| # taz.de -- Kulturmanagerin Birgit Mandel über leere Theater: „Eine ziemlich… | |
| > Hochkultur finden alle gut. Hingehen tut kaum jemand. | |
| > Kulturmanagement-Professorin Birgit Mandel forscht dazu, woran das liegt | |
| > könnte. | |
| Bild: Kommt aus einem Elternhaus, in dem ihr Hochkultur nicht in die Wiege gele… | |
| taz: Frau Mandel, haben Sie das Gefühl, dass Kultur da ist, wo Sie nicht | |
| sind? | |
| Birgit Mandel: Das hängt vom Kulturbegriff ab. Tatsächlich habe ich früher | |
| selber gedacht, dass Kultur vor allem Hochkultur ist, die in Konzertsälen, | |
| Museen, Theatern stattfindet, aber nicht in meinem eigenen Lebensumfeld. | |
| Ich komme aus einem Elternhaus, wo es nicht in die Wiege gelegt wird, dass | |
| man solche Einrichtungen nutzt. Ich hatte das Gefühl, dass nur ganz reiche | |
| Menschen dorthin gehen – und habe nicht gesehen, dass das, was mein eigenes | |
| Leben kulturell bereichert, was Spaß macht, also etwa populäre Musik zu | |
| hören, ins Kino gehen, aber auch selber zuschreiben, mit Leuten Musik zu | |
| machen, auch Kultur ist. | |
| War dieses Gefühl für Sie auch Anlass, sich Jahre später, beruflich mit | |
| dieser Frage zu befassen? | |
| Auf jeden Fall. Ich glaube, dass ich zumindest eine höhere Sensibilität | |
| dafür habe, dass viele kulturelle Angebote nur für eine sehr kleine | |
| gesellschaftliche Gruppe relevant und selbstverständlich sind. | |
| Und trotzdem will die große Mehrheit, dass die hochkulturellen | |
| Einrichtungen, die sie selbst nicht nutzt, unterstützt werden. | |
| Das ist eine lange Tradition in Deutschland: Kunst gilt als das Gute und | |
| Wahre und sie hat, auch im Sinne einer schwierigen Kunst, ein sehr | |
| positives Image. Man könnte sagen, dass Kultur auf den Sockel gestellt | |
| wird. Das wird durch die Politik bestärkt: Die sogenannte Hochkultur wird | |
| bei uns gefördert wie in keinem anderen Land weltweit. Wenn Leute dann bei | |
| solchen Veranstaltungen das Gefühl haben, dass sie es nicht verstehen oder | |
| sich nicht dafür interessieren, empfinden sie das als ihren Fehler. Das | |
| ändert sich aber gerade. | |
| Inwiefern? | |
| Unter den Topmanagern von Konzernen etwa besteht nicht länger der Konsens, | |
| dass ein Opern-Abo selbstverständlich zu einer kultivierten Person gehört. | |
| Das Kulturverständnis ändert sich aber auch deswegen, weil sich unsere | |
| Gesellschaft durch Migration sehr stark verändert. Da kommen Menschen aus | |
| Ländern, in denen die Unterscheidung zwischen ernsthafter und | |
| Unterhaltungskultur – das was die Leute selber interessiert – nicht | |
| existiert. Dadurch verstehen wir Kultur stärker auch als Alltags- und | |
| Lebenskultur. | |
| Wird dem klassischen Kulturbetrieb dann der Geldhahn zugedreht? | |
| Wenn sich diese Haltung bei jüngeren Leuten verstärkt – und das belegen | |
| Untersuchungen – und das Geld insgesamt knapper werden sollte, dann wird | |
| diese Förderung sicher in Frage gestellt. Ich glaube, dass das vielen | |
| Kulturinstitutionen klar ist. Mir fällt auf, dass gerade jüngere | |
| Generationen etwa von Theatermachern darüber nachdenken: Wie schaffen wir | |
| es im 21. Jahrhundert noch, relevant zu sein? | |
| Ist es da nicht ein Schlag ins Gesicht, dass viele Teilnehmer der Studie | |
| sagten, dass sie das Theater schlicht langweilig finden? | |
| Ich selbst bin zunächst davon ausgegangen, dass man die Sache einfach | |
| anders verkaufen muss: mit neuen Kommunikationsweisen, schönen | |
| Rahmenbedingungen. Aber das stimmt nicht, es ist ziemlich deutlich, dass | |
| man ein neues Publikum nur dann dauerhaft gewinnen wird, wenn es das Gefühl | |
| hat: Die Programme, die gezeigt werden, haben etwas mit meinem Leben zu | |
| tun. Und da wird es heikel. | |
| Warum? | |
| Da heißt es bei den Machern: Sollen wir uns von Kulturnutzern die | |
| Programmpolitik schreiben lassen? Und machen wir dann nur noch Mainstream | |
| und verlieren alle Qualitätsansprüche? | |
| Nach dem Motto: Musicaltheater machen schon die Privaten? | |
| Da muss man sehr deutlich unterscheiden, welchen Auftrag eine öffentliche | |
| Kultureinrichtung hat. Wir bezahlen sie auch, aber eben nicht nur dafür, | |
| dass sie gute Unterhaltung für viele Leute bietet. Sie soll auch | |
| künstlerische Qualität schaffen, sie soll experimentieren, sie darf auch | |
| scheitern. Die Lösung besteht wahrscheinlich darin, dass man seine eigene | |
| Mission, seinen eigenen Anspruch an die Arbeit nicht aufgibt, nur um dem | |
| Publikum das zu geben, was es schon immer will. Das ist auch total | |
| langweilig. Sondern, dass man bei dem, was man ohnehin machen möchte, | |
| andere Nutzergruppen stärker mit einbezieht. | |
| Wie sähe das aus? | |
| Etwa, indem man mit einer Laiengruppe ein Projekt entwickelt, um zu sehen, | |
| wie die da eigentlich herangehen: Was für Songs bauen sie ein, was für | |
| Themen interessieren sie? | |
| Auf der Hamburger Veddel wollte das Schauspielhaus im Herbst gemeinsam mit | |
| den Leuten vor Ort die Stadt der Zukunft entwickeln. Kritiker fragten | |
| daraufhin, ob man das Geld nicht lieber direkt in Sozialarbeit investieren | |
| sollte. | |
| Dieses Argument, Kulturarbeit würde da Sozialarbeit, ist blöde. Es ist ein | |
| großer Unterschied, ob ich solche in die Gesellschaft hineingehenden | |
| Projekte als Künstler, oder ob ich sie als Sozialarbeiter mache. Ich finde | |
| es absolut sensationell, weil ich da als Künstler mit künstlerischen | |
| Mitteln etwas Neues wage. Solche Projekte sind auch Aufgabe eines Theaters, | |
| das im Hier und Jetzt relevant sein möchte und nicht nur die immer alten | |
| Klassiker abspielt und noch mal ein bisschen anders interpretiert. | |
| Natürlich gibt es Einrichtungen, die die Aufgabe haben, das kulturelle Erbe | |
| zu bewahren – aber das muss ja nicht der Großteil sein. | |
| Großbritannien, das viel weniger Geld für die Kulturförderung ausgibt, gilt | |
| als Paradebeispiel für neue Wege in der Kulturvermittlung. Würde es der | |
| Stagnation in Deutschland aufhelfen, die Einrichtungen finanziell stärker | |
| auf sich selbst zu stellen? | |
| Manchmal denke ich auch: Kreativität entsteht aus Mangel. Und es ist | |
| interessant, dass in Griechenland, das in der Staatspleite steckt, die | |
| Kulturschaffenden aktiver denn je sind. In Deutschland sind 95 Prozent der | |
| Mittel für Kultur fest verteilt. Wenn man sagt, wir kürzen bei allen | |
| Institutionen 30 Prozent, damit sie in die Pötte kommen, wird das nicht | |
| passieren. Denn die Häuser sind so personalintensiv, dass sie dann nicht | |
| mehr arbeiten können. Ich wäre eher für einen Prozess, in dem die | |
| bestehenden Einrichtungen darin begleitet werden, sich zu verändern. | |
| Müsste sich diese zutiefst bildungsbürgerliche Institution von ihrem | |
| eigenen Milieu entfernen? | |
| Sie müsste zumindest für alle Bürgerinnen und Bürger da sein. Das kleine | |
| Klientel, das sie bisher bedient hat, gibt es immer weniger. Aber das ist | |
| ja auch ein spannender Prozess. Das Theater ist dann vielleicht nicht mehr | |
| der Ort für die gepflegte Abendunterhaltung einer kleinen Gruppe, aber | |
| vielleicht der zentrale kulturelle Treffpunkt einer Stadt. | |
| England und die Niederlande galten lange als Vorreiter für neue kulturelle | |
| Vermittlung. Kann man sich da etwas abgucken? | |
| Früher habe ich gedacht: die haben die Lösung. Aber wenn man sieht, dass | |
| beispielsweise in den Niederlanden ein absoluter Kahlschlag der | |
| öffentlichen Förderung stattgefunden hat, dann bin ich eher skeptisch, die | |
| Kulturinstitutionen so schnell zur Disposition zu stellen. Es sind oft | |
| einzelne Beispiele: In Rotterdam gibt es ein Theater, das komplett | |
| partizipativ mit verschiedensten Gruppen aus dem sozial eher schwierigen | |
| Stadtteil umgestaltet wurde. Was man auch sehen muss: durch den | |
| Kulturföderalismus haben wir hier die reichste und vielfältigste | |
| Kulturlandschaft weltweit. Wenn wir dann sehen, dass das Publikum vor allem | |
| die privatwirtschaftlichen Angebote im Blick hat, ist das einfach schade. | |
| Auf Ihrer Tagung „Mind the Gap“ zu Zugangsbarrieren bei kulturellen | |
| Angeboten gab es Protestierende, die anprangerten, dass hier eine | |
| akademische Minderheit für eine Allgemeinheit spreche. War das ein Schuh, | |
| den Sie sich angezogen haben? | |
| Ich fand es toll, dass es diese Intervention gab. Es waren vorwiegend junge | |
| Kulturschaffende mit außereuropäischem Migrationshintergrund und es hat | |
| gezeigt, dass offensichtlich gerade die bestehenden Machtverhältnisse im | |
| Kulturbereich – Verteilung von Geld und Autorität – von neuen | |
| Akteursgruppen in Frage gestellt werden. Den Schuh, den ich mir nicht | |
| angezogen habe, war der, dass man nur als Betroffener, also als Mitglied | |
| einer Gruppe, das Recht und die Kompetenz hat, über diese Gruppe zu | |
| sprechen. Denn in dieser Tagung ging es darum, darüber nachzudenken, was | |
| sind die Gründe für ganz verschiedene Gruppen, die öffentlichen | |
| Kulturangebote nicht zu nutzen. Es ging nicht darum, zu sagen: die sind zu | |
| blöd, wir müssen sie erst kulturell bilden. Der Ansatz war umgekehrt, bei | |
| den Kultureinrichtungen zu gucken: Welche Art Barrieren baut ihr auf? | |
| An der Uni Hildesheim bilden Sie Kulturvermittler aus, die die Barrieren | |
| abbauen sollen. Aus was für Elternhäusern stammen die? | |
| Mein Eindruck ist, dass sie zu 80 Prozent aus akademischen Elternhäusern | |
| kommen. Und wir wissen, dass das die zentrale Voraussetzung dafür ist, um | |
| Zugang zu bestimmten Kunst- und Kulturformen zu bekommen. Daran müssen wir | |
| am meisten arbeiten. Wir müssen in Kitas und Schulen allen zumindest | |
| potenziell den Zugang dazu schaffen. So jemand wie ich, der im Elternhaus | |
| nicht damit vertraut gemacht wurde, ist immer noch die Ausnahme. | |
| Was hat der Zugang zu der Hochkultur-Welt für Sie bedeutet? | |
| Er hat mir Horizonte eröffnet. Ich bin überzeugt: Die Auseinandersetzung | |
| mit Kunst und Kultur kann für jeden die Lebensqualität erhöhen. Ich habe | |
| aber auch das Gefühl, den hochkulturell Sozialisierten immer wieder sagen | |
| zu müssen: Diese Welt ist nicht selbstverständlich, da gibt es Barrieren, | |
| es erschließt sich nicht von selbst. Diese Vorannahme empfinde ich als eine | |
| ziemliche Arroganz. Und das andere ist, dass ich Leute ermutige, ihre | |
| eigenen kulturellen Aktivitäten, auch die im Spielmannszug und beim | |
| Basteln, ernst zu nehmen. | |
| 19 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
| ## TAGS | |
| Hildesheim | |
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