| # taz.de -- Grünen-Urgestein Ockert über Parteiaustritt: „Jetzt ist Schluss… | |
| > Akzeptanz hat eine extrem korrumpierende Wirkung, sagt Aram Ockert. Das | |
| > Gründungsmitglied der Grünen attestiert seiner Partei Inhaltsleere und | |
| > verlässt sie. | |
| Bild: "Für Leute wie mich ist es totaler Quatsch, in einer Partei zu sein": Ar… | |
| taz: Herr Ockert, Sie haben zum Jahreswechsel – nach fast 35 Jahren – den | |
| Grünen den Rücken gekehrt. Warum ausgerechnet jetzt? | |
| Aram Ockert: Als eines der Gründungsmitglieder hatte ich eine gewisse | |
| Anhänglichkeit an diese Partei. Aber der Entfremdungsprozess, der sich über | |
| lange Jahre hinzog, hat nun dazu geführt, zu sagen: „Jetzt ist Schluss.“ | |
| Mit meinen Vorstellungen gescheitert war ich in dieser Partei schon vorher. | |
| Inwiefern sind Sie gescheitert? | |
| Die entscheidende Differenz zwischen mir und den Grünen ist, dass sich die | |
| Grünen mittlerweile nicht mehr als InteressensvertreterInnen einer | |
| bestimmten Bevölkerungsgruppe, sondern der gesamten Bevölkerung begreifen. | |
| Das ist mit meiner Vorstellung von Politik, die darin besteht, Interessen | |
| zu vertreten, nicht vereinbar. | |
| Ein Beispiel? | |
| Dass sich die Grünen am Wettbewerb darum beteiligen, wer der beste | |
| Vertreter für Deutschland, Hamburg oder die Welt ist. Dadurch geht aber die | |
| Rückkopplung zu den Gruppen verloren, durch die sich die Grünen überhaupt | |
| gebildet haben. | |
| Wessen Interessen sollten sie in Ihren Augen vertreten? | |
| In der sozialen Frage sollten sie die Interessen derjenigen vertreten, die | |
| sie bislang explizit nicht vertreten haben: Nämlich die derjenigen, die von | |
| der Partizipation am Wohlstand ausgegrenzt sind. Sie sollten aber auch | |
| dafür sorgen, dass das Wohlstandsmodell insgesamt infrage gestellt wird: | |
| Die herrschende Wirtschaftsform, die auf stetiges Wachstum angelegt ist und | |
| damit zwangsläufig mit der Ökologie in Konflikt gerät. | |
| Sie kritisieren die Partei als inhaltsleer. Gleichzeitig sehen Umfragen die | |
| Grünen bei elf bis 14 Prozent. | |
| Da besteht gar kein Widerspruch. Es ist ja nicht so, dass die Grünen die | |
| einzige Partei wäre, die sich nicht festlegt. Unter allen potenziellen | |
| Regierungsparteien gibt es einen Wettbewerb: Wer als erster einen Inhalt, | |
| der polarisierungsfähig wäre, verkündet, hat verloren. Diese Parteien | |
| bieten sich als Projektionsflächen auf Basis bestimmter | |
| Kompetenzvermutungen an. Die Grünen profitieren davon, dass das Thema | |
| Ökologie ihnen als Kompetenz zugeschrieben wird. Und sie erwecken den | |
| Anschein, dass Ökologie und Ökonomie wunderbar vereinbar wären. | |
| Woran machen Sie das fest? | |
| Die Grünen haben sich im letzten Jahr an der Wahl Jean-Claude Junckers zum | |
| EU-Kommissionspräsidenten beteiligt. Mitte Juli [1][schrieb Ulrike Herrmann | |
| dazu in der taz], dass sich damit ein Steuerdieb als Staatsmann gerieren | |
| darf. Die linken Grünen im Europaparlament, [2][Sven Giegold und | |
| Jan-Philipp Albrecht, erklärten am gleichen Tag], sie hätten diesen Mann | |
| gewählt, weil er in seiner Rede besonderen Wert auf den Ausbau erneuerbarer | |
| Energie gelegt hatte. Die Folklore einer Rede wird also höher bewertet, als | |
| das, was dieser Mensch über ein Jahrzehnt gemacht hat. | |
| Lässt es Sie kalt, der Partei im Wahlkampf in den Rücken zu fallen? | |
| Meine Loyalitätsverpflichtung gegenüber den Grünen habe ich hinreichend | |
| lange erfüllt. Wenn man die Kritik nur auf die Grünen bezöge, wäre sie | |
| falsch. Wie alle regierungswilligen Parteien, tarnen auch die Grünen, dass | |
| es ihnen eigentlich nur um Teilhabe geht und sagen selbstreferenziell: Wir | |
| sind die Guten und wenn die an der Regierung beteiligt sind, ist das | |
| natürlich gut. | |
| Sie sagen, die Grünen seien heute vor allem davon getrieben, nicht anecken | |
| zu wollen. Wie erklären Sie diesen Konformismus? | |
| Die Grünen haben ja angefangen als ausgesprochene Oppositionspartei. Petra | |
| Kelly hat den Begriff der Anti-Partei geprägt, der noch lange das | |
| Bewusstsein großer Teile der Partei geprägt hat. Aber spätestens Anfang der | |
| 90er Jahre waren wir in der Mitte der Gesellschaft angekommen – und das | |
| Gefühl, akzeptiert zu sein, hatte man lang genug vermisst. Ab jetzt wollte | |
| man nur soweit gehen, wie es dem Wunsch nach Mitregieren nicht widersprach. | |
| Was hat Sie in Zeiten der rot-grünen Bundesregierung, wo viele die Partei | |
| wegen Hartz-IV-Reform und Jugoslawienkrieg verlassen haben, gehalten? | |
| Ich muss gestehen, dass ich mich in der Partei wegen bestimmter Menschen | |
| immer sehr wohl gefühlt habe. Meine Mitgliedschaft begründete sich durch | |
| die Art des Umgangs, den man dort pflegt. Inhaltlich habe ich als Marxist | |
| immer eine Exotenposition vertreten. Die Partei ist eben auch eine | |
| liberale, die Leute wie mich immer toleriert hat. Dieser Liberalismus ist | |
| auch Teil meiner kommunistischen Auffassung, weil der Kommunist nach einer | |
| Gesellschaft strebt, in der die Freiheit eines jeden zugleich die Bedingung | |
| der Freiheit aller ist. | |
| Wohin treibt es Sie jetzt? | |
| Ich glaube für Leute wie mich, die vom Zorn angetrieben sind und etwas | |
| verändern wollen, ist es totaler Quatsch, in einer Partei zu sein. | |
| 4 Jan 2015 | |
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| [2] http://www.sven-giegold.de/2014/warum-wir-juncker-als-kommissionspraesident… | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
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