| # taz.de -- Die Wahrheit: Deutsche Höflichkeit | |
| > Wer als Deutscher von einer Reise nach Deutschland zurückkehrt, weiß was | |
| > ihm blüht. Was empfinden Besucher aus dem zivilisierten Ausland? | |
| Wer von einer Reise nach Deutschland zurückkehrt, weiß als Bewohner dieses | |
| Landes, was ihm blüht. Was aber empfindet der Besucher aus dem | |
| zivilisierten Ausland, wenn es nach seiner Ankunft auf unserem | |
| Hauptstadtflughafen spät nachts am Taxistand zugeht wie bei den | |
| Gladiatorenkämpfen im alten Rom? Leider ist nämlich der, der am Ende übrig | |
| bleibt und, kaum dass der Staub sich gelegt hat, vorsichtig aus der Deckung | |
| kriecht, nicht der Gewinner. | |
| Hat der ausländische Besucher die landesüblichen Willkommensrituale | |
| unversehrt überstanden, muss er feststellen, dass weit und breit kein Taxi | |
| mehr zu sehen ist. Mit ihm zurückgeblieben sind die Mühseligen und | |
| Beladenen: verstörte Schwangere, Frauen mit Kleinkindern, alte Leute mit | |
| schweren Koffern und Ausländer wie er selbst. Auf den Gesichtern spiegelt | |
| sich Verwirrung oder Resignation, je nachdem, ob man der Erfahrung zum | |
| ersten oder wiederholten Male ausgesetzt war. | |
| Der Gast aus dem Ausland macht sich mitten in der Nacht auf den Weg in die | |
| Stadt. Unterwegs fahren Autos an ihm vorbei, deren Insassen sich fragen, | |
| was der zwielichtige Kerl da am Rande der Straße zu suchen hat. | |
| Was ist dieses Deutschland, das seine Besucher so empfängt, für ein Land? | |
| Offenbar eines, in dem die Menschen Angst haben, zu kurz zu kommen; Angst, | |
| dass es nicht für alle reicht, wenn man sich geduldig anstellt; Angst, dass | |
| Reisende aus dem Ausland einem was wegschnappen könnten. „Höflichkeit“ und | |
| „Rücksichtnahme“ sind dazu da, in Ländern praktiziert zu werden, die es | |
| nötig haben. In unserem dagegen ist man damit beschäftigt, Gründe dafür zu | |
| finden, ihnen das Adjektiv „falsch“ voranzustellen. | |
| Freundlichkeit, so muss man wissen, ist nämlich lediglich verkleidete | |
| Heimtücke, ganz besonders wenn sie von den als ausgesprochen freundlich | |
| geltenden Amerikanern ausgeht, denn in Wahrheit täuschen die damit ja nur | |
| über die Ausrottung der Indianer hinweg und natürlich über Vietnam, den | |
| Irakkrieg und ihre regelmäßigen Amokläufe. | |
| Wir Deutsche, die wir seit Langem politisch vorbildlich unaggressiv sind, | |
| müssen eben nicht – wie zum Beispiel solche kriegslüsternen Nationen – | |
| politische Aggressionen mit guten Umgangsformen aufwiegen. Soll uns keiner | |
| sagen, wie wir uns zu benehmen haben! Wir dürfen munter drauflosrempeln, | |
| wir brauchen kein scheinheilig nettes Getue – klare Kante, bei uns weiß | |
| man, woran man ist! | |
| Blöd nur, dass es seit den Waffenlieferungen in Krisenregionen damit vorbei | |
| sein könnte. Mit Interesse darf abgewartet werden, ob mit der Beteiligung | |
| der Bundeswehr an Kriegen die Kompensation durch verbesserte Umgangsformen | |
| in der Heimat beginnt. Das hieße zwar nicht viel Gutes für den ohnehin | |
| schon schwer ramponierten Weltfrieden, aber in Deutschland brächen | |
| herrliche Zeiten an, wenn jeder, der hier lebt, egal wie alt und ob mit | |
| oder ohne Migrationshintergrund, mindestens zehnmal am Tag „Bitte“, „Dank… | |
| und „Gern geschehen“ sagt. Und am Taxistand eine Schlange bildet. Man kann | |
| ja mal klein anfangen. | |
| 2 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Pia Frankenberg | |
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