| # taz.de -- IS-Kämpfer wechselt die Seiten: Für die Familie übergelaufen | |
| > Abu Schakr hat früher für den Islamischen Staat gekämpft. Dann wurde er | |
| > gefangengenommen und arbeitet nun als Informant für den irakischen Staat. | |
| Bild: Heiß auf Schlagzeilen: IS-Kämpfer in Falludscha | |
| BAGDAD ap | Der Mann, der gerade den Besucherraum des Gefängnisses in | |
| Bagdad betritt, ist ein ehemaliger Milizenkommandeur und IS-Kämpfer. Der | |
| Gefangene geht direkt auf seine Wärter zu – und begrüßt sie lachend mit | |
| Küssen auf die Wange. | |
| Allein das zeigt, welch ungewöhnliche Wendung das Leben von Abu Schakr | |
| genommen hat. Der 36-Jährige, der hier zu seinem Schutz nur mit seinem | |
| Kampfnamen bezeichnet wird, hatte sich Al-Kaida angeschlossen, weil er | |
| nicht damit einverstanden war, wie die Sunniten im Irak von ihrer Regierung | |
| behandelt werden. Später machte er Karriere bei der Terrormiliz Islamischer | |
| Staat. Vergangenes Jahr wurde er gefangen genommen. | |
| Die Behörden machten ihm ein Angebot: „Hilf uns gegen die Extremisten und | |
| du genießt im Gefängnis eine Vorzugsbehandlung.“ Zwar sitzt Abu Schakr im | |
| Hochsicherheitsgefängnis, aber er darf mit seinen fünf Kindern spielen, | |
| empfängt Besucher und trägt statt Fußfesseln und Gefängniskluft Turnschuhe | |
| und Trainingsanzug. | |
| Er habe wertvolle Erkenntnisse über das taktische Vorgehen der Extremisten | |
| geliefert und geholfen, mutmaßliche Milizen aufzustöbern, zu verhaften und | |
| zu verhören, heißt es von Behördenseite. Seine Kooperationsbereitschaft | |
| hängt mit seinem Wunsch zusammen, seine Familie zu sehen. | |
| ## „So war das nie gedacht gewesen“ | |
| Wie er persönlich zum IS steht, ist schwer zu sagen. Im Gespräch äußert er | |
| jedenfalls kein Bedauern über seine Handlungen oder über Taten und Aussagen | |
| von Al-Kaida und IS. Er sagt bloß, ihm habe missfallen, wie vehement IS | |
| gegen Schiiten und Christen vorgeht: „So war das nie gedacht gewesen.“ | |
| Was hat ihn in den Dschihad getrieben? Dafür gebe es zwei Gründe, sagt er. | |
| Zum einen der Einmarsch der Koalitionstruppen um die USA, der 2003 zum | |
| Sturz von Saddam Hussein geführt hatte, zum anderen die Verbitterung | |
| darüber, wie die neue, schiitisch geführte Regierung Sunniten diskriminiert | |
| habe. | |
| 2007 sei er Al-Kaida im Irak als Fußsoldat beigetreten. Nachdem 2010 ein | |
| amerikanischer Luftangriff die Anführer von Al-Kaida im Irak, Abu Ajjub | |
| Al-Masri und Abu Omar Al-Bagdadi, getötet hatte, übernahm die Führung der | |
| ehrgeizige Abu Bakr Al-Bagdadi. Er richtete die Organisation neu aus und | |
| entsandte Kämpfer nach Syrien, wo sie sich in den Bürgerkrieg einmischten. | |
| Die Gruppe sammelte auf diese Weise Kampferfahrung, Ressourcen und | |
| zusätzliche Mitstreiter. | |
| Dank der Mittel aus Syrien habe die Gruppe den Kämpfern ein gutes Auskommen | |
| bieten können, sagt Abu Schakr. Er habe umgerechnet 65 Dollar pro Monat | |
| erhalten, dazu 45 Dollar für seine Frau und 20 Dollar pro Kind. | |
| ## Enthaupten oder nicht enthaupten? | |
| 2012 wurde Abu Schakr nach Falludscha versetzt, um sich um die Sicherheit | |
| der dortigen Al-Kaida-Aktivitäten zu kümmern. Er musste sichere Unterkünfte | |
| organisieren und Transporte von und nach Syrien, war aber nach Aussage der | |
| Behörden auch für den Tod von Irakern verantwortlich. Im Januar 2014, zwei | |
| Monate nach Abu Schakrs Verhaftung, fiel Falludscha in die Hände der Miliz | |
| – endgültig, wie er sagt, denn schon vorher habe man weite Teile der Stadt | |
| beherrscht. | |
| Außerdem habe der IS die sunnitischen Stämme aus der Provinz Anbar auf | |
| seiner Seite gehabt. „Die Stämme fühlen sich unterdrückt“, sagt er. „Z… | |
| Beispiel haben sie keinen Prozentsatz der Verträge erhalten (...) und sie | |
| haben niemanden, der sie in der Regierung vertritt.“ | |
| Anfang 2013 benannte sich Al-Kaida im Irak um in „Islamischer Staat im Irak | |
| und der Levante“. Unter Al-Bagdadi habe sich die Vorgehensweise verändert, | |
| sagt Abu Schakr. Es habe alles zufälliger gewirkt, außerdem trübte sich das | |
| Verhältnis zu Al-Kaida ein. Der oberste Al-Kaida-Anführer Aiman Al-Sawahiri | |
| begann, die Handlungen des irakischen Ablegers zu kritisieren. So habe er | |
| von den Enthauptungen abgeraten und gesagt: „Lasst euch von den | |
| Schlagzeilen nicht mitreißen. Das ist inakzeptabel.“ | |
| Ende 2013 schloss Al-Kaida Al-Bagdadis Gruppe offiziell aus, was dem | |
| Aufstieg von IS keinerlei Abbruch tat. Inzwischen kontrolliert der IS rund | |
| ein Drittel des Staatsgebiets von Irak und Syrien. | |
| ## Gerettet durch die Verhaftung | |
| Der Geheimdienst beschattete Abu Schakr und schlug Ende 2013 zu. Dann | |
| arbeitete man daran, ihn umzudrehen. „Jeder hat eine Schwäche“, sagt der | |
| Geheimdienstoffizier Haitham, der mitgeholfen hat, Abu Schakr zu ergreifen. | |
| „Seine größte Schwäche ist seine Familie (...) Wir wussten: Soll er mit uns | |
| kooperieren, müssen wir auch seine Familie haben.“ | |
| Wie viel Zeit Abu Schakr hinter Gittern verbringen muss, ist offen. Der | |
| Fall laufe noch, die Strafe für seine Zusammenarbeit mit der radikalen | |
| Gruppe stehe noch nicht fest, so ein Sprecher des Innenministeriums. | |
| Jetzt sei es der Staat, der seine Familie schütze, sagt Abu Schakr. | |
| „Vielleicht sitze ich den Rest des Lebens im Gefängnis und das tut mir | |
| leid. Aber jetzt erkenne ich, dass es meine Verhaftung war, die meine | |
| Familie gerettet hat.“ | |
| 21 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Vivian Salama | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| Terrorismus | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Irak | |
| Dschihadismus | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Debatte Syrien: Die Minderheitenfalle | |
| Mit dem Ausbruch der Revolution hat das Regime das Gewaltmonopol | |
| aufgegeben, Milizen starkgemacht und Minoritäten damit gefährdet. | |
| Junge Islamisten aus Frankreich: Mit Facebook in den Dschihad | |
| Die Identifikation zweier junger Franzosen als Schlächter im Dienst des IS | |
| hat das Land zutiefst schockiert. Das war natürlich Absicht. | |
| Terror durch den IS: USA bestätigen Enthauptung Kassigs | |
| Ein neues Enthauptungsvideo des Islamischen Staates ist im Netz | |
| aufgetaucht. Unter den Opfern befindet sich auch der entführte | |
| US-Entwicklungshelfer. | |
| Kampf gegen Islamischen Staat: IS prahlt mit neuer Enthauptung | |
| Der Islamische Staat will den US-Bürger Kassig enthauptet haben. Obama | |
| entsendet vorerst keine Bodentruppen. In den Emiraten gilt der IS nun als | |
| terroristisch. | |
| Lebenszeichen von IS-Chef Al-Baghdadi: Drohungen via Audiobotschaft | |
| IS und Al-Qaida verbünden sich in Syrien. IS-Chef Al-Baghdadi meldet sich | |
| mit einer Kampfansage zurück und droht mit einem Vormarsch bis Europa. |