# taz.de -- Kolumne Die Gute Ausländerin: Alles Juden | |
> Als Vollwaise vom Kinderheim nach Deutschland und dann ohne Schulbesuch | |
> gleich in U-Haft: Wer kann an einem solchen Schicksal nur schuld sein? | |
Bild: Demonstranten in Berlin als „Opfer“ eines israelischen Angriffs. | |
Mein erster Freund in Deutschland war Palästinenser, ich lief die Wiener | |
Straße in Kreuzberg entlang mit einer britischen Freundin, und er sprach | |
mich an. | |
Das, was er mir sagte, war ein bisschen antisemitisch, ich denke, alle | |
würden das zugeben, glaube ich zumindest, sogar meine Freunde, die super | |
Palästina-solidarisch sind, würden zugeben, dass es antisemitisch gewesen | |
ist: „Hey du!“, sagte er, „dein Land hat mein Land an die Juden verkauft!… | |
– „Oh“, sagte ich, „das tut mir leid!“, und ich gab ihm meine Handy-N… | |
Ich war zwanzig, es war Sommer, 14 Jahre ist das her. Wenn jetzt | |
Palästinenser Engländerinnen auf der Wiener Straße ansprechen wollen, ist | |
die Auswahl größer geworden. Ein paar Monate später guckte ich mit ihm die | |
Bilder von 9/11 an, ich war bekifft und verstand nicht die | |
Ingenieurtechnik. „Gab es eine Bombe in dem Flugzeug?“, fragte ich. Er | |
lachte mich aus. | |
Er war auf jeden Fall antisemitisch, mein erster Freund in Deutschland – | |
für ihn waren alle Juden: Schröder, Bush, Thatcher, Blair. | |
Er war Vollwaise, sagte er. Er wuchs im Heim auf, kam mit 15 nach | |
Deutschland und ging sofort in U-Haft. Er war nie auf einer deutschen | |
Schule, hat sich aber sich selbst das Schreiben mit lateinischen Buchstaben | |
beigebracht: „JaCinTa“, schrieb er auf Zettel, „I lOVe yoU TO Match!“ Er | |
ist bis heute der einzige Mann, der mir Liebesbriefe geschrieben hat. | |
## Reiche... Norweger! | |
Als Kind ist er gesponsert worden von irgendwelchen Leuten in Norwegen. Ihr | |
kennt diese Sachen, die ich meine, ne? Sponsor-a-Child in irgendeinem armen | |
Land, so als ob es ein Esel oder eine Affe sei. Man macht das halt, denkt | |
nicht drüber nach. Man nimmt das nicht ernst. | |
Aber für ihn waren diese Leute in Norwegen echte Menschen, die waren echte | |
Paten, er nahm das ernst. „Meine Pateneltern in Norwegen“ nannte er sie. | |
Als ich das mitgekriegt habe, fühlte ich mich komisch, hatte fast ein | |
schlechtes Gewissen. | |
„Meine Pateneltern wohnen in Finnland!“, sagte sein Bruder mal. | |
Seine Verwandten kamen immer morgens vorbei und sind dann einfach nicht | |
wieder gegangen. Man durfte nie fragen, wann sie weggehen würden, man | |
musste immer nur Tee anbieten. Und er hatte viele Verwandte. | |
„Meine Pateneltern waren gute Leute – und so reich! Ich habe ein Foto von | |
ihrem Haus, so groß das Haus!“ Sein Cousin sagte: „Meine waren auch sehr | |
gut, sehr gute Menschen. Sehr reich, gute Leute. In Westdeutschland. Sie | |
schicken immer noch Postkarten.“ – „Meine Pateneltern waren reicher als | |
eure Pateneltern!“, rief mein Exfreund. „Meine Pateneltern in Norwegen | |
waren die reichsten! Sie waren so nett, so gut, sie waren Ärzte! Gute | |
Menschen.“ | |
Sein Gesicht, wenn er traurig war, erinnerte mich an meine Oma oder an E.T. | |
„Ich habe keinen Kontakt mehr“, sagte er. „Ich will nicht, dass sie wisse… | |
was ich jetzt bin. Dass ich jetzt so bin, wie ich bin.“ Er seufzte. | |
„Sie sollen nicht wissen, dass sie ihr Geld verschwendet haben!“ | |
Ich sagte unschuldig: „Wenn sie so reich waren, vielleicht waren sie auch | |
Juden?“ | |
Er schlug mich auf den Kopf. Nicht hart. Und ich biss in meine Zunge. | |
22 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Jacinta Nandi | |
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