| # taz.de -- Elektroschock-Armband „Pavlok“: Hier kommt die E-Disziplin | |
| > Während der Arbeitszeit privat auf Facebook unterwegs? Elektroschock! Ein | |
| > neues Gerät aus den USA bietet Selbstkontrolle per Schmerz an. | |
| Bild: So wirbt man für Selbstbestrafung. | |
| BERLIN taz | Unsere absurde Arbeitswelt. So komplex ihre neuen Freiheiten | |
| (Gleitzeit) und Unfreiheiten (Corporate Branding) infolge des flexiblen | |
| Kapitalismus auch sind, so einfach lässt sie sich seit Kurzem mit einem | |
| einzigen Wort erklären: „Pavlok“. | |
| Das ist ein elektrisches Armband, das Elektroschocks aussendet, sobald der | |
| Träger unerwünschte Verhaltensweisen annimmt. Auf welche schlechten | |
| Gewohnheiten es abzielt, kann der Nutzer selbst bestimmen, doch beworben | |
| wird das Produkt vor allem im Zusammenhang mit Arbeit – als Beispiel wird | |
| etwa der Besuch einer zeitraubenden Webseite genannt. | |
| Der Produktname, eine Mischung aus dem englischen Wort „Schloss“ und dem | |
| Namen des berühmten russischen Verhaltensforschers Iwan Pawlow, könnte | |
| nicht besser gewählt sein. Denn das Armband zielt auf eine klassische, wenn | |
| auch negative, Konditionierung ab. Wenn Nutzer bei jedem Facebook-Besuch | |
| mit einem Stromstoß geahndet werden – der Schock lässt sich auf bis zu 250 | |
| Volt einstellen –, wird es wohl nicht lange dauern, bis sie es sein lassen. | |
| Ein verfrühter Aprilscherz? Selbst wenn das der Fall wäre, die 254.133 | |
| US-Dollar, die bereits auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo gesammelt | |
| wurden und weit über das Minimalziel von 50.000 Dollar hinausschießen, sind | |
| so real wie die vielen Vorbestellungen des ab Mai 2015 in Serie gehenden | |
| Armbands – und so echt wie der schmerzverzerrte Blick des BBC-Journalisten, | |
| der in einem [1][exklusiven Produkttest] bereits in den Ungenuss der | |
| Elektroschocks kam. | |
| ## „Pavlok verändert, wer du bist“ | |
| Entwickelt wurde „Pavlok“ vom US-Amerikaner Maneesh Sethi, Absolvent der | |
| Universität im kalifornischen Stanford, der wichtigsten Kaderschmiede für | |
| Internetunternehmen und Rekrutierungsoase für das benachbarte Silicon | |
| Valley. Sethi ist als Motivationstrainer mit Polemiktalent und „Hack the | |
| system“ bekannt geworden, einer Webseite, die Lebensstrategien anbietet, um | |
| „besser zu leben, weiter zu reisen, mehr Geld zu verdienen und produktiver | |
| zu sein“. | |
| Sethis bisher größter Coup war ein viraler Blogeintrag, in dem er | |
| beschrieb, wie er ein Mädchen dafür bezahlte, ihn zu ohrfeigen, sobald er | |
| während der Arbeit Facebook benutzt. Ihm zufolge hätte diese Maßnahme seine | |
| Produktivität um das Vierfache gesteigert. Woher die Idee für das Armband | |
| kommt, wäre damit auch geklärt. | |
| Schaut man sich die [2][perfekt durchdesignte Webseite von „Pavlok“] an, in | |
| der sich esoterischer Werbesprech und neoliberale Glücksversprechen | |
| mischen, könnte man schnell den Eindruck gewinnen, dass Sethi nichts | |
| anderes als ein genialer Scharlatan ist. „Pavlok kann nicht nur verfolgen, | |
| was sie tun. Es verändert, wer du bist“, heißt es dort etwa. | |
| ## Jetzt schon ein Erfolg | |
| Dass „Pavlok“ ein Fake und damit Sethis vermeintlich subversivster „Hack�… | |
| sein könnte, ändert eigentlich nichts an seiner Aussagekraft. Denn das | |
| Armband und vor allem die bestehende Nachfrage erzählt von einer | |
| Arbeitswelt, deren Grundlagen sich längst von der Disziplinar- in eine | |
| Kontrollgesellschaft gewandelt haben. Eine Gesellschaft, die nicht mehr | |
| diszipliniert wird, sondern sich im Zuge einer größeren Freiheit und der | |
| grassierenden Selbstoptimierung am liebsten selbst kontrolliert – zur Not | |
| mithilfe einer schmerzhaften Konditionierung. | |
| Damit lässt sich „Pavlok“ auch als eine aktualisierte, wenn auch harmlosere | |
| Form alter Repressalien lesen (Überwachung, Stempelkarten, 15-Stundentag). | |
| Heute, im postfordistischen Dienstleistungszeitaler der westlichen | |
| Hemisphäre, in der vor allem Wissensarbeit im Vordergrund steht, sind Viele | |
| dank des Internets zeitlich und örtlich unabhängiger als je zuvor. Nicht | |
| fehlende Motivation gefährdet die Produktivität, sondern die Wonne der | |
| stumpfen Zerstreuung – wie das ziellose Surfen im Büro. | |
| Dass damit auch der Bedarf an neuen Repressalien steigt, die die eigene | |
| Freiheit beschneiden, um die Effektivität zu steigern, ist genauso crazy | |
| wie unheimlich. „Pavlok“ ist jedenfalls – ob Fake oder nicht – jetzt sc… | |
| ein Erfolg. Selbst wenn es in Zukunft Sozialkundelehrern nur als | |
| Anschauungsobjekt für eine pervertierte Gegenwart dient. | |
| 16 Dec 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.bbc.co.uk/news/technology-30182607 | |
| [2] http://www.pavlok.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Rhensius | |
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