# taz.de -- Wenn Singlemänner einsam sind: Unglückliche Paare gibt es genug | |
> Niemand spricht gern drüber allein zu sein, manchmal einsam. Und das mit | |
> Mitte dreißig. Ein Selbstbekenntnis. | |
Bild: Kitschige Herzen als Liebesbeweis bleiben einem als Single erspart. Frage… | |
Ich trage Hoffnung mit mir herum, eigentlich ständig. Sie ist dabei, wenn | |
ich Brötchen hole. Oder wenn ich in die rappelvolle U-Bahn steige. Sie | |
begleitet mich, wenn ich zum Schwimmen gehe. Es ist, als sei sie immer in | |
meiner Jackentasche, zwischen einer alten Kinokarte, den Kaugummis und ein | |
paar Krümeln. | |
Manchmal vergesse ich sie für einen Augenblick. Meistens aber versichere | |
ich mich, dass sie noch da ist, bevor ich die Wohnung verlasse. Es ist, | |
zugegeben, eine sehr konkrete Hoffnung. Ich hoffe auf: Liebe. Mehr oder | |
weniger bin ich seit drei Jahren solo. | |
„Mehr oder weniger“ heißt, es gab eine Affäre, wenige One-Night-Stands, | |
eine kurze Beziehung, ein Beieinandersein für drei, vier Monate. Es gab | |
tolle, romantische Momente, es gab auch Verknalltsein. Aber ich traf nicht | |
die Frau, mit der ich leben möchte. Mit der es stimmt. Die eine. | |
Wenn man wie ich Mitte dreißig ist, häufen sich die Fragen im Umfeld. | |
Mitbewohner Malte – selbst seit einem knappen Jahr in einer glücklichen | |
Beziehung – fragt beim Frühstück: „Was machen die Frauen?“ | |
## Langsam wird es doch mal Zeit | |
Ich umspiele es mit einem Witz, sage ein paar Mal „Ach“ und „Oh“ und �… | |
Wir lachen. Wenn meine Eltern vorsichtig etwas in diese Richtung andeuten, | |
reagiere ich gereizt. Und an den brunchenden Paaren sonntagmittags im Café | |
laufe ich lieber schnell vorbei. | |
Wie die ersten grauen Haare an der Schläfe erinnern sie mich daran, dass es | |
ja mal „langsam Zeit“ wird, wie angetrunkene Verwandte schon mal auf | |
Familienfeiern sagen. Diese dämlichen Sprüche sollten mir am Arsch | |
vorbeigehen. | |
Und doch bin ich ein bisschen wütend und traurig, wenn ich sie so etwas | |
sagen höre. Wütend, weil ich glaube, dass es gut ist, sich die Zeit zu | |
nehmen, die man braucht – und man sowieso nichts erzwingen kann. Zeit vor | |
allem, die ich brauche. | |
Eine Beziehung nur um der Beziehung willen möchte ich ganz sicher nicht | |
führen; unglückliche Paare gibt es schon genug. Traurig machen mich solche | |
besorgten Fragen deshalb, weil sie in einer Wunde stochern, die nun mal da | |
ist – oder sie zumindest streifen. | |
## Wenn der Tag keinen Sinn hat | |
Die Singlefrauen im „gebärfähigen“ – also in meinem – Alter tun mir m… | |
leid als ich mir selbst, bisweilen. Sie werden noch schräger angeguckt, | |
wenn sie allein leben. Allein fühle ich mich oft, ohne dass ich es weiter | |
schlimm fände. Ist ja keine Krankheit, die man auf die Schnelle lindern | |
könnte. | |
Manchmal aber fühle ich mich einsam. An diesem Samstag zum Beispiel. Nach | |
der SMS eines Freundes – „C.s Mutter geht es nicht gut, wir müssen | |
hinfahren, kann heute leider nicht ins Theater. LG“ – ist der einzige | |
Termin hinfällig, den es an diesem Tag gab. | |
Ich surfe ein paar Stunden sinnlos im Netz. Spiele Gitarre. Es will keinen | |
Spaß machen. Später höre ich einen Song, der mich endgültig fertigmacht. | |
Ich rauche eine. Gucke alle halbe Stunde aufs Smartphone. Niemand wollte | |
etwas von mir. | |
Ich gehe in Kneipen, in Clubs, bin in einem Verein, lerne über meinen Job | |
häufiger Frauen kennen. Online zu suchen war nie so mein Ding. Es ist kein | |
Problem, in der Stadt, in der ich lebe, Frauen zu treffen. Meist fällt es | |
mir nicht mehr allzu schwer, sie anzusprechen. | |
## Nach dem Date blieb nur noch „YouPorn“ | |
Manchmal macht man Dates aus. So wie neulich, mit Larissa, die ich beim | |
Joggen im Park kennengelernt hatte. Wir trafen uns am Tag darauf in einem | |
China-Restaurant. Schon das Essen wurde lang und zog sich. Die Vibes | |
fehlten, wir lebten in zwei völlig unterschiedlichen Welten. | |
Sie aufgebrezelt und fein gekleidet, ich im Normalolook. Sie gläubig, ich | |
Agnostiker. Sie kam aus den Natur-, ich aus den Geisteswissenschaften. Wir | |
unterhielten uns über den Klimawandel. Ich hatte nicht so viel beizutragen. | |
Nachdenklich ging ich nach Hause. Dort sah ich mir was auf „YouPorn“ an und | |
holte mir einen runter. | |
Die Affäre mit Tamara hielt dagegen so lange, dass sie eine Zahnbürste bei | |
mir deponierte und ich bei ihr: ein paar Monate. Wir trafen uns ungefähr | |
jedes zweite Wochenende, meist bei ihr. Wir fuhren dann zum See oder gingen | |
ins Kino. | |
Oder wir faulenzten. Schliefen morgens miteinander und blieben bis zum | |
Nachmittag liegen. Wir verstanden uns gut im Bett und wussten das zu | |
schätzen. Hörten Klezmersongs, die Jackson Five oder sangen Arbeiterlieder | |
mit. Sah ihr gern vom Bett aus nach, wie sie nackt in die Küche huschte, | |
wie die schwarze Mähne auf dem Rücken baumelte und sie noch einen Kaffee | |
holte. | |
## So leidvoll ist das Singledasein auch nicht | |
Für eine Beziehung reichte es nicht, das wussten wir, glaube ich, von | |
Beginn an. Vielleicht war es, weil sie sehr extro- und ich eher | |
introvertiert war. Es wäre ein ständiger Kampf um Raum gewesen. Jetzt | |
schreiben wir uns nur noch ab und zu. | |
Früher hatte ich eine Tradition mit meiner zwei Jahre jüngeren Schwester: | |
Wir telefonierten, wenn es arge Probleme mit der Liebe gab. Es war in | |
meinen mittleren Zwanzigern, als wir beide eine Weile Single waren (sie hat | |
seit ein paar Jahren einen Freund und ist gerade schwanger. Unsere Eltern | |
freut’s). | |
Inzwischen rede ich nur noch mit einem guten Freund über ernsthafte | |
Liebesleiden. Das Singledasein aber als ständiges Leiden darzustellen, | |
hieße, es zu verklären. Eigentlich ist ja alles in Ordnung, trotzdem spüre | |
ich, wie da etwas in mir arbeitet. | |
Manchmal denke ich über andere Beziehungsmodelle, über andere Lebens- und | |
Liebesformen nach, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass ich es gern dauerhaft | |
zu zweit versuchen würde. Wenn sie denn mal auftauchen würde. | |
## Wenn einem die zweite Zahnbürste im Becher doch fehlt | |
Natürlich gibt es auch im Singleleben Highlights. Es hat auch große | |
Vorzüge; ich bin sehr frei. Und es hat positive, aufregende Seiten, auf der | |
Suche zu sein. Was den Sex betrifft, was die Flirts betrifft. Ich denke | |
tagelang über einen Blick auf einer Party nach, ich wundere mich, mit wem | |
ich da plötzlich im Bett gelandet bin. Wer wie ich keine Kinder hat, kann | |
schon mal Wochenenden durchfeiern. | |
Ein paar Dinge fehlen. Tage im Bett. Gute Gespräche nach dem Essen. | |
Gespräche überhaupt. Muße, Kontemplation, Ausgeglichenheit. Diese Sachen | |
erlebe ich als Single kaum. Ich bin ablenkbarer, verlerne es, mich jemandem | |
voll und ganz zu widmen, der mir wichtig ist. | |
Ich kümmere mich darum, dass beruflich alles läuft, es finanziell stimmt. | |
Beim Zähneputzen morgens aber, jetzt, wo wieder nur eine Zahnbürste im | |
Becher steht, kommt es mir nur wie ein Programm vor, das ich abspule. Die | |
Tage werden heller. Frühling wird kommen. Das Leben geht weiter. | |
23 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Lukas Immenhof | |
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