# taz.de -- Justiz: Keine Frage der Nächstenliebe | |
> Neue Projekte von Straffälligenbetreuung und Knast wollen das familiäre | |
> Elend der Gefangenen mildern. Weihnachten wird wohl trotzdem weiterhin | |
> eine Qual bleiben. | |
Bild: Keine Elternabende, keine Sportveranstaltungen: Väter im Knast müssen i… | |
taz | Im Gefängnis in [1][Oslebshausen] müssen die Insassen in diesem Jahr | |
allein Weihnachten feiern: Besuche gibt es nicht. Schuld daran ist | |
allerdings keine Boshaftigkeit der Anstaltsleitung, sondern eine kleine | |
Tragödie aus dem vergangenen Jahr. Von 18 angemeldeten BesucherInnen kamen | |
gerade mal sieben. Die übrigen Inhaftierten hätten im Besuchsraum | |
vergeblich gewartet, erzählt die „Besuchsbeamtin“ Bianca Recht: „Das | |
wollten wir ihnen nicht wieder antun.“ | |
Die Familie über die Haft hinweg zu erhalten, ist nicht nur an Weihnachten | |
eine Herausforderung – besonders wenn Kinder beteiligt sind. Ein neues | |
Projekt der [2][Bremischen Straffälligenbetreuung] soll Kinder ab vier mit | |
ihren inhaftierten Vätern zusammenbringen. Die Projektverantwortliche Elke | |
Bahl sagt, viele Kinder müsste überhaupt erst realisieren, dass der Vater | |
im Gefängnis ist. Die Mitarbeiter betreuen Angehörige und vermitteln | |
Kontakte zu Behörden. „Da gibt es große Hürden“, sagt Bahl. Viele Mütter | |
würden sich nicht ans Jugendamt wenden, weil sie Angst hätten, dass man | |
ihnen die Kinder wegnähme. | |
Der Verein arbeitet eng mit der Justizvollzugsanstalt (JVA) zusammen. Deren | |
Familienbeauftragter Torben Adams ermittelt gerade, wie viele Inhaftierte | |
Kinder haben. Bisher ergibt sich der Hilfsbedarf aus dem Einzelfall, wenn | |
etwa Seelsorger direkt von Häftlingen angesprochen werden – oder wenn „uns | |
etwas auffällt“, sagt die Beamtin Recht. | |
Zukünftig soll es im Väter-Projekt auch darum gehen, die eigene familiäre | |
Rolle zu reflektieren. Viele hätten Schwierigkeiten zu akzeptieren, nicht | |
mehr der Ernährer der Familie zu sein, sagt Adams: „Man besucht keinen | |
Elternabend in der Schule und kann auch die sportlichen Erfolge der Kinder | |
nicht mitfeiern.“ | |
Immerhin gibt es Weihnachtsgeschenke: Ein kleines Mädchen trägt ein in der | |
Knast-Küche gebackenes Lebkuchenhaus durch die Schleuse. Andere bekommen | |
CDs, auf denen die Väter ihnen vorlesen. [3][„Ich lese für dich“], heißt | |
das Projekt der Pädagogin Renate Neumann-Herlyn. | |
Dass sich die JVA um die familiären Verhältnisse der Gefangenen kümmert, | |
ist keine Frage der Nächstenliebe. Es geht um das „Vollzugsziel | |
Resozialisierung“, wie es im Gesetz heißt, aber auch um den Rechtsstaat: | |
„Gefangene sind einzig und allein zum Entzug der Freiheit verurteilt“, sagt | |
Adams – nicht aber zum Abbruch ihrer sozialen Beziehungen. | |
Trotzdem gewährt das Gesetz nur drei Stunden Besuchszeit pro Monat. Mehr | |
wird es dann auch in der Praxis nicht, denn Besuche sind organisatorisch | |
aufwendig und die Räume begrenzt. „Perfekt sind die Bedingungen nicht“, | |
sagt Adams – man könne aber viel daraus machen. Tatsächlich scheint sich | |
etwas zu tun: Die Besuchsräume sollen eine Außenterrasse bekommen und seit | |
Kurzem wird Gefangenen Video-Telefonie mit Familienmitgliedern ermöglicht. | |
Der Stigmatisierung der Gefangenen draußen macht es nicht leichter: „Denen | |
geht es noch zu gut“, heißt es immer wieder. Bianca Recht erzählt, wie ihre | |
Tochter übrig gebliebene Stoffreste aus der Schule mitnehmen wollte. Im | |
Grunde kein Problem, bis die Lehrerin erfuhr, dass es die Materialien für | |
ein Kreativ-Projekt im Knast sein sollten. „Da gab es plötzlich keine | |
Stoffe mehr“, sagt die Beamtin. | |
Wenn Kinder sich nicht bereit fühlen, die Väter zu besuchen, will das | |
Projekt der Straffälligenbetreuung vermitteln. Gemeinsam mit den | |
BetreuerInnen können die Kinder Briefe schreiben, um den Kontakt zunächst | |
aus der Ferne aufzunehmen. Die direkte Betreuung der Kinder sei wichtig, | |
weil ihre Eltern oft schon miteinander überfordert seien, sagt Bahl: „Die | |
Eltern haben bei den kurzen Besuchen viel zu besprechen und die Kinder | |
gehen den Bach runter.“ | |
Jugendliche ab 14 Jahren können allein zum Elternbesuch ins Gefängnis | |
fahren. Jüngere werden manchmal von ihren Müttern bis zur Schleuse | |
gebracht, wo sie von JVA-Personal zu den Besuchsräumen begleitet werden. | |
Die sind hell und freundlich, mit Holztischen und Bildern an der Wand. | |
Gerade für Kinder, die bei der Festnahme dabei waren, kostet der Umgang mit | |
den Uniformierten trotzdem Überwindung. „Es ist ein Schock, wenn die | |
Polizei in die Wohnungen kommt und den Vater mitnimmt“, sagt Adams. Danach | |
sei das Leben erst mal durcheinander und viele stünden vor der | |
Entscheidung, dem Vater oder dem Staat die Schuld daran zu geben. „Das | |
hängt am Alter der Kinder“, sagt Adams. Aber auch das Vergehen dürfte wohl | |
eine Rolle spielen – denn die sind manchmal ziemlich harmlos. | |
Einige sitzen hier so genannte „Ersatzstrafen“ ab, weil sie Bußgelder nicht | |
bezahlen konnten. Zwar gibt es Möglichkeiten, diese Haft zu vermeiden und | |
etwa Ratenzahlungen zu vereinbaren, aber manche sind psychisch nicht zu dem | |
Verwaltungsaufwand in der Lage. Und da Hafturlaub bei Ersatzstrafen | |
grundsätzlich ausgeschlossen ist, gilt: Wer fürs Schwarzfahren im Knast | |
sitzt, der bleibt auch über Weihnachten garantiert drinnen. | |
23 Dec 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.jva.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen59.c.1462.de | |
[2] http://www.straffaelligenhilfe-bremen.de/ | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
Jan-Paul Koopmann | |
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