# taz.de -- Kommentar Weltsportevent: Olympia braucht eine andere Vision | |
> Seit 1896 begleiten Zweifel die Olympischen Spiele: zu teuer, zu | |
> megaloman, zu fremdgesteuert. Ein verquaster Olympismus kann nicht die | |
> Lösung sein. | |
Bild: Olympia geht auch eine Nummer kleiner, etwa im Miniatur-Wunderland in Ham… | |
Schon 1896, zu Beginn der neuen olympischen Ära, waren die Spiele in Europa | |
schwer zu vermitteln. Athen bekam damals den Zuschlag aus nostalgischen | |
Gründen, aber so richtig froh war man nicht darüber. Drei Jahre vor dem | |
historischen Sportereignis musste Griechenland nämlich Staatsbankrott | |
anmelden. | |
In Vorbereitung der Olympischen Spiele mussten sich die Ausrichter also den | |
Vorwurf gefallen lassen, „Luxusausgaben“ für die ersten Sommerspiele der | |
Neuzeit zu veranschlagen. Der damalige griechische Premierminister | |
Charilaos Trikoupis schrieb an den ersten Olympiafunktionär von Rang, | |
Pierre de Frédy Baron de Coubertin, er hätte es „vorgezogen, dass die ganze | |
Angelegenheit nie ins Werk gesetzt worden wäre“. Letztlich rettete der in | |
Alexandria lebende griechische Millionär Georg Averoff die Spiele mit einer | |
großzügigen Spende aus seiner Privatschatulle. | |
In einem Punkt scheint sich seitdem nicht verändert zu haben, denn auf dem | |
alten Kontinent möchte derzeit keiner so recht die Kröte Olympia schlucken. | |
Zuletzt sagten die Bürger in Oslo, Krakau, Graubünden, München oder | |
Stockholm in Volksentscheiden Nein. Immer wieder heißt es in demokratisch | |
verfassten Nationen: zu teuer, zu megaloman, zu fremdgesteuert. | |
Die Olympischen Spiele drohen bei all der Zurückhaltung des Westens mehr | |
und mehr zu einer Leistungsschau von autokratischen Regimen zu verkommen. | |
Wo die Gewalt gemeinhin vom Volke ausgeht, wird es schwieriger für die | |
Verwalter des größten Sportfestes der Welt. In China, Russland, und | |
demnächst wohl auch in Kasachstan, Katar und Aserbaidschan ist es leichter, | |
dem Volk den Willen der politischen Elite zu oktroyieren - und damit das | |
IOC zu überzeugen. | |
## Ja, die Spiele kosten Milliarden | |
Und ja, die Spiele sind verdammt teuer. Zu teuer. Sie kosten Milliarden. In | |
Sotschi investierte Russland über 40 Milliarden Euro in die Winterspiele. | |
Das hat strukturelle Gründe. Starteten seinerzeit in Athen nur 295 | |
Athleten, allesamt Männer, so sind es jetzt bei Sommerspielen 10.500 | |
Sportler. Hinzu kommen ebenso viele Journalisten. Die Olympischen Spiele | |
haben sich aufgebläht zu einem riesigen Unterhaltungsunternehmen, das wie | |
ein Usurpator von Ort zu Ort zieht und den Städten im Verbund mit mächtigen | |
Fernsehanstalten seine Regeln diktiert. Fast schon unterwürfig müssen die | |
Bewerber um die Gunst der olympischen Funktionäre buhlen. Oftmals tun sie | |
das mit sportiven Prunk- und Protzbauten, die ihren Glanz nach den Spielen | |
jedoch schnell verlieren und als Weiße Elefanten in der Landschaft | |
herumstehen. | |
Das passt nicht zu einem selbstbewussten westlichen Bürgertum, das gerne | |
mitreden möchte, wenn es um Steuergeld, um Nachhaltigkeit, Stadtplanung, | |
Mieten und Gentrifizierung, kurz: um die Lebensqualität in der | |
Bewerberstadt geht. Viele Leute mögen die Spiele, ob sie nun in Berlin oder | |
Hamburg wohnen. | |
Sie würden sich auch gern in das Unterhaltungsspektakel stürzen, wenn es | |
denn jemals nach Deutschland kommt, aber sie sind neben ihrer | |
Sportbegeisterung aus guten Gründen skeptisch: Müssen wirklich | |
IOC-freundliche Gesetze erlassen werden, die dem Internationalen | |
Olympischen Komitee Steuerfreiheit garantieren? Warum sollen Milliarden in | |
ein elitäres Projekt fließen, wo doch der Breiten- und Schulsport | |
mannigfaltige Probleme hat und chronisch unterfinanziert ist? Wollen wir | |
uns wirklich vor einem männerbündischen Orden klein machen, der eine | |
„kultisch-religiöse Feier“ veranstaltet, wie der Philosoph Hans Lenk | |
feststellte, und obendrein einen Nationalismus befördert, der nicht mehr in | |
eine globale Welt passt? Hatte vielleicht Gregor von Rezzori doch recht, | |
als er 1960 postulierte: „Die Olympischen Spiele sind eine abgelegte Sache | |
des 19. Jahrhunderts“? | |
## Wollen wir eigentlich Olympia? | |
Ganz so ist es natürlich nicht. Der Reiz der Spiele ist nach wie vor groß, | |
weswegen derzeit ja auch der Deutsche Olympische Sport-Bund (DOSB) einen | |
neuen Versuch unternimmt mit Hamburg und Berlin. Es ist ein vorsichtiges | |
Tasten und Werben, vor allem um die Gunst der Bürger. Die Sportfunktionäre | |
haben die Macht der Basis zu spüren bekommen und agieren entsprechend | |
vorsichtig. Es ist viel taktisches Geschick bei diesem Eiertanz vonnöten, | |
um den Olympiaplan zu realisieren. Das [1][Ergebnis der Meinungsumfrage], | |
das am Dienstag veröffentlicht wurde, hat hierbei wenig Aussagekraft. Es | |
haben sich 55 Prozent von 1500 befragten Berlinern für die Ausrichtung der | |
Sommerspiele 2024 in ihrer Stadt ausgesprochen, in Hamburg waren es sogar | |
64 Prozent. Aber [2][was heißt das schon?] | |
Die Zahlen sind oft Makulatur, wenn es zu einem Bürgerentscheid kommt. So | |
geschehen bei der Münchner Bewerbung um die Winterspiele 2022. Eine Umfrage | |
im Vorfeld des Bürgerentscheids ergab 65 Prozent Zustimmung, trotzdem | |
senkte sich der Daumen der Münchner und Garmischer über dem Plan, die | |
Winterspiele auszurichten. Und dann sind ja auch noch die Befindlichkeiten | |
des IOC zu beachten. | |
Geschicktes Lobbying ist ebenso gefragt wie die hohe Kunst der informellen | |
Diplomatie. Zuletzt haben sich die Deutschen da eher nicht mit Ruhm | |
bekleckert. Die Berliner Bewerbung um die Sommerspiele 2000 endete ebenso | |
traumatisch für die Sportfunktionäre wie der Versuch des kleinen Leipzig, | |
einmal auf den Olymp zu steigen. Diese Unternehmungen, sich Olympia zu | |
schnappen, waren teilweise peinlich, kleingeistig und schlecht organisiert. | |
## Olympia muss ein Versprechen sein | |
Der Sportbund muss also über zwei Stöckchen hüpfen: das der Bürger und des | |
IOC. Dieser Zweikampf ist nur zu gewinnen, wenn man eine Vision hat. Es | |
kann nicht die Vision eines verquasten Olympismus sein. Es muss ein | |
Versprechen an die Bürger von Hamburg oder Berlin sein, vieles anders zu | |
machen. Anders heißt: transparenter, klüger, kostengünstiger, nachhaltiger | |
und insgesamt offener. Auch mit klaren Ansagen an das IOC. | |
Wer Bittsteller ist, kann nicht souverän agieren. Wer nur Klinken putzt, | |
den nimmt man irgendwann nicht mehr ernst. Aber kann das ein Dachverband | |
leisten, der ja auch nur Teil des IOC ist? Können das Bewerberstädte | |
leisten, die nur an Stadtmarketing und Tourismus interessiert sind? | |
Das Internationale Olympische Komitee hat die Gefahren erkannt, die durch | |
Gigantomanie entstanden sind. Es hat sich eine „Agenda 2020“ verordnet. | |
Aber damit wird viel Augenwischerei betrieben. Mit der Agenda sind künftig | |
noch größere Spiele möglich, in mehreren Ländern gleichzeitig. Die | |
Ideologie des steten Wachstums, die das weltweite Wirtschaftsgeschehen | |
bestimmt, sie hat auch die olympische Welt erfasst. Zum Nachteil des | |
Sports. | |
11 Mar 2015 | |
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[2] /Olympia-in-Berlin-oder-Hamburg/!156182/ | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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