# taz.de -- Syrien-Tagebuch Folge 3: Wann kommt das Blut? | |
> Schon in der ersten Klasse haben sie es mir gesagt: Gott und Assads Vater | |
> leben für immer. Als dann Hafiz starb, war ich auf das Schlimmste | |
> gefasst. | |
Bild: Auf dem Euphrat: Poster von Hafez und Baschar al Assad bei einem Festival. | |
Sherien Alhayek, 26, ist eine syrische Bloggerin und wuchs in Homs auf. Sie | |
hat dort Architektur und Kommunikationswissenschaften studiert. Seit einem | |
Jahr lebt sie im türkischen Exil und studiert dort nun Video-Journalismus. | |
Meine ersten Wochen in der ersten Klasse waren sehr verwirrend. Das | |
Verwirrendste, an das ich mich erinnern kann, war mein Versuch, zwei Sachen | |
zu definieren: Gott und Hafiz al-Assad (Vater von Baschar al-Assad, d. | |
Red.). Mir wurde damals gesagt, dass beide sehr großartig wären und ich | |
ihnen sehr dankbar sein müsse. Man sagte mir auch, dass beide Weisheiten | |
äußerten, die ich unter keinen Umständen missverstehen dürfe – und ihnen | |
widersprechen schon gar nicht. Und mir wurde mitgeteilt, dass Gott niemals | |
sterbe und Hafiz für „immer“ lebe. | |
Für mich war damit klar: Gott ist die große Macht, die wir nicht sehen | |
können, und Hafiz ist die große Macht, die wir überall sehen. | |
Das Leben ging weiter, und dann im Jahr 2000, ich besuchte gerade eine | |
Freundin, klingelte das Telefon. Doch die Mutter der Freundin traute sich | |
nicht, ranzugehen, aus Angst, jemandem aus ihrer Familie wäre etwas | |
Schlimmes passiert. Also ging meine Mutter ran, und die Stimme am anderen | |
Ende sagte: „Machen Sie den Fernseher an, mehr kann ich nicht sagen.“ | |
## Der Tag, an dem Damaskus verstummte | |
Im Fernsehen wurde der Tod von Hafiz al-Assad verkündet. Ich war sprachlos. | |
Und wollte unbedingt, dass meine Mutter mir erklärt, wie das sein kann, | |
aber sie sagte nur: „Pack deine Sachen, wir gehen.“ Wir gingen. Damaskus | |
war ganz ruhig, so ruhig, wie ich die Stadt noch nie zuvor gesehen hatte. | |
Als ob die Leute ihre Fähigkeit, zu sprechen, verloren hätten, nur die | |
Stimme des Gebetsrufers war zu hören. Wir nahmen ein Taxi. Im Radio liefen | |
Gebete. Eine alte Frau fragte uns, ob sie mitfahren dürfe, meine Mutter | |
sagte Ja. Die Alte tat so, als würde sie weinen. Ich hatte so viele Fragen, | |
aber ich wusste, dass ich jetzt auf jeden Fall still sein musste. Aber | |
wenigstens auf eine brauchte ich wirklich dringend eine Antwort: War | |
„immer“ jetzt vorbei? Würden wir nun alle sterben? | |
In unserem Viertel fiel den ganzen restlichen Tag kein einziges lautes | |
Wort. Wenn wir unbedingt sprechen mussten, flüsterten wir, wie man das | |
macht, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Nur unser Nachbar sagte | |
deutlich, wir sollten zu unserem Schutz besser Schwarz tragen. | |
Ich fragte mich wieder und wieder, wann wohl das Blut käme. Als Kind hatte | |
ich gehört, wie Leute immer sagten: Wenn Hafiz etwas zustößt, wird Syrien | |
im Blut versinken. Bis zu den Knien werdet ihr im Blut waten. Mir machte | |
das Angst, aber ich wollte auch gerne sehen, wie diese Blutströme wohl | |
aussehen würden. Und überhaupt: Warum Blut? | |
Heute, 14 Jahre später, weiß ich, warum. Ich habe gesehen, warum und wie | |
Städte mit Blut geflutet werden, und wie es aussieht, wenn das Blut uns bis | |
zu den Knien reicht. | |
Sherien Alhayek, Übersetzung aus dem Englischen: Ines Kappert | |
19 Mar 2015 | |
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