# taz.de -- Filmproduzentin über weibliche Genitalien: „Es herrscht eine gan… | |
> Ulrike Zimmermann spricht über ihren Film „Vulva 3.0“. Sie hat mit | |
> Regisseurin Claudia Richarz eine sex-positive Perspektive gefunden. | |
Bild: Laura Méritt: „I think I've got the biggest collection of pussies in a… | |
taz: Frau Zimmermann, gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie veranlasst hat, | |
sich mit dem Thema Vulva zu beschäftigen? | |
Ulrike Zimmermann: Ja. Ich war im Irak für Dreharbeiten an einem Film über | |
kurdische Geschäftsfrauen. Nach meiner Arbeit dort erfuhr ich, dass wohl | |
ein Großteil der Frauen, mit denen ich arbeitete, beschnitten war. Da bin | |
ich sofort in dieses Raster gefallen, dass diese Frauen in sehr | |
umfangreicher Weise beeinträchtigt sein müssen. Das Bild, das ich von ihnen | |
hatte, hat sich total gewandelt. Ich habe schlagartig nicht mehr die | |
erfolgreiche Geschäftsfrau gesehen, sondern ein Opfer. Und das, obwohl ich | |
seit jeher für diese Art Opferdiskurs sensibilisiert bin. Das hat mir zu | |
denken gegeben, und ich habe angefangen, zum Thema Beschneidung zu | |
recherchieren. Ich wollte wissen, warum ich so reagiert habe. | |
Warum ist es dann am Ende kein Film nur über Beschneidung geworden? | |
Ich stellte erst einmal fest, dass das Thema tiefe Abgründe hat. Unsere | |
Vorstellung von Beschneidung ist sehr auf Afrika beschränkt. Wir denken an | |
dunkle Hütten, rostige Rasierklingen, Orte und Taten, die ganz weit weg | |
sind. In Wirklichkeit ist das Thema aber ganz nah. Die letzte | |
Genitalverstümmelung in Europa hat 1960 in England stattgefunden, zur | |
Behandlung der „Hysterie“. Der ganze Themenkreis ist näher, als wir denken. | |
Da habe ich gemerkt, dass es einen großen Lernbedarf gibt. Und je mehr ich | |
Menschen kontaktierte, zunächst vor allem Ärzte, desto größer und | |
umfangreicher wurde das Thema. | |
Auffällig ist vor allem Ihr positiver Zugang zum Thema Vulva. Vergeblich | |
wird man in Ihrem Film auf Opferdarstellungen oder Anklagen warten. | |
Das war uns sehr wichtig. Auch Jawahir Cumar, eine Protagonistin des Films, | |
die sich gegen Beschneidung engagiert und auch selbst beschnitten ist, | |
strahlt Selbstbewusstsein aus. Die sagt einfach: „Ihr Mitteleuropäer könnt | |
mir doch nicht erzählen, ob ich Spaß beim Sex habe oder nicht.“ Das gefällt | |
mir sehr. | |
Der Film konzentriert sich auf Menschen, die sich mit dem Thema auf | |
verschiedenste Art und Weise auseinandersetzen. Inwiefern war es Ihnen | |
wichtig, keine eigene Wertung, etwa in Form eines gesprochenen Kommentars, | |
in den Film mit hineinzubringen? | |
Wir wussten, dass wir ein intelligentes Publikum haben, das sich seine | |
eigene Meinung bilden kann. Es war aber schon sehr gewagt, wenn es um das | |
Thema weibliches Genitale geht, einen Talking-Heads-Film zu machen. Das | |
Geheimnis, warum es aber funktioniert, ist, dass niemand über das | |
eigentliche Fachgebiet spricht. Ich habe eine Fragetechnik entwickelt, bei | |
der ich nur kurz auf das Fachliche eingehe und dann darüber hinausgehende | |
Fragen stelle. Dann fangen nämlich alle an, nachzudenken, die Protagonisten | |
und wir, und dann entstehen die besten, offensten Situationen. | |
Der Filmtitel „Vulva 3.0“ spielt auf Schönheitsoperationen im | |
Genitalbereich an, die auch eine große Rolle im Film spielen. Wie haben Sie | |
die Protagonisten dieser „Szene“, die Ärzte, die solche Eingriffe | |
durchführen, erlebt? Was hielten die von Ihrem Filmvorhaben? | |
Wir waren auf dem ersten Chirurgenkongress überhaupt dabei, der sich dem | |
Thema Schönheitsoperationen im weiblichen Genitalbereich gewidmet hat. Das | |
waren alles sehr engagierte Ärzte, die mit vollem Ernst beim Thema waren. | |
Die haben uns sehr vertraut und haben ganz offen mit uns gesprochen. Das | |
hat ein positives Gefühl erzeugt. Auch wenn ich persönlich es falsch finde, | |
sich im Genitalbereich zum Zwecke der „Verschönerung“ operieren zu lassen, | |
würde ich jede Frau, die so etwas vorhat, zu einem dieser Ärzte schicken. | |
Die sind zumindest mit dem Skalpell sorgfältig. | |
Was kennzeichnet hierzulande den Umgang mit dem Thema weibliche | |
Genitalität? | |
Es herrscht eine ganz große, weit verbreitete Scham. Alles, was im | |
Zusammenhang mit den Thema Frauen sexuell konnotiert ist, ist immer kurz | |
vor „Schlampe“. Da herrscht eine patriarchale Struktur, die Frauen | |
veranlasst, immer noch sehr zurückhaltend über Sexualität, über ihren | |
eigenen Körper zu sprechen. Es gibt keine öffentliche Kultur für Frauen, in | |
einer lustvollen Weise über Sexualität, über sich selbst zu sprechen, ohne | |
in Gefahr zu geraten, als „Schlampe“ denunziert zu werden. Da sind wir alle | |
sehr vorsichtig. Wir müssen da auch gegen die eigene Geschichte der | |
deutschen Frauenbewegung kämpfen. | |
Inwiefern? | |
Wir haben eine extrem reaktionäre, frauen- und vor allem lustfeindliche | |
Emanzipationsgeschichte. So sind auch die Wege, die mit feministischem | |
Engagement eingeschlagen werden, immer sofort assoziiert mit | |
Lustfeindlichkeit und Verachtung. Dieser frauenverachtende Teil, den wir in | |
der deutschen Alice-Schwarzer-Tradition haben, der steht einer | |
öffentlichen, lustvollen Sexualitätsdebatte entgegen. Da haben wir also | |
gleichzeitig gegen Patriarchat und Feminismus zu kämpfen. | |
Reagieren Frauen und Männer unterschiedlich auf den Film? | |
Ich beobachte immer gerne Paare, die den Film schauen. Da fällt mir | |
meistens auf, dass die Männer das eher schulterzuckend akzeptieren, so nach | |
dem Motto: Ja was habt ihr eigentlich, ist doch klar, dass es eine große | |
Vielfalt im Aussehen des weiblichen Genitales gibt und dass das völlig | |
normal ist. Jeder Mann, der heute sexuelle Erfahrungen macht, hat das | |
längst festgestellt. Die Frauen haben oft viel mehr Nachholbedarf. | |
31 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Carla Baum | |
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