# taz.de -- Rugbyspieler Robert Mohr: „Uns fehlt noch die Tiefe im Kader“ | |
> Robert Mohr über sein letztes Länderspiel, seine Rückkehr in den | |
> Amateursport – und die Aussichten der deutschen Nationalmannschaft. | |
Bild: Stand schon 2010 gegen Spanien auf dem Platz: Robert Mohr. | |
taz: Herr Mohr, was ist los mit Ihnen, dass Sie freiwillig von der | |
französischen Atlantikküste nach Heidelberg umziehen? | |
Robert Mohr: Meine Familie und ich wollten einfach zurück nach Deutschland. | |
Ich wollte das Abenteuer hier eingehen, mit der Nationalmannschaft den | |
Klassenerhalt zu schaffen und das Team zu entwickeln. | |
Klingt nach einem Abenteuer für die ganze Familie. | |
Ja (lacht). Die 15er-Nationalmannschaft ist letztes Jahr in die 1A-Gruppe | |
der Europameisterschaft aufgestiegen. Das hatten wir vor vier Jahren schon | |
einmal geschafft, hatten aber nicht die Mittel, um auf dem Niveau zu | |
existieren. Wir konnten kaum zusammen trainieren, arbeiten, uns | |
vorbereiten. | |
Und jetzt haben Sie die Mittel? | |
Ja, weil sich der Schwerpunkt der Wild Rugby Academy von Hans-Peter Wild | |
[Chef des Herstellers von Capri-Sonne; d. Red.] verlagert hat: Bisher hat | |
sie eher daran gearbeitet, Rugby bekannter zu machen, Schülerinnen und | |
Schüler an den Sport heranzuführen. Seit diesem Jahr wird auch die 15er- | |
sowie die 7er-Nationalmannschaft unterstützt. Für die nächsten drei Jahre | |
hat Herr Wild uns ein ordentliches Budget zur Verfügung gestellt, einen | |
mittleren sechsstelligen Betrag pro Jahr nur fürs Nationalteam. Es ist ein | |
superinteressantes Projekt, an dem ich hier arbeite. | |
Und was soll mit diesem Budget als Erstes passieren? | |
Es geht erst mal darum, in die Organisation rund um die Nationalteams zu | |
investieren: in die Reisen, Lehrgänge, Trainer und das Equipment. Wir | |
müssen aber auch die Infrastruktur verbessern: Da die EM parallel zum | |
Six-Nations-Turnier ausgetragen wird, das im Februar und März stattfindet, | |
ist die Vorbereitung hier in Deutschland schwierig. Da sind viele Plätze | |
gesperrt oder eigentlich unbespielbar. Einer der Jungs hat sich die | |
Achillessehne gerissen. Wir brauchen dringend einen eigenen | |
Kunstrasenplatz, um überhaupt gemeinsam trainieren zu können. Wir hoffen, | |
dass der im Sommer gebaut wird. | |
Und sonst? | |
Erst mal spiele ich noch ein bisschen. Aber nur, weil mich noch keiner | |
rausgeschmissen hat. Außerdem ist es auf meiner Position schwierig, Leute | |
zu finden. Das ist nicht nur in Deutschland so, das ist überall so. Auch in | |
La Rochelle war es kompliziert, einen Zweite-Reihe-Stürmer zu finden. Aber | |
jetzt führen wir junge Spieler heran, dann brauche ich demnächst | |
hoffentlich nicht mehr die Knochen hinhalten und kann mich auf die anderen | |
Aufgaben konzentrieren. | |
Welche Aufgaben sind das? | |
Kurzfristig die 15er-Nationalmannschaft so stark zu gestalten, dass wir in | |
der EM-Gruppe bestehen können. Mittelfristig sollen Strukturen geschaffen | |
werden, damit möglichst viele junge Spieler individuell gefördert werden | |
und aufrücken. Bisher bestand das Nationalteam aus Spielern aus dem Raum | |
Heidelberg. Auf dem jetzigen Niveau brauchen wir aber das Potenzial aus dem | |
ganzen Land, aus Hamburg, Berlin und Hannover, und auch der Spieler aus dem | |
Ausland, die womöglich deutsche Vorfahren haben. Mit den Möglichkeiten, die | |
wir jetzt haben, können wir die Spieler oft hier nach Heidelberg holen, mit | |
ihnen arbeiten und die Entwicklung beobachten. | |
Sie sind also eine Mischung aus Spieler, Trainer und Sportdirektor. | |
Ja, das trifft’s ganz gut. Wobei ich mich auch um das Marketing kümmere. | |
Aber Spieler werde ich nur noch bis Samstag sein. Nach dem | |
[1][Spanien-Spiel am Samstagnachmittag] überlasse ich das Feld den | |
Jüngeren. | |
Sie waren 14 Jahre lang Rugbyspieler in Frankreich, die meiste Zeit davon | |
Profi. In La Rochelle waren Sie Kapitän, Sie traten vor Zehntausenden | |
Zuschauern auf, jedes Match lief live im Fernsehen, Sie bekamen ein | |
Abschiedsspiel. Hier spielt sich Ihr Sport fast unter Ausschluss der | |
Öffentlichkeit statt. | |
Na ja, das stimmt ja so nicht mehr ganz. Die Spiele der Nationalmannschaft | |
im Ausland werden dort im Fernsehen übertragen, und unsere Heimspiele | |
laufen ja immerhin alle über einen Livestream. Und wir haben zu Hause so um | |
die 3.000 Zuschauer im Stadion. | |
Klingt, als sei noch Luft nach oben. | |
Da arbeiten wir dran. Aber worauf ich Lust habe, ist ja gerade, etwas | |
aufzubauen. Wir wollen mehr Zuschauer anziehen, mehr Sponsoren gewinnen und | |
dann das Niveau erhöhen. Wir wollen so viele Leute wie möglich für Rugby | |
begeistern. Und ich glaube, dass gerade in diesem Jahr, in dem im Herbst | |
die Weltmeisterschaft in England stattfindet, viele erreicht werden können. | |
Aber es muss doch für Sie eine Umgewöhnung gewesen sein, aus einem | |
Profibetrieb zu kommen und nun hier im Rugby-Amateurbereich zu arbeiten? | |
Ja, aber mir fehlte in diesem Profibetrieb etwas. Ich war in La Rochelle | |
nach meinem Karriereende im Controlling des Klubs tätig und für Scouting | |
und sportliche Entwicklung zuständig. Dort war vieles fertig. | |
Sie wollten raus aus der Komfortzone? | |
Ja, so wie es am Anfang in La Rochelle war. Das war 2002, wir hatten 3.000 | |
bis 4.000 Zuschauer im Stadion, hatten ein Budget von 2,5 Millionen Euro. | |
Das war ein ähnliches Niveau, auf dem wir jetzt mit der Nationalmannschaft | |
sind. Ich habe dort damals als Spieler die gesamte Evolution mitgemacht. | |
Und ich habe Lust, auch hier etwas aufzubauen. | |
Am vergangenen Wochenende haben Sie überraschend knapp mit 12:17 gegen | |
Rumänien verloren und dadurch – weil Sie mit weniger als sieben Punkten | |
Abstand verloren – den ersten Punkt in der EM-Gruppe geholt. | |
Wir haben sogar fünf Minuten vor Schluss geführt, aber Rumänien ist ein | |
Spitzenteam, das auch an der kommenden WM teilnimmt. Um solch ein Spiel zu | |
gewinnen, fehlt uns die Tiefe im Team. 23 Spieler sind im Kader, fünfzehn | |
fangen an, acht kommen später rein. Rumänien kann auf gleichem Niveau | |
wechseln. Bei uns können zwar die ersten fünfzehn mithalten, aber die acht | |
dann nicht. Deswegen konnten wir das Ergebnis nicht über die Zeit retten. | |
Die Bilanz nach vier von zehn Spielen: ein Punkt, Gruppenletzter. | |
Wir haben das erste Spiel gegen Georgien gespielt, die viele Spieler von | |
den Topklubs Europas in ihren Reihen haben. Wir haben gut mitgehalten, zwar | |
nicht über 80 Minuten, aber das war zweitrangig. Gegen Russland und | |
Portugal lief es dann besser. Wir haben viel Selbstvertrauen gesammelt. Wir | |
müssen in die Köpfe hineinbekommen, dass wir wirklich in diese Liga | |
gehören. Die Jungs müssen wissen, dass wir gewinnen können. | |
Um die Klasse zu halten, müssen Sie eine Mannschaft hinter sich lassen. | |
In der Rückrunde haben wir Heimspiele gegen die beiden Hauptkonkurrenten | |
Portugal und Spanien. Mit mehr Tiefe im Kader und einem Jahr Vorbereitung | |
bin ich zuversichtlich, dass wir das erreichen können. | |
Warum nicht schon am sSamstag in Madrid gegen Spanien? | |
Das wird ganz schwer, weil aufgrund der Six Nations die französische Liga | |
pausiert. Also werden viele französische Spieler, die spanische Vorfahren | |
haben, auflaufen. Aber vielleicht können wir mit Willen, mit Zusammenhalt, | |
mit Eingespieltheit gegen die besseren Individualisten bestehen. | |
Wann gibt es denn Ihrem Plan folgend den nächsten Robert Mohr in | |
Frankreich? | |
Besser wäre, wenn es gleich drei davon gäbe. Wir haben mit Chris Hilsenbeck | |
und Damien Tussac zwei Spieler in der zweiten französischen Liga. Es muss | |
also nur einer von beiden aufsteigen oder in die erste Liga wechseln. | |
Außerdem geht jetzt ein 16-jähriges Talent aus Frankfurt in die Akademie | |
von La Rochelle. Ich arbeite daran, dass möglichst viele Talente den Weg in | |
die Akademien in Frankreich finden. Ob sie es dort sportlich schaffen, ist | |
gar nicht so wichtig. Ich denke, dass es einfach für ihr Leben eine | |
interessante Erfahrung sein wird. | |
Sie können den Jungs dann ja sagen, wie man sich durchsetzt. Aber Sie | |
spielen ja auf einer Position, wo die Klubs nehmen müssen, was kommt. | |
Zweite Reihe ist echt ein Problem. Man braucht große Leute, kräftige Leute, | |
die möglichst noch recht schnell sind und einen Ball fangen und passen | |
können. Überlegen Sie mal, wie viele große Menschen Sie kennen, die sich | |
sehr schnell und koordiniert bewegen können. | |
Tja, dann müssen Sie wohl doch noch ein paar Jahre ran. | |
Nee. Jedes Training, das ich durchhalte, ist ein Bonus und nur noch dazu | |
da, den Verfall ein bisschen zu verlangsamen. | |
20 Mar 2015 | |
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## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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