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# taz.de -- Kolumne Unter Schmerzen: Intellektuelle, ab in die Produktion
> Vom Kurbeltisch zum Pissoir und immer im Blick: der
> DKV-Gesundheitsreport. Aber: Die besten Kulturleistungen werden im Sitzen
> begangen.
Bild: Pssst: Diese Wandmalerei steht beim Wohnhaus des Autors um die Ecke. Er w…
Die Welt ist immer noch recht krank, aber mir geht es wieder etwas besser.
Betonung auf „etwas“, denn dieser Winter ist schlimm, das feucht-kalte und
weithin sonnenlose Wetter schlägt mir neuerdings auch noch auf den
Ischiasnerv. Aber ja, Flug in den Süden ist bereits gebucht. Mitsamt
Sitzplatzreservierung.
Vorgestern erschien der neue DKV-Gesundheitsreport. Demnach sitzen die
Deutschen zu viel; allen voran (wen wundert’s): die Berliner. Die sitzen so
am Tag neun Stunden ab, was, zieht man vom Tag die durchschnittlichen
horizontal verbrachten Stunden ab, schon eine ganze Menge ist.
Acht Stunden Schlaf, neun Stunden sitzen, der Berliner ist also de facto
ganze sieben Stunden täglich auf den Beinen. Da hilft zum Ausgleich auch
kein Sport, sagt der Gesundheitsreport. Allerhöchstens 150 Minuten moderate
oder 75 Minuten intensive körperliche Arbeit in der Woche. Mit anderen
Worten: Intellektuelle, ab in die Produktion.
Aber ernsthaft: Gefragt ist jetzt eine gewisse Flexibilität. Öfter mal
aufstehen vom Schreibtisch und etwas im Zimmer herumgehen! Ruhig auch mal
Grübelfurchen in den Boden ziehen wie Onkel Dagobert! Schon morgens öfter
mal in der eh vollen U-Bahn stehen statt sitzen (in Mexiko bekommt man
jetzt für zehn Kniebeugen eine Freikarte für die Metro), die Stufen nehmen
statt dem Fahrstuhl, mittags den Stehimbiss aufsuchen statt dem teuren
Restaurant und am Abend, wenn nicht zum Zappeln, dann wenigstens in die
(rauchfreie) Stehkneipe.
## Im Sitzen verfasst
Die Stehkneipe ist zwar ein vornehmlich rheinisches Konzept, könnte für
Sitzriesen in Berlin oder Bayern (bei denen die Kombi aus Sitzen und
Trinken ja eine Art Volkssport ist) aber durchaus interessant werden. Auch
das Pissoir kann gesundheitstechnisch wieder dienlich werden, zumindest für
einen Teil der Gesellschaft – Stehen ist, heißt es am angegebenen Ort,
jedenfalls besser für den Stoffwechsel.
Vom Sitzfleisch betroffen sind viele, der Gesundheitsreport hebt aber schön
alarmistisch besonders auf die Jugend ab. Die verdaddelt bereits in jungen
Jahren ihr halbes Leben, die andere Hälfte verbringt sie, glaubt man der
Studie, vor dem Fernseher, die meisten machen wohl beides gleichzeitig.
Kein Vergleich zu den wenigen sitzenden Tätigkeiten, die ein Kind der
siebziger Jahre so verrichtet hat – das bisschen Schaukeln, das bisschen
Gokart-Fahren! Natürlich geben die Erwachsenen heutzutage ein schlechtes
Beispiel ab. Andererseits: Sich Regen bringt zwar Segen, aber die besten
Kulturleistungen werden eben im Sitzen begangen. Das fängt ja schon beim
Lesen an.
Auch diese Kolumne wurde schließlich im Sitzen verfasst, wenn auch an einem
höhenverstellbaren Schreibtisch (für zu Hause liebäugele ich mit einem
Stehpult à la Philip Roth). Dieser Kurbelschreibtisch ist eine sinnvolle
und gute Erfindung, ich nutze sie nur selten. Weil sich Schreiben im Stehen
irgendwie komisch anfühlt.
Überhaupt: Das Leben ist halt eines zum Tode hin, so oder so. Oder wie der
Dichter Gottfried Benn schrieb: „Auch ein normales Leben / führt zu einem
kranken Tod.“
29 Jan 2015
## AUTOREN
Rene Hamann
## TAGS
Unter Schmerzen
Michael Moore
Masern
Rote Armee Fraktion / RAF
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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