# taz.de -- Performance-Gruppe über LSD und Ekel: Wahnsinn statt Depression | |
> Das Künstlerkollektiv HGich.T treibt die ästhetische Apokalypse voran. | |
> Die Trash-Combo erklärt die Bandphilosophie von A bis Z. | |
Bild: Tarnweste, Wahnsinn, Goa: Alles, was eine schrille Show braucht. | |
Treffpunkt ist der Keller des Hamburger Vereins Frappant e. V. inmitten von | |
freilaufenden Kaninchen, verpinkeltem Heu und einem überquellenden | |
Aschenbecher. Nicht alle HGich.T-Mitglieder sind anwesend. Um alle zu | |
fassen, wäre der Raum zu klein. Bis zu 20 Künstler zählt das Kollektiv. | |
Mitgestaltet haben das „A bis Z“ Sascha Schreibvogel alias dj | |
hundefriedhof, Paul Geisler alias Dr. Diamond, Birte Thomsen alias Chanel, | |
Felix Bernd-Henning alias 12-Fingermann und Yasemine Ildiz alias Angel | |
Jolly eingefunden. Die Kaninchen interessieren sie nicht, die angebotenen | |
Reiswaffeln dafür umso mehr. | |
Albert Hofmann: Dem Entdecker von LSD verdanken HGich.T ihre psychedelische | |
Ästhetik, jedenfalls steht auf jedem ihrer Alben eine Widmung an ihn. „Noch | |
mit über 100 Jahren hat er auf einem Symposium einen Vortrag über LSD | |
gehalten“, erklärt dj hundefriedhof. | |
Billstedt: Proletarisch geprägtes Hamburger Wohnviertel von HGich.T. Dr. | |
Diamond: „Das soll angeblich das nächste neue Ding werden, das nun schicker | |
gemacht wird. Die letzte Schießerei dort ist lange her. Auf dem neuen Album | |
gibt es einen Track namens ’Im Nachtbus nach Billstedt‘. Darin sitzen nur | |
Verbrecher – und ich.“ | |
Chanel: Das neueste und mit 23 Jahren jüngste HGich.T-Mitglied. Seit einem | |
Jahr dabei. „Auf einer Kellerparty habe ich dj hundefriedhof kennengelernt. | |
Wir mochten uns sofort, und jetzt lege ich vor und nach den Auftritten | |
Goa-Trance auf.“ | |
Depression: „Zwischen Depression und Wahnsinn“ war der Untertitel für die | |
„Hauptschuhle-Tour“ von HGich.T (2012). Wer schon mal einen Auftritt des | |
Kollektivs erlebt hat, weiß, dass es dem reinen Wahnsinn näher ist als der | |
Depression. | |
Exzess: „Wenn schon, denn schon“, hat HGich.T-Mitglied Tutenchamun einmal | |
postuliert. „Wer alles nur ein bisschen will, hat am Ende gar nichts“, | |
konkretisiert Dr. Diamond. Die Konzerte von HGich.T sagen „Ja!“ zur | |
völligen Entgrenzung. | |
Fans: „Unter unseren Fans ist von Ballermann-Grobmotorikern bis zu | |
feinsinnigen Schöngeistern wirklich alles dabei. Das ist ja das Tolle, wie | |
sich das vermischt.“ | |
Gewalt: Siehe Exzess. „Letztens hat mir einer unter den Rock gegriffen, als | |
ich aufgelegt habe. Da hab’ ich ihm auf die Fresse geschlagen“, sagt | |
Chanel. „Dann hat er geheult und mich Schlampe genannt.“ | |
HFBK: An der Hamburger Hochschule für bildende Künste wurden HGich.T Ende | |
der neunziger Jahre gegründet. „Die Professoren Michael Haller und Gerd | |
Roscher, beides Alt-68er, haben uns sehr gefördert“, erinnert sich dj | |
hundefriedhof. „Unsere Videos haben da ihren Ursprung.“ | |
Iiih!: Der Ausruf mag manchem Zuschauer bei den Auftritten von HGich.T | |
rausrutschen, wenn mit Farbe geschmiert, mit Bier gespritzt und grotesk | |
getanzt wird. Mitglied Angel Jolly findet: „Leute, die Iiih! sagen, sind | |
doch langweilig!“ | |
Jessen, Nadine: Dramaturgin am Hamburger Kampnagel und Lieblingsmensch von | |
HGich.T: „Die hat hier einen Platz verdient, weil sie ein Goldschatz ist“, | |
sagt Chanel. Vergangenes Jahr veranstalteten HGich.T ein Festival auf | |
Kampnagel. Es hieß „Excess yourself“, und der Name war Programm: „Da gab… | |
verschiedene Räume, in denen man sich selbst feiern konnte“, erklärt Angel | |
Jolly. | |
Kaffee: „Ich finde es frech, dass Caffè latte in der gesellschaftlichen | |
Debatte als Symbol für Gentrifizierung missbraucht wird. Es ist ein tolles | |
Getränk, und eine solche Rufschädigung hat es nicht verdient“, glaubt Dr. | |
Diamond. | |
Liebe: „Liebe ist eigentlich das Überthema von allem, was wir machen“, sagt | |
dj hundefriedhof. „Liebe ist die höchste Art der Kunst“, postete Mitglied | |
Shamyn letzthin bei Facebook. Grenzenlose Liebe brachte auch Dietrich | |
Kuhlbrodt alias Opa 16 zu HGich.T. Er war Protagonist des Videos „Ich liebe | |
dich, egal, ob du 16 bist“. Es handelt von Liebe über Altersgrenzen hinweg. | |
Megabobo: Titel des neuen Albums von HGich.T. Es bleibt dem Trash-Sound | |
treu, lockt aber mit mehr Melodien. „Gleich das erste Lied ist ein Remix | |
unseres Popsongs ’Rosenkavalier‘ von einem Freund und Fan“, sagt DJ | |
Diamond. „Vielleicht werden irgendwann unsere Fans vollständig die Musik | |
für uns machen.“ Und was bitte ist ein Megabobo? „Der wohnt tief unten im | |
Meer. Wenn er erscheint, ist alles zu Ende, und es kommt etwas Neues“, | |
erklärt dj hundefriedhof. Ach so! | |
Naschen: „Genascht wird ständig bei HGich.T, ob im Tourbus, oder Backstage. | |
Wenn man nicht naschen darf, ist das Leben traurig“, sagt Angel Jolly. | |
Opa 16: Der ehemalige Staatsanwalt und Autor Dietrich Kuhlbrodt alias Opa | |
16 ist mit 82 Jahren das älteste Mitglied der Gruppe, und wohl auch ihr | |
berühmtestes. „Letztens hat er sich bei einem Auftritt im Hafenklang zwei | |
Rippen gebrochen“, sagt Chanel. „Inzwischen geht es ihm wieder besser. Wäre | |
schön, wenn mehr ältere Semester so feierten wie er. Der ist sich für | |
nichts zu schade.“ | |
Psychedelik: Vor den Auftritten von HGich.T verwandeln sich ihre | |
Bühnensettings in einen Zauberwald voller bunter Bänder, Blätter und | |
fluoreszierender Neonfarbe. „Am besten ist es, wenn wir etwa sechs Stunden | |
Zeit zum Dekorieren haben“, sagt dj hundefriedhof. „Dann sammeln wir Dinge | |
aus der Umgebung, mit denen wir den Raum gestalten.“ Am Ende wird | |
selbstredend auch beim Aufräumen geholfen. | |
Quasimidi: „Die Drummachines und Synthesizer von Quasimidi waren die besten | |
überhaupt“, sagt dj hundefriedhof. „Leider werden sie seit 2000 nicht mehr | |
hergestellt. Ich habe aber noch ein paar und die kommen regelmäßig zum | |
Einsatz bei HGich.T.“ | |
Reeperbahn: „Dort war früher mal der Mittelpunkt unserer Gruppe“, sagt Dr. | |
Diamond. „Mittlerweile treiben wir uns da nicht mehr rum. Waffenverbot, | |
Flaschenverbot – da müssen sich die Leute ja wieder mit Fäusten prügeln. | |
Viel zu gefährlich.“ | |
Setlur: Jeder, der HGich.T auch nur ein bisschen kennt, hat mit ihrem Moped | |
„Setlur“ Bekanntschaft geschlossen. Unter anderem taucht es im Video zum | |
Song „Tutenchamun“ auf. „Nach all den Jahren und trotz zahllosem Frisieren | |
fährt es immer noch“, freut sich dj hundefriedhof. | |
Tourbus: „Zu Konzerten sind wir zu neunt und mit zwei Hunden im VW-Bus | |
unterwegs durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Drinnen riecht es | |
nach Zigarettenqualm und Hundepups, die Fenster werden viel zu selten | |
geöffnet. Auf der Anlage läuft meist HipHop von Haftbefehl.“ | |
Unterhose: „In den Videos sieht man mich oft ohne Hose“, sagt Dr. Diamond, | |
„denn viele unserer Lieder kreisen ja um die Schule und die Unterhose ist | |
dort ein wichtiges Accessoire. Auf dem Schulhof geht’s darum, wer die | |
coolsten Schuhe trägt, und in der Umkleide werden dann die Unterhosen | |
ausgecheckt.“ | |
Vhagvan Svami: Das neue Alter Ego des HGich.T-Sängers (vormals Anna-Maria | |
Kaiser), der bei Auftritten meistens betrunken Botschaften wie „Glaubt ja | |
nicht, ihr hättet irgendwas verstanden“ ins Publikum brüllt und die Fans | |
bemalt. | |
Warnweste: Das Markenzeichen der HGich.T-Fans, seit Mitglied „Tutenchamun“ | |
im gleichnamigen Video eine getragen hat. „Man sieht sie ja überall in | |
Autos und Lieferwägen, auch viele Fahrradfahrer tragen sie, vielleicht aus | |
Sicherheitsgründen. In Wirklichkeit sind das Menschen, die unterwegs zu | |
unseren Auftritten sind“, erklärt Dr. Diamond. | |
XTC: „Haste mal was?“ Nicht selten kommen Konzertbesucher direkt zum | |
Keyboarder und fragen Dr. Diamond nach Drogen zum Einwerfen. Ein Fan leckte | |
am Merchandise-Stand mal eine Kette mit der Aufschrift „LSD“ ab, weil er | |
dachte, sie sei tatsächlich aus Ecstasy. | |
YouTube: Der Videokanal machte HGich.T berühmt. Ihr Smashhit „Hauptschuhle“ | |
wurde dort fast 2 Millionen Mal geklickt. „Und als das Video zu | |
’Tutenchamun‘ herauskam, haben es die Macher auf die Top-Ten-Liste der | |
Empfehlungen gepackt, die erscheint, wenn man YouTube aufmacht.“ | |
Zwacken: Der gute alte Zwanzigmarkschein. Dazu die Erinnerung von dj | |
hundefriedhof: „Häufiger Eintrittspreis in den Neunzigern in Hamburg, um | |
den Psytrance-DJ Antaro auf einer Goaparty im Gaswerk live zu sehen.“ | |
4 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Carla Baum | |
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