# taz.de -- Gruppe gegen Korruption in Spanien: „Eine friedliche Guerillabewe… | |
> Die Cyber-Aktivisten von „XNet“ kämpfen in Spanien gegen Korruption. Im | |
> Oktober enthüllten sie eine Prasserei in Millionenhöhe beim Geldinstitut | |
> Bankia. | |
Bild: Mit dem Laptop gegen Korruption: XNet-Aktivist. | |
BARCELONA ap | Von der Straße aus ist nur ein abgerissenes Schild mit der | |
Aufschrift „Konserven“ zu sehen: Das Gebäude in einem der schäbigsten | |
Viertel von Barcelona könnte als leerstehender Supermarkt durchgehen. Doch | |
tatsächlich versteckt sich darin das Büro einer Gruppe aufstrebender | |
Cyber-Aktivisten, die sich dem Kampf gegen die Korruption in Spanien | |
verschrieben haben. Dabei geht die Bürgerbewegung Xnet noch einige Schritte | |
weiter als ihr Vorbild WikiLeaks. | |
Die spanischen Whistleblower schalten sich aktiv in die Politik ein und | |
ziehen auch vor Gericht. Auf der Website von Xnet kann jeder Hinweise auf | |
mögliche Fälle von Vetternwirtschaft und illegale Bereicherung melden. Mehr | |
als 200 Freiwillige werten dann die Informationen aus. Schon nach drei | |
Monaten hat sich die Plattform bewährt und einige der größten | |
Korruptionsskandale des Landes enthüllt. „Xnet ist eine friedliche | |
Guerillabewegung“, sagt Simona Levi, Sprecherin und Mitbegründerin der | |
Organisation. „Wir sind der nächste Schritt nach WikiLeaks.“ | |
Der bisher größte Coup gelang Xnet im Oktober. Damals veröffentlichten die | |
Aktivisten Dokumente über schmutzige Geschäfte bei dem später vom Staat | |
geretteten Geldinstitut Bankia. Aus ihnen ging hervor, dass ranghohe | |
Manager mit schwarzen Kreditkarten der Bankia rund 15 Millionen Euro für | |
Reisen im In- und Ausland sowie für Luxuswaren verprasst hatten. | |
Die spanische Öffentlichkeit reagierte mit Empörung auf den Fall, in dem | |
nun auch offiziell ermittelt wird. Ministerpräsident Mariano Rajoy | |
entschuldigte sich im Parlament für die immer mehr um sich greifende | |
Korruption. Der Skandal ruinierte auch den Ruf des Ex-Bankia-Chefs Rodrigo | |
Rato, der früher spanischer Wirtschaftsminister war und einst den | |
Internationalen Währungsfonds (IWF) leitete. | |
Etliche weitere Korruptionsermittlungen laufen im ganzen Land gegen die | |
großen Parteien, gegen Unternehmen und Mitglieder des Königshauses. Der | |
Zorn der Bevölkerung über die Exzesse in Zeiten schmerzhafter Sparprogramme | |
ist groß. In diesem Klima erscheint Xnet vielen als sicherer Weg, um auf | |
Unregelmäßigkeiten hinzuweisen. | |
## 90 Prozent weggefiltert | |
Tagsüber ist die Zentrale von Xnet in Barcelona verwaist, da die | |
Freiwilligen in dieser Zeit ihren Berufen nachgehen. Abends und oft nachts | |
aber widmen sie ihre Freizeit ihrer Mission, und im spartanischen Xnet-Büro | |
erwacht das Leben. Dann sitzen an Klapptischen an ihren Laptops, halten | |
sich mit Kaffee wach und arbeiten meist still vor sich hin. | |
In der elektronischen Mailbox, die über zwei Internet-Netzwerke läuft, | |
landen jede Woche etwa 60 Hinweise auf mutmaßliche Korruption. Um | |
Anonymität zu ermöglichen, bleiben die IP-Adressen der Informanten geheim. | |
Und auch wenn sich die Xnet-Mitarbeiter nach eigenen Angaben vor | |
Polizeiüberwachung sicher fühlen, wird jegliche Kommunikation | |
verschlüsselt. | |
Gefiltert werden die Mails von den Journalisten unter den Aktivisten. Sie | |
verwerfen etwa 90 Prozent der Nachrichten – dabei handelt es sich um | |
Klatsch und Tratsch, unbelegte Beschwerden oder um persönliche | |
Informationen etwa in Fällen von Trennungen oder enttäuschter Liebe. Über | |
die übrigen zehn Prozent erstellen die Xnet-Mitglieder Berichte. Diese | |
werden an eine zweite Mailbox geschickt, auf die andere Mitarbeiter | |
zugreifen können, ohne die Identität des ursprünglichen Absenders zu sehen. | |
„All die Geschichten über Hacker, die in die Systeme von Unternehmen | |
eindringen und Informationen stehlen, sind ein Hollywood-Mythos“, sagt | |
Xnet-Aktivist Sergio Salgado. „So läuft es nicht in der Realität. Seit dem | |
Snowden-Fall wissen wir, dass die Systeme überwacht werden. Wir haben | |
Sicherheitsvorkehrungen getroffen, aber unsere Arbeit ist öffentlich.“ | |
## Crowdfunding für den Prozess | |
Einen Großteil seiner gesammelten Informationen leitet Xnet an spanische | |
Medien weiter – als eine Art Service, damit Journalisten weiter | |
recherchieren können. Anders als WikiLeaks prozessiert Xnet auch selbst vor | |
Gericht, etwa im Bankia-Fall gegen Ex-Chef Rato. Finanziert wurde die Klage | |
über ein Crowdfunding, mit dem innerhalb eines einzigen Tages 20.000 Euro | |
zusammenkamen. Erst daraufhin leitete die Regierung eine Untersuchung in | |
die Wege. | |
„Wir werden aktiv über die Medien, aber auch über die Gerichte“, sagt | |
Xnet-Gründerin Levi. Die gebürtige Italienerin arbeitete früher als | |
Theaterdirektorin, interessierte sich aber schon immer für Aktivismus und | |
neue Formen der Demokratie. Die Entstehung von WikiLeaks hat die 48-Jährige | |
genau verfolgt und beim Chaos Communication Congress in Berlin den | |
Plattform-Gründer Julian Assange kennengelernt. 2008 startete sie Xnet, | |
zunächst vor allem, um sich für kulturelle Freiheit einzusetzen. | |
Das Projekt veränderte sich aber radikal mit dem Beginn der Proteste in | |
Spanien am 15. Mai 2011. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise gingen | |
Zehntausende „Indignados“ („Empörte“) auf die Straße, um unter andere… | |
mehr Transparenz und Reformen der öffentlichen Institutionen zu | |
demonstrieren. Während dieser Proteste erhielt Xnet immensen Zulauf. | |
Seine politischen Ziele hat Xnet in einem Manifest mit dem Titel | |
„Demokratie, Punkt.“ festgehalten. Kern ist die Forderung nach mehr | |
institutioneller Transparenz („Wikilegislation“) und einer Beteiligung der | |
Allgemeinheit an Gesetzesentwürfen. Über die Positionen von Abgeordneten | |
und wichtige Gesetze soll in Referenden abgestimmt werden. Um ihre | |
Durchschlagskraft zu verbessern, haben die Aktivisten die Partei Partido X | |
gegründet. Bei der Wahl zum Europaparlament im Mai erhielt sie knapp über | |
100.000 Stimmen. | |
## Pläne für eine internationale Datenbank | |
Auch auf anderem Wege will Xnet nun die Landesgrenzen überschreiten: Die | |
Organisation will das internationale Projekt PILA unterstützen, das in den | |
kommenden Wochen an den Start gehen soll. Dahinter steht unter anderem der | |
französisch-italienische Informatiker Herve Falciani, der zwischen 2006 und | |
2007 Informationen über 24.000 Bankkunden der Schweizer HSBC gestohlen und | |
verteilt haben soll. Auch Stephanie Gibaud gehört dazu, die mutmaßliche | |
Fälle von Geldwäsche und Steuerbetrug bei der UBS in Frankreich aufdeckte. | |
Ziel des Projekts ist es, Aktivisten und Organisationen wie Xnet aus | |
mehreren Ländern zusammenzubringen und eine internationale Datenbank mit | |
anonymen Leaks einzurichten, die zum Kampf gegen Korruption weltweit | |
genutzt werden kann. „Wir wollen zusammen mit glaubwürdigen Leuten all | |
diese gemeinsamen Erfahrungen sammeln“, sagt Aktivist Salgado. „Dann können | |
wir die Informationen auf globaler Ebene schneller verarbeiten.“ | |
15 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Jorge Sainz | |
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