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# taz.de -- Syrien-Tagebuch Folge 4: Die Sehnsucht nach Würde
> Auf der Flucht vor den Kämpfen bleibt nur der Traum von einem eigenen
> Zelt. Internationale Hilfe, medizinische Versorgung? Fehlanzeige
Bild: Syrerin mit ihren Kindern in einem wilden Lager im Norden Jordaniens
Samah (37) floh mit ihrem Mann Abdullah (41) und ihren sechs Kindern, als
der Beschuss ihres Dorfes begann. Sie hausten in Höhlen, unter freiem
Himmel und leben heute in einem Lager für Binnenflüchtlinge im Norden
Syriens. Im Folgenden berichtet Samah von ihrer beschwerlichen Flucht:
Vor dem Konflikt hat mein Mann gearbeitet. Es war eine schwere Arbeit und
er hat nicht viel verdient, aber es war genug und wir führten ein Leben in
Würde.
Als der Konflikt vor vier Jahren begann, verlor er seine Arbeit. Wir hatten
keine Ersparnisse und lebten jeden Tag von der Hand in den Mund. Zuerst
ging mein Mann in den Libanon, um dort zu arbeiten, aber die Bedingungen
waren sehr schlecht, lange Arbeitszeiten und eine sehr schlechte Bezahlung.
Er schickte uns ein bisschen Geld, das gerade für Brot und andere
lebenswichtige Dinge für die Kinder reichte. Er blieb neun Monate dort,
aber dann gab es so viele syrische Arbeiter im Libanon, dass er keinen Job
mehr finden konnte und deshalb kam er zurück.
Fast ein Jahr später fingen Kämpfe in unserem Dorf an und überall gab es
Luftangriffe. Wir hatten Angst um das Leben unserer Kinder und sind deshalb
zu den Höhlen in den Bergen geflohen. Das war der sicherste Platz und auch
der einzige, den wir uns leisten konnten.
## Das Leben in den Höhlen
Das Leben in den Höhlen war unmöglich, es war die totale Misere. Wenn es
nur um mich gegangen wäre und ich keine Kinder gehabt hätte, hätte ich
lieber die Luftangriffe riskiert als so zu leben.
Als wir in den Höhlen lebten, sind wir zu den Bauernhöfen in der Nähe
gegangen, um alles zu sammeln, was wir finden konnten konnten, manchmal
fanden wir Gras oder Baumrinde, um unsere sechs Kinder zu ernähren.
Manchmal trafen wir Bauern, die wegen der Luftangriffe Angst hatten, auf
ihre Felder zu gehen. Daher baten sie uns, für ein bisschen Geld und Essen
ihre Ernte einzubringen.
Wenn wir die Felder abgeerntet haben, flogen oft Flugzeuge über unseren
Köpfen hinweg oder warfen ihre Bomben in der Nähe ab. Wir sahen damals alle
Arten von Bombardierungen und Beschuss, aber wir hatten keine Angst mehr,
wenn wir sterben mussten, würden wir sterben.
## Andertalb Monate im Freien ohne Schutz
Wir blieben ungefähr ein Jahr an dem Ort und meine Kinder hatten alle
Krankheiten, die man sich nur vorstellen kann. Wir haben die ganze Zeit
gehustet. Mein jüngster Sohn war erst zwei Jahre alt und hatte Krämpfe, und
ich dachte, er würde sterben.
Nach einer Weile hielten wir es nicht mehr aus und gingen zu den Lagern in
der Nähe der Grenze. Die ersten 45 Tage verbrachten wir im Freien ohne
jeden Schutz, wir lebten unter Bäumen. Nachdem wir das alles ertragen
hatten, fanden wir schließlich einen Platz in einem Zelt zusammen mit vier
anderen Familien. Die einzige Nahrung, die wir bekommen konnten, war ein
bisschen Brot, das meine Kinder schon aßen, ehe sie überhaupt zum Zelt
zurückgekehrt waren.
Dieses Zelt hier haben wir jetzt seit vier Monaten, sodass wir endlich für
uns alleine leben können. Kannst du dir vorstellen, dass wir nur noch von
einem eigenen Zelt träumten? Ich denke immer noch, dass ein Leben unter
Beschuss und Luftangriffen mehr Würde hat als diese Art von Leben.
Wir sterben vor Kälte, an Krankheiten und vor Hunger. Ich würde lieber
Steine in meinem eigenen Haus kochen, als hier zu bleiben und zu warten,
bis eine Organisation kommt und mir ab und zu einen Korb mit Lebensmitteln
bringt.
Quelle: Oxfam
23 Mar 2015
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