Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Die große Ordnung des Dürfens
> So viel deppertes Nichtauseinanderhaltenkönnen: vom Journalismus bis
> Dieter Nuhr, von Gonzo bis Rumble in the Jungle. Da hilft nur ein „Ich“.
Bild: Comedy okay, Anzeige okay, weil Rechtsstaat okay.
Bei uns Österreichern ist ja das Bonmot beliebt, dass es in unserem Land
acht Millionen Bundestrainer gibt, die alles besser wissen als der Trainer
des Fußball-Nationalteams.
So wie bei uns mit dem Fußball steht es heute ganz allgemein mit dem
Journalismus. Jeder glaubt irgendwie zu wissen, dass der Journalismus heute
schlecht sei und wie es besser ginge. Zu wenig faktenorientiert, zu wenig
neugierig, zu verspielt, zu subjektiv, zu viel Meinung, zu viel politische
Agenda – das sind nur ein paar der Attribute, die der zeitgenössischen
Publizistik verliehen werden.
So ist in den vergangenen Jahren ein Satz +des TV-Journalisten Hajo
Friedrichs rauf- und runterzitiert worden: „Einen guten Journalisten
erkennt man daran, dass er sich nicht gemeinmacht mit einer Sache, auch
nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo
dazugehört.“
## Nullgrüpplerischer Objektivismus
Der Witz ist, dass Friedrichs diesen Satz nie gesagt hat. Und er ist ja
auch ein sehr blöder Satz. Und noch blöder wird er, wenn er einen
nullgrüpplerischen Objektivismus begründen soll. Also, streicht diesen Satz
aus den Lehrbüchern. Ein Journalist darf nicht nur parteiisch, sondern
sogar Aktivist sein. Letzteres darf nur nicht dazu führen, dass er
Qualitätsgrundsätze über Bord wirft oder gar die „eigenen“ Leute schont.
Dann wird aus Parteilichkeit dumpfer „Parteijournalismus“.
Das ist ein großer Unterschied. Aber wir brauchen doch nur die Probe aufs
Exempel machen: Wenn parteiisch-aktivistischer Journalismus ein schlechter
Journalismus ist, dann wäre also George Orwell ein grottenschlechter Autor?
Weswegen heute auch niemand mehr Orwells Berichte aus dem Spanischen
Bürgerkrieg liest, dafür alle die Berichterstatter von damals, die sich an
das quasiobjektive Neutralitätsgebot gehalten haben? Ganz bestimmt, so wird
es sein.
Zu all dem Gerede über Journalismus gehört das verwandte Nebenthema, dass
heute überall Sprech- und Denkverbote ausgesprochen würden. Das war ja auch
dieser Tage wieder großes Thema. Der Comedian und Satiriker Dieter Nuhr hat
ein paar Witze über den Islam gemacht und wurde von einem Salafisten
angezeigt – wegen Beleidigung einer Religionsgemeinschaft. Weshalb einige
jetzt erbost aufschreien: Was, selbst harmlose Witzchen wie die von Nuhr
sind in Deutschland verboten? So steht es bei uns um die Redefreiheit?
## Vielleicht super
Also, ich hab mich mit der Sache ja nicht intensiv beschäftigt. Ich nehme
an, Nuhrs Satire ist schon ganz okay. Vielleicht sogar super. Vielleicht
aber auch gähnend langweilig. Weiß ich nicht. Und der Salafist ist
sicherlich deppert.
Aber: Ein freiheitlicher, demokratischer Rechtsstaat ist eine große Ordnung
des Dürfens. Und zu dieser Ordnung des Dürfens gehört nicht nur, dass Herrn
Nuhrs Satire alles darf. Zu ihr gehört auch, dass jeder ihn kritisieren
darf. Dass man auch gegen ihn protestieren darf. Es darf auch jeder jeden
anzeigen. Eine Anzeige ist kein Verbot und auch noch kein Urteil. Das
Problem würde frühestens damit beginnen, wenn ein Gericht zu der
Einschätzung käme, dass Nuhrs Satire den Sachverhalt der Beleidigung einer
Religionsgemeinschaft erfüllte.
Davon ist aber keine Rede. Und ja: Ob man einen solchen Paragrafen
überhaupt braucht, darüber kann man mit Recht diskutieren. Aber das ist
nicht der Punkt, denn aus dem Paragrafen lässt sich eh kein Satireverbot
für Comedians ableiten. Erstaunlich ist, wie viele Leute offenbar nicht in
der Lage sind, die simpelsten Dinge auseinanderzuhalten.
## Sontheimer und das Ich
Aber zurück zum Journalismus. Der von mir hoch geschätzte Kollege Michael
Sontheimer hat sich in dieser Zeitung vor ein paar Wochen darüber mokiert,
der heutige Journalismus sei viel zu subjektiv geworden.
Überall ist nur von „ich“ die Rede. Fürchterlich sei das. Die schlimmste
Ausprägung sei der Gonzo-Journalismus, in dem nicht die Story im Zentrum
stehe, sondern der Journalist, der durch die Story stolpert. Freilich, auch
hier hilft die Probe aufs Exempel: Wenn der Gonzo-Journalismus so
schrecklich ist, warum werden Hunter S. Thompsons oder Tom Wolfes
Reportagen 40 years after immer noch gelesen?
Dieser Tage jährt sich zum 40. Mal der „Rumble in the Jungle“, der
legendäre WM-Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman in Kinshasa.
Der Kampf des Jahrhunderts. Gerade habe ich die großen subjektiven Storys
gelesen, die Bill Cardoso („Rummel im Dschungel“) und Norman Mailer („The
Fight“) damals geschrieben hatten.
Das ist großer Journalismus. Und große Literatur. Ich sitze da, ploppe mir
eine Bierdose auf und denke, dass das im optimalen Fall ohnehin nicht
trennscharf auseinandergehalten werden kann. Und dann ziehe ich mir meine
Boxhandschuhe an und meine weißen Everlast-Shorts (ja, die, die Ali damals
trug) und schlage Löcher in die Luft. Ich.
31 Oct 2014
## AUTOREN
Robert Misik
## TAGS
Dieter Nuhr
Journalismus
Dresden
Citizenfour
Kongo
Besser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Der rote Faden: Lupenrein fremdenkenntnisfrei
In Dresden formiert sich der Heimatschutz, die CDU freut das – und die UN
bitten um Ein-Dollar-Spenden, damit 1,7 Millionen Syrer nicht verhungern.
Kolumne Der Rote Faden: Deutsche Einheit, spanische Teilung
Im Schatten der Demokratie, die ihre Einheit feiert, erwachen die Geister
des Nationalen. Was hat das mit Edward Snowden zu tun?
Deutscher Abenteurer im Kongo: A Life in the Jungle
Der deutsche Geschäftsmann, der vor 40 Jahren Muhammad Alis Boxkampf
„Rumble in the Jungle“ organisierte, lebt heute in Kinshasa.
Kolumne Besser: Muslim krass beleidigt
Gäbe es einen Nobelpreis für Beleidigtsein, die islamische Welt würde nicht
so leer ausgehen wie sonst. Jüngster Fall: die Anzeige gegen Dieter Nuhr.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.