehen ist. Vermutlich werden die Touristengruppen ohnehin keine | |
Zeit haben, die Stufen bis zur Oberterrasse zu erklimmen, wo vor 22 | |
Jahrhunderten die Brandopfer dargebracht wurden. | |
Auf die Schnelle sieht man aber beim Pergamonaltar gar nichts. Man muss | |
sich einsehen. Die Wahrnehmung der verschlungenen Figurengruppen, zu denen | |
die sich windenden Schlangenleiber maßgeblich beitragen, die den Giganten | |
statt der Beine gewachsen sind, braucht Entschleunigung. Dann wird man | |
vielleicht auch erkennen, dass das tobende Gemetzel zwischen Göttern und | |
Giganten auch ein Stück Propaganda darstellt: für die Überlegenheit der | |
griechischen Zivilisation gegenüber primitiveren Gegnern. | |
## Schön, edel und gut | |
Und doch triumphiert über allem die Schönheit der Darstellung. Jenes Schöne | |
und Ideale, das wir an den alten Griechen seit Winckelmann so schätzen, | |
selbst wenn von „edler Einfalt und stiller Größe“ hier nichts zu sehen is… | |
sondern der Dynamismus spätgriechischer Plastik. Der Pergamonaltar ist ein | |
Höhepunkt hellenistischer Kunst. Er war auf dem Burgberg von Pergamon mit | |
seinen Tempelbauten aber auch Teil einer Repräsentationskulisse. Und das | |
ist er in Berlin ebenso, seit er 1901 hier erstmals ausgestellt wurde. | |
Noch immer empfinden wir die Kunst der Griechen als schön, edel und gut. | |
Diese Empfindung verleitet zur Annahme, die griechische Kultur sei Ursprung | |
unserer eigenen Geschichte. Und Ursprünge haben immer eine besondere Magie. | |
Was wir also vermissen werden, wenn der Pergamonaltar demnächst in unserem | |
Gesichtskreis fehlt, ist ein Stück Identität, der Glaube an einen Ursprung, | |
der in den Unbilden der sich immer schneller wandelnden Gegenwart der | |
letzte Anker ist. | |
21 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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Sanierung | |
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