# taz.de -- Mehr als Wichsvorlagen: Schweinkram, historisch | |
> Die Schau „Porn That Way“ im Schwulen Museum zeichnet die Geschichte des | |
> nicht-heterosexuellen Pornos nach. Eine Erkundung. | |
Bild: Szene aus dem Film „Ramcharger“, 1984 gedreht vom legendären Pornola… | |
BERLIN taz | Vorsorglich weist das Haus darauf hin, dass der Besuch erst | |
mit Vollendung des 18. Lebensjahres gestattet ist: Dem Schwulen Museum in | |
Berlin muss wahrscheinlich daran gelegen sein, jede Skandalisierung um | |
wenigstens diese Schau zu vermeiden. | |
„Porn That Way“ – die kleine Anspielung auf den Albumklassiker Lady Gagas | |
wird mit Absicht formuliert worden sein – heißt die Ausstellung und widmet | |
sich, wie man früher gesagt hätte, nichts als Schweinkram. | |
Pornografie also, Stoff, von dem ein höchster Richter in den USA sagte, er | |
wisse nicht, was sie genau sei, aber sehe er ein Beispiel, könnte er sagen, | |
ob es sich um sexuell stimulierende Bilder handele. | |
Das ist eine viel zu vage, um nicht zu sagen: lebensbejahende Definition, | |
und das wird die Ausstellung im Schwulen Museum auch eindrücklich belegen. | |
Tatsächlich kann alles sexuell appetitanregend sein – ein entblößtes Knie | |
einer jungen Frau reichte vor 100 Jahren, um junge, heterosexuelle Männer | |
in hoffende Wollust zu versetzen. | |
## Gedruckte Wichsvorlagen sterben aus | |
Das hat sich längst geändert – und das macht die Entscheidung der vier | |
KuratorInnen Kevin Clarke, Ines Höhne, Patrick („Patsy l’Amour laLove“) | |
Henze, Laura Méritt und Sarah Schaschek so plausibel, diese Revue schwuler, | |
lesbischer, queerer und Trans*-Pornographie historisch anzulegen – und um | |
ein solches, nicht nur aktuelles Verständnis der Zuschauenden zu bitten. | |
„Porn That Way“, das muss man nämlich sagen, ist als Schau vielleicht auch | |
ein heiter stimmender Nekrolog auf eine wichtige Mediengattung. Denn in der | |
gedruckten Fassung ist Pornografisches eine vermutlich aussterbende | |
Gattung: Sexuell förderliches Material in gedruckten Bildern und Texten | |
verliert stark an Bedeutung im Vergleich mit dem, was inzwischen im | |
Internet frei erhältlich ist. | |
Wenige Klicks reichen, um in die Welt der kleinen Vergnügen und | |
Verheißungen fantasmatisch einzutauchen: Das Netz macht möglich, was früher | |
selbst Teil der Sehnsucht war – Heftchen oder Bildchen in Händen zu halten, | |
die einerseits dokumentieren, was der oder die KonsumentIn begehrt und | |
andererseits jenes Begehren am Leben hält. | |
## Ein reichhaltiges Archiv | |
Pornografie als Ersatz für das echte sexuelle Leben? Das mag früher | |
gegolten haben – etwa in der Ära, in der die DDR-Ikone Charlotte von | |
Mahlsdorf jung erwachsen war und ihr schwules Coming-out durch aufgeklebte | |
Nacktheiten, mit der Schere aus Illustrierten geschnitten, dokumentierte, | |
als Bilderbogen dessen, was erhofft und gewollt ist. | |
Das Schwule Museum, das diese famose Schau auf 380 Quadratmetern | |
hinbekommen hat und dennoch nur über ein Budget verfügte, das jede | |
arrivierte Galerie in Berlin-Mitte für eine Vernissage zu verplempern | |
bereit und willens ist, musste mit wenig Geld auskommen. Und konnte es, | |
weil der hinterlassene Fundus der Charlotte von Mahlsdorf in den Kellern | |
des Hauses liegt. | |
Auch eine Fülle anderer Exponate mussten nicht umständlich besorgt oder | |
angekauft werden. Man hat es ja alles reichlich, jetzt ist die Chance zu | |
zeigen, was schwule und (weniger) lesbische und trans*ische Bilderlust | |
bedeutete. Und wie diese Chance genutzt wird. | |
## Das Aids-Zeitalter änderte die pornografischen Oberflächen | |
Ein historischer Bilderbogen führt von Zitaten aus der Antike über Oscar | |
Wilde und DDR-Pornografien schließlich zu westlichen Exponaten aus den | |
fünfziger bis siebziger Jahren. Auffällig, dass gerade in dieser Dekade | |
nach den queeren Unruhen in New Yorks Bar „Stonewall“ an der Christopher | |
Street ein heftiger Wandel in der schwulen Pornoproduktion stattfand: Die | |
sexuellen Szenen werden so explizit, wie es irgend nur geht. | |
Sehr viele Penisse sind zu sehen, gänzlich erigiert oder nach dem Akt | |
sozusagen auf Halbmast. Das ist aus heutiger Sicht, zumal in diesem | |
musealen Kontext, beinah reizfrei in sexualisierter Hinsicht. | |
Bemerkenswert ist indes, dass die jungen Männer plötzlich nicht mehr wie | |
Engel mit zufällig männlichen Geschlechtsmerkmalen sind, sondern solche mit | |
unrasierten Achselhöhlen, von Jungerwachsenen, die das Schwule nicht wie | |
ein Drama des Lebens aussehen lassen, im Gegenteil wie die Lust am Leben | |
selbst. | |
Mit dem Aidszeitalter, etwa ab 1983, ändern sich die pornografischen | |
Oberflächen. Was war, ist nun Vintage, das infizierende, keim- und | |
virusbeladene Gestern. Es dominiert nun das, was der präzise Gegenentwurf | |
zum pornografischen Bild aus der Nach-Hippie-Zeit war: Muskelmaschinen, | |
Virilitätsmonster und Penetrationsroboter, rasiert, gestählt und steril, | |
die den anderen Mann (oder Männer) ficken, wie es automatisierter, insofern | |
lustfeindlicher nicht geht. | |
Aids hieß hier: auf jedes Einverleiben des anderen, auf orale oder | |
schmeckende, leckende, riechende Lust verzichten. So wird dem (öfters) | |
kondomisierten Phallus allein das performative Dirigat im Akt zugewiesen. | |
## Lesben - jenseits der Wahrnehmungsschwelle | |
Im lesbischen Bereich spielten sich unterdessen – weitgehend jenseits der | |
Schwelle schwuler (oder heterosexueller) Wahrnehmung – Konflikte ab, deren | |
Pornografie bejahende Teile in dieser Ausstellung zu sehen sind. Es gab und | |
gibt viele Lesben, die sich von der apodiktischen Haltung einer Alice | |
Schwarzer („PorNo“) nicht beeindrucken ließen. | |
Einerseits stimmten sie zu, dass Frauen in der Pornografie immer auch ein | |
Werkzeug, eine Bestimmung des Mannes sind. Andererseits negiere ein pures | |
Nein zu sexuell beflügelndem Bildmaterial die Chancen, sich selbst die Welt | |
der sexuellen Explizitheit zu erobern. Nicht mehr nur Material zu sein, | |
sondern jenen Stoff selbst zu produzieren, der den eigenen | |
Vorstellungslandschaften der Lust entspricht. | |
Im Schwulen Museum – das dem Namen zum Trotz längst nicht allein männliche | |
Homosexuelle repräsentiert – sind eine Fülle von Arbeiten dieser Szenen zu | |
sehen. Auch jene, die sich als Queers bezeichnen, die sich, wie sie es | |
verstehen, den männlichen oder weiblichen Biologien nicht mehr unterwerfen | |
wollen, finden hier ihre Performance. | |
Etliche Exponate könnten in jeder Galerie der Caffè-Latte-Milieus eine | |
prominente Rolle spielen. Was an ihnen pornografisch sein könnte, muss | |
jedem und jeder BetrachterIn überlassen sein. | |
„Porn That Way“ ist – als Überblick schwulen, lesbischen und trans*ischen | |
Sehens und Musterns in einer heterosexuellen Welt, als Zeichenlabor des | |
grundsätzlich Anderen – im Übrigen ausgesprochen kundig mit Texten | |
begleitet. | |
## Das Ende der Hochglanzfickmaschinenpornos? | |
Man erfährt, ohne sich wie im Bildungslabor zu fühlen, viel zur Historie | |
nichtheterosexueller Pornografie, sexueller Ausdrücklichkeit und ihrem | |
dauernden Wandel. Als ein Beleg für die Historisierung des Genres kann auch | |
seine Akademisierung in den Porn-Studies gesehen werden. | |
Womöglich ist die Historisierung des Pornografischen noch zu früh angelegt: | |
Wenn männliche Geschlechtsteile nach wie vor in der nichtpornografischen | |
Medienwelt so konsequent verhüllt bleiben, muss der Sehnende weitersuchen. | |
Ansonsten ist ja das Explizite beinah schon banal geworden: Gewöhnliche | |
Werbebilder selbst einer Margarinereklame wären früher durch keine Zensur | |
gegangen. Und Jubelbilder von Fußballmannschaften nach Torerfolgen wären | |
als unzüchtig abgelehnt worden. | |
Andererseits hat ja gerade im vorigen Jahrhundert ein kollektives Lernen | |
stattgefunden: dass nicht jeder entblößte Unterarm gleich ein sexuelles | |
Vorzeichen sein muss. Wir wissen inzwischen, dass alles stimulierend sein | |
kann, die Sexualwissenschaft bestätigt es. Explizitheit entsexualisiert ja | |
eher. | |
Neuester Trend im Schwulenpornosegment: Romantic Love, Sex mit langer | |
Vorgeschichte, besser: eine Vorgeschichte, die im Sex mündet. Man könnte | |
sagen: Das war einst die Domäne von Lesben – jetzt zieht die schwule | |
Pornoproduktion nach. Hochglanzfickmaschinenpornos sind nur noch für | |
Fetischisten attraktiv. | |
10 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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