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# taz.de -- Der besondere Heimatfilm: Digital-Panik in Heide
> Mit „Gefällt mir“ hat Michael David Pate einen medienkritischen
> Horrorfilm gemacht. Möglich wurde das durch eine raffinierte
> Finanzierungskampagne – und den Lokalstolz zahlreicher Dithmarscher.
Bild: Im Film nur Deko, aber für sein Zustandekommen immens wichtig: Hunderte …
DITHMARSCHEN taz | Bei diesem Film ist die Produktionsgeschichte spannender
als der Inhalt, denn er wurde entgegen allen Regeln des Kinogeschäfts
finanziert, gedreht und vertrieben. Seit ihrem 15. Lebensjahr basteln die
Brüder Michael David und Miguel Pate im Filmhandwerk herum, inzwischen auch
professionell: Michael David Pate hat bei diversen deutschen und
internationalen Produktionen die Regie bei der 2. Unit geführt, Drehbücher
übersetzt oder sie überarbeitet. Sein Bruder Miguel arbeitet viel in
Hollywood, war Regieassistent bei den letzten Filmen von Quentin Tarantino.
Michael aber ist Familienvater und blieb deshalb stets in seiner
Heimatstadt – Heide im Kreis Dithmarschen.
2011 hatte er die Idee für ein Drehbuch, in dem verschiedenen Probleme der
digitalen Medien durchgespielt werden: Es geht um die Naivität, mit der
junge Menschen in den sozialen Netzen ihre intimsten Geheimnisse
offenbaren, um den Voyeurismus der User, die nach immer brutaleren
Schreckensbildern verlangen und um die digitalen Pranger, bei denen rigoros
zur Selbstjustiz aufgerufen wird. „Was wäre, wenn?“, fragt Pate: Was wäre,
wenn ein Serienkiller in der norddeutschen Provinz sich seine Opfer unter
jungen Frauen in Chatrooms sucht und er dann Bilder von ihren Leichen auf
ihre Accounts lädt ? Er stellte sein Skript mehreren Produzenten vor, ohne
Erfolg, und beschloss, selbst in die vordere Reihe des Filmhandwerks zu
treten und den Film unabhängig selbst zu machen.
Dabei pokerte er von Anfang an sehr hoch: Er nutzte seine professionellen
Verbindungen und bot SchauspielerInnen aus seinem Bekanntenkreis Rollen an.
Dabei gab er keck bekannt, die Dreharbeiten fänden im nächsten Herbst
statt. Als die Resonanz positiv war, konnte er, wenn schon nicht mit einer
bekannten, so doch wenigstens professionellen Besetzung werben. Und vor
allem in seiner Heimatstadt sorgte er dafür, dass viele von seinem Projekt
erfuhren – seine vielleicht raffinierteste Taktik bestand darin, dass er
eine Massenszene auf dem großen Marktplatz von Heide drehte: Mehr als 400
Komparsen bildeten einen riesigen „Gefällt mir“-Facebook-Daumen und wurden
dabei von einem 65 Meter hohen Kran aus aufgenommen.
Im Film ist das nur eine kurze, eher dekorative Einstellung, entscheidend
war aber die Wirkung dieser Aktion in der Stadt: Alle redeten darüber, in
der örtlichen Presse wurde viel geschrieben und es meldeten sich lokale
Geldgeber, die jeweils ein paar Tausend Euro in den Film investieren
wollten. Ein Restaurantbesitzer, ein Kinobetreiber, Ärzte – der örtliche
Mittelstand finanzierte den Film und im Vergleich dazu ist das inzwischen
gängige Crowdfunding konventionell.
„Wenn ich nicht zum Set kommen kann, muss der Set zu mir kommen“, erklärt
Pate seine Entscheidung, fast ausschließlich in Heide zu drehen. Aber auch
dafür gab es gute strategische Gründe – den Heimvorteil: Wiederum halfen
viele, Drehgenehmigungen waren kein Problem und so wurde der Film für ein
deutlich niedrigeres Budget fertiggestellt als geplant.
Auch den Vertrieb schließlich organisierte man abseits der gewohnten
Bahnen: Normalerweise bringen Verleihe Filme in die Kinos, sie haben die
Kontakte zu Ketten und Betreibern, kümmern sich darum, dass die Filme auch
materiell in die Kinos gelangen, organisieren die Promotion mit
Pressearbeit sowie Werbung. Pate und sein Team machten auch dies alles
selbst: Sie riefen hunderte von Kinomachern an, entwarfen eine originelle
Homepage, und sogar die Logistik eines Filmstarts scheinen sie gut
gemeistert zu haben. „Gefällt mir“ wird in mehr als hundert Kinos gezeigt
werden, allerdings nicht überall zum heutigen Starttermin, sondern
mancherorts erst in der nächsten oder übernächsten Woche.
Gegen so manche Erwartungen – denen des Publikums – arbeitet Pate auch
inhaltlich: Was als typischer Genrefilm beginnt, mit einer positiven
Heldin, für die offensichtlich Lisbeth Salander aus der
„Millenium“-Trilogie von Stieg Larsson Pate gestanden hat. Statt Salanders
Punkfrisur trägt diese Natascha (Isabella Vinet) Rastazöpfe, eine ideale
Identifikationsfigur ist die Kampfsportlerin mit dem ständig zornigen
Gesichtsausdruck nichtsdestoweniger. Als ihre Geliebte von einem
Serienkiller mit grotesker Ledermaske umgebracht und danach im Netz
verhöhnt wird, beginnt sie einen brutalen Rachefeldzug, der wiederum ihr
immer mehr Zustimmung im Netz einbringt – Natascha handelt, wo andere nur
reden. So stürmt sie eine Fernsehtalkshow und tritt einem Experten, der den
Täter als therapiebedürftiges Opfer beschreibt, vor laufender Kamera in den
Unterleib.
Pate inszeniert dies so, dass alle Sympathien auf der Seite der
anarchistischen Rächerin liegen, deren Aktionen mit der Zeit aber immer
fragwürdiger werden. Wenn nach einem „Galgen auf dem Marktplatz“ gerufen
wird oder Neonazis ein Online-Tribunal gegen einen ausländischen „Täter“
abhalten, kippt der Film, wird zunehmend unbequem. Bei einer
Hinrichtungsszene zitiert Pate dann auch noch die Ikonografie des Terrors,
die aktuell durch die Propagandavideos der sogenannten IS für Schrecken
sorgen.
Pate will das Genrekino mit seinen eigenen Mitteln schlagen und ist dabei
seltsamerweise dem Michael Haneke von „Funny Games“ näher als seinem
offensichtlichen Vorbild Quentin Tarantino. Da ist es vielleicht kein
Wunder, dass das Online-Fanzine „Gamora“ einen wütenden Verriss
veröffentlichte – Fazit: „zu doof, um ernst genommen zu werden“. Aber Pa…
versucht hier zumindest zu beschreiben, wie komplex die moderne Medienwelt
geworden ist. Dabei überhebt er sich fast zwangsläufig, sein Plot wird
immer undurchschaubarer. Er hätte sich WWW vielleicht als „Wer, Wenn,
Warum“ übersetzen sollen. Sehenswert ist „Gefällt mir“ aber schon wegen
seiner verwegenen Prämisse – und weil er, rein filmisch, zum Teil
beängstigend gut funktioniert. Im heimischen Heide wird man ihn ohnehin
lieben, denn zu sehen ist jede halbwegs interessante Örtlichkeit. Dies ist
also auch ein Heimatfilm.
## ab heute im Kino
9 Oct 2014
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Film
Norddeutschland
CDU Schleswig-Holstein
Til Schweiger
Dokumentarfilm
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