# taz.de -- Die Streitfrage: Wohin mit Oma? | |
> In Bremen soll der Friedhofszwang aufgehoben werden – Asche könnte man | |
> dann im Garten verstreuen. Ist das menschenunwürdig? | |
Bild: Urnen sehen ja hübsch aus. Aber müsste es nicht auch möglich sein, die… | |
Seit 80 Jahren herrscht in Deutschland Friedhofszwang – wer einen Toten | |
beerdigen will, muss dies auf dem Friedhof tun. Nun plant die Bremische | |
Bürgerschaft eine Reform: Künftig soll es auf Initiative der rot-grünen | |
Regierungskoalition erlaubt sein, die Asche Verstorbener im Privatgarten | |
oder auf öffentlichen Flächen außerhalb von Friedhöfen zu verstreuen, wenn | |
der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt hat. | |
Mit der Lockerung des Friedhofzwangs würde Bremen als erstes Bundesland den | |
Schritt hin zu einer neuen Trauer- und Erinnerungskultur gehen und entfacht | |
damit eine hitzige Debatte. | |
Befürworter der Reform sehen im Friedhofszwang eine Verletzung der | |
Persönlichkeitsrechte. Maike Schaefer, Abgeordnete der Bremischen | |
Bürgerschaft und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, ist für | |
die Lockerung und verweist auf Fälle, in denen der Friedhofszwang durch | |
Einäscherung im Ausland umgangen werde, zum Beispiel in der Schweiz: „Im | |
Kofferraum wird die Urne dann heimlich nach Hause gebracht. Das ist für die | |
Betroffenen würdelos und treibt Angehörige in eine illegale Situation | |
hinein“, sagte sie Radio Bremen. | |
Das Vorhaben der Bremer Regierungskoalition wird von der Kirche scharf | |
kritisiert. Bernd Kuschnerus, Pastor und stellvertretender Schriftführer | |
der Bremischen Evangelischen Kirche, also einer der höchsten Repräsentanten | |
der evangelischen Kirche dort, findet die Reform pietätlos und sieht | |
seinerseits in der privaten Urnen-Aufbewahrung eine Verletzung der | |
Menschenwürde. | |
Rechtlich gesehen gilt Artikel 1 des Grundgesetzes auch über den Tod | |
hinaus, „die Würde des Menschen ist unantastbar“ heißt es dort. Aber sind | |
Tote einer Verletzung der Totenruhe durch Grabschändungen nicht viel eher | |
ausgeliefert, als zu Hause im privaten Bereich der Angehörigen? | |
## Ethische Fragen | |
Ähnlich wie bei der Debatte um die Sterbehilfe berührt die | |
Bestattungsreform neben rechtlichen auch ethische, moralische und religiöse | |
Überlegungen. Hinterbliebene sollen im Voraus eine Grabstelle finanzieren | |
und reservieren. Damit soll verhindert werden, dass jemand die Urne nur mit | |
nach Hause nimmt, um keine Friedhofsgebühren zahlen zu müssen. Ob es wie | |
Peter Ustinov einst sagte, wirklich „wenig Sinn“ hat, „der reichste Mann | |
auf dem Friedhof zu sein?“ | |
Unterstützung für die Reform kommt von Thomas Schremmer, dem | |
stellvertretenden Fraktionschef der Grünen im niedersächsischen Landtag. Er | |
nennt es „eine gute Lösung“, wenn Asche Verstorbener künftig auch im Gart… | |
verstreut werden könne. | |
Der Friedhofzwang wurde 1934 zu Nazi-Zeiten eingeführt, die Bremer Reform | |
würde also auch ein Gesetz aus düsterer Zeit revidieren. Die Debattte um | |
die Aufhebung knüpft im internationalen Vergleich auch an Vorbilder aus | |
anderen Kulturkreisen an. Im Islam oder im Judentum zum Beispiel werden | |
Tote ohne Sarge in der Erde bestattet. Im Hinduismus oder Buddhismus ist | |
das Bestattungsritual eine lange Zeremonie, die mit der Verbrennung der | |
Toten endet. | |
Die Bremer CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann spricht sich | |
gegen die Lockerung des friedhofszwangs aus und begründet dies mit der | |
Aussage „Es gibt zu viele ungeklärte Fragen“. | |
## Memento Mori | |
Aber regt die Debatte nicht gerade zum Nachdenken über den Umgang mit Toten | |
an? Welchen Zweck hat es, die Asche eines Menschen überhaupt in Besitz zu | |
nehmen, woher resultiert das Bedürfnis? Wird das Memento Mori – also das | |
„Gedenke des Todes“ – durch das Verstreuen der Asche im heimischen Garten | |
verstärkt ins Bewusstsein gerufen – insbesondere in einer schnelllebigen | |
Zeit mit der gleichzeitig „alternden Generation“, dem Streben nach ewiger | |
Schönheit und Jugend und einer damit einhergehenden Tabuisierung des Todes? | |
In Russland etwa ist die Totenzeremonie mit der Aufbahrung von Leichen ein | |
pompöser und langer Akt, wie er früher auch in Deutschland üblich war. Für | |
die einen ist eine individuelle Trauerkultur längst überfällig und der | |
Friedhofszwang obsolet, auf andere mag es befremdlich wirken, auf einer | |
Parkwiese zu sitzen, wo die Asche eines Verstorbenen verstreut wurde. | |
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11 Nov 2014 | |
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## AUTOREN | |
Sonja Esmailzadeh | |
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