# taz.de -- Tourstart von „Mutter“: Niemals weiter wie bisher | |
> Die legendäre Kreuzberger Noiserock-Band Mutter geht auf ihrem Album | |
> „Text und Musik“ sanftmütig zu Werke. Was ist denn nun los? | |
Bild: „In Kreuzberg ist genug Platz für alle“, sagt Max Müller (2. v. l.)… | |
Max Müller sitzt auf einer Bierbank in Kreuzberg. Pressearbeit machen. Die | |
anderen aus seiner Band haben dazu keine Lust. Max Müller ist Sänger der | |
Berliner Noiserockband Mutter, er komponiert ihre Songs und schreibt auch | |
alle Texte. | |
Max Müller, der mit Vornamen eigentlich Thomas heißt, wie der Fußballer, | |
lässt während des Gesprächs seine Sonnenbrille auf. Selbst ein Antiheld wie | |
er ist dann halt auch ein Rockstar. Angeblich war er sogar ganz kurz beim | |
Funpunk-Trio Die Ärzte dabei. Spindeldürr ist er, wie Mick Jagger mit 20. | |
Dass Müller wirklich schon 51 Jahre alt sein soll, glaubt ihm niemand. | |
Während des Interviews nuckelt er an einer Flasche Wasser. Auch eine so | |
legendäre Type wie er, die auch malt und immer mal wieder schriftstellert, | |
kann sich in seinem Kiez bewegen, ohne dass ihn jemand behelligen würde. | |
Legendäre Typen haben ihren Ruf schließlich nur in überschaubaren Kreisen, | |
und dasselbe lässt sich auch über seine Band sagen. Immerhin hat anlässlich | |
des neuen Albums „Text und Musik“ sogar das Berliner Boulevardblatt BZ über | |
Mutter berichtet und will herausgefunden haben, dass Max Müller der | |
„Kreuzberger Frank Sinatra“ genannt wird, was eine wirklich aberwitzige | |
Behauptung ist. Denn so lakonisch wie Max Müller zu singen, das hat Frankie | |
Boy sein Lebtag nicht hinbekommen. Ein bisschen schreibt die BZ über die | |
Berliner Lärmband aber auch, als wäre sie ein Ungeheuer mit zwei Köpfen, | |
das in Kreuzberg ausgeschlüpft ist und nun sein Unwesen treibt. | |
## Die Komplettverweigerung | |
In Tat und Wahrheit ist die Geschichte der Band Mutter großartig und | |
gleichzeitig seltsam banal. Eigentlich handelt sie von einer Rockband, die | |
nun seit bald 30 Jahren aktiv ist, eben „Text und Musik“ macht, wenn man so | |
will. „Wir waren niemals hier“ heißt ein sehenswerter Dokumentarfilm über | |
Mutter von 2007, der zeigt, dass auch in der beschaulichen Undergroundwelt | |
Westberlins miteinander gerungen wird, als sei man ein | |
Millionen-Dollar-Projekt. Und doch, die Karriere von Mutter ist singulär, | |
weil es in ihr so viel um Beharrung geht und um die Komplettverweigerung, | |
sich anzupassen. | |
Es gibt schlichtweg keine andere Band, die derart lange derart unbehaglich | |
geblieben wäre, ohne dass es traurig wirkte. Wenn Müller sich auf der Bühne | |
mit dem Mikro in der Hand krumm und gleichzeitig ekstatisch auf dem Boden | |
windet und Schlagzeuger Florian Koerner von Gustorf mit behaartem freiem | |
Oberkörper auf die Becken eindrischt, ist das zwar typisch Mutter, genauso | |
typisch ist es aber auch, dass diese Show beim nächsten Konzert völlig | |
anders ausfällt. Routine gibt es bei Mutter nicht. „Ich wollte nie eine | |
Band haben, die ihre Sachen auswendig kann und immer gleich gut spielt“, | |
sagt Müller. | |
Musikalisch ist sein Projekt sowieso schwer zu fassen, das gilt auch für | |
das neue Album „Text und Musik“. Von Haus aus ist die Band dem stumpfen, | |
postpunkigen Noiserock verpflichtet. Aber nun klingen die Musiker plötzlich | |
so sanftmütig, als zielten sie auf Airplay im Frühstücksradio ab. Oboe, | |
Querflöte und Trompete kommen auf den neuen Songs zum Einsatz, damit war | |
nun wirklich nicht zu rechnen gewesen. In dem Stück „Ihr kleines Herz“ | |
erklingt gar ein Discobreak, urplötzlich und ziemlich brutal, so etwas gab | |
es bei Mutter noch nie. | |
Es kommt einem so vor, als sei diese Band einfach immer weiter stoisch | |
ihren Weg gegangen, der darin bestand, Alben mit Musik für Randgruppen zu | |
machen, Konzertsäle möglichst schnell leer zu spielen und partout den zwei | |
Akkorden, die den Muttersound prägen, keinen dritten hinzuzufügen. | |
## Manchen scheitern sehen | |
Aber ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Die Gründungsmitglieder | |
Müller und Koerner von Gustorf sind die letzten beiden Konstanten in der | |
Bandbesetzung. Bassist Kerl Fieser hat vor Längerem ade gesagt. Seit dem | |
Ausstieg von Ur-Mutter-Gitarrist Frank Behnke hat die Band alle paar Jahre | |
einen Gitarristen verschlissen. Olaf Boqwist, der aktuelle, ist erst seit | |
einem Jahr dabei. Gitarrist bei Mutter scheint ein anspruchsvoller Job zu | |
sein. „Technisch ist das alles leicht zu spielen“, erläutert Max Müller, | |
„es geht eher darum, unsere Art von Musik zu begreifen.“ | |
Bei diesem Versuch habe er, sagt Müller, schon so manchen scheitern sehen. | |
Der Sänger hat genaue Vorstellungen davon, wie seine Band funktionieren | |
soll. „Das Schlimmste ist Stillstand“, sagt er, „nach unserem Album | |
’Hauptsache Musik‘ meinten ja alle, wir müssten musikalisch genauso | |
weitermachen. Aber genau das wollte ich nicht.“ | |
„Hauptsache Musik“, muss man dazu wissen, ist das 1994 erschienene Album | |
der Westberliner, mit dem die Band beinahe berühmt geworden wäre. Mit „Die | |
Erde wird der schönste Platz im All“ hat es einen heimlichen Hit. Die Musik | |
klingt fast schon unheimlich ruhig und melancholisch, auf Gitarrenlärm | |
wurde zugunsten von Hooklines verzichtet. Alle dachten, Mutter seien | |
geheilt vom Krach. Doch die Band machte danach weiter, als hätte es | |
„Hauptsache Musik“ nie gegeben. | |
Nach zuletzt krachigeren Werken nähert sich „Text und Musik“ nun | |
streckenweise dem Klangbild ihrer zugänglichsten Phase an. Aber das Pathos, | |
vor dem Mutter bei „Hauptsache Musik“ einen Moment lang keine Angst hatten, | |
fehlt bei „Text und Musik“ völlig. Und ein Chor auch. | |
## Konzentration aufs Wesentliche | |
Einfach „tolle, runde Songs“ hatte Max Müller im Sinn, sagt er und spricht | |
davon, wie die Musiker zwei Jahre damit verbracht haben, Arrangements | |
auszuarbeiten, die am Ende „ganz spartanisch“ klingen sollten. | |
Konzentration aufs Wesentliche, sagt Müller, auf, wie es der Titel schon | |
sagt, „Text und Musik“. | |
Dabei schwärmt Müller von den Breitwandproduktionen eines Kanye West, was | |
verdeutlicht, dass es ihm in seiner eigenen Musik um mehr geht als die | |
Erfüllung simpler Rockschemen. Und er schwört auf den belgischen Star | |
Stromae, den er durch seinen achtjährigen Sohn kennengelernt hat. „Der | |
macht eine unglaubliche Mischung aus Electro und Chanson“, sagt er, „nur | |
Rock zu hören, wäre mir zu fad.“ | |
Dann schickt er hinterher: „Über meine Texte sag ich nix. Die muss man sich | |
schon selbst zusammenreimen“, um dann doch noch ein wenig seine Arbeit an | |
den Worten zu erklären: „Ich schreibe über Dinge, die vor meiner Türe | |
passieren. Es sind sehr präzise, sehr klare Texte.“ Das stimmt, Müllers | |
Songtexte sind weder verquast wie der sogenannte deutsche Diskurspop, noch | |
findet sich in ihnen diese Betroffenheitslyrik, wie sie bei jüngeren | |
deutschsingenden Bands oftmals anzutreffen ist. Da wird einfach nur | |
beschrieben. | |
Müller nimmt eine Beobachterposition ein. So singt er etwa über Sinti und | |
Roma in dem Song „Wer hat schon Lust so zu leben“. Er selbst jedenfalls | |
findet: „In Kreuzberg ist genug Platz für alle. Ich bin froh, dass so viele | |
Leute herkommen. Auch Touristen: Herzlich willkommen! Wenn ich nach | |
Mallorca fahre, werde ich dort auch nett empfangen. Da muss ich mich ja | |
echt schämen, wenn Spanier nach Berlin kommen und dann Schilder behaupten: | |
Nicht für Spanier.“ | |
Max Müller singt nicht nur klar und direkt, er spricht auch so. | |
19 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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