# taz.de -- Rugby-Weltmeisterschaft: Trauma beendet, Frieden gefunden | |
> Neuseeland hat sein Trauma besiegt und die WM im eigenen Land gewonnen. | |
> Doch das Finale wurde zum Thriller, weil Frankreich mit Spirit, Elan und | |
> viel Mut dagegenhielt. | |
Bild: Angespanntes Vorspiel: Die Franzosen ließen sich vom Einschüchterungsta… | |
AUCKLAND taz | Die Frage nach seinem stärksten Gefühl beantwortete Graham | |
Henry, der 65-jährige Trainer des frisch gebackenen Rugby-Weltmeisters | |
Neuseeland, mit einem einzigen Wort: "Frieden". Und er hatte damit wohl | |
allen Neuseeländern aus der Seele gesprochen. | |
Denn der Zittersieg gegen über weite Strecken dominierende Franzosen | |
beendete ein 24-jähriges Trauma, beendete ein Vierteljahrhundert | |
Rugby-Dominanz ohne Titel. | |
Es hätte sich keiner ausmalen wollen, was passiert wäre, wenn der Franzose | |
Trin Duc 17 Minuten vor dem Ende seinen Penalty aus 43 Metern Entfernung | |
zwischen die Malstangen statt daneben befördert hätte. Das Finale geriet | |
auch deshalb zu einem echten Thriller. | |
Tage vor der Partie hatten sich die skandalumwitterten Gallier von ihrer | |
besten Seite gezeigt und freiwillig auf ihre blauen Shirts verzichtet, um | |
die Gastgeber in ihrer geliebten schwarzen Uniform auflaufen zu lassen. | |
Sicher war also, die "Les Bleus" spielen in Weiß - fraglich allerdings, in | |
welcher Form. Der englische Guardian bezeichnete das Team am Mittwoch als | |
eine Kiste voller verrückter Frösche: "Man hat keine Ahnung, was als | |
Nächstes herausspringt." | |
## Harter Abend | |
Die Antwort gaben die Franzosen noch vor dem Anpfiff. Die Aufführung des | |
Haka, des rituellen Tanzes der neuseeländischen Mannschaft vor dem Spiel, | |
bleibt von den Gegnern normalerweise ungestört. Dieses Mal jedoch formierte | |
sich das Team der Franzosen zu einem Keil mit Kapitän Thierry Dusautoir an | |
der Spitze. | |
Dieser marschierte entschlossen auf die überraschten All Blacks zu und | |
stoppte erst kurz vor deren Nasen. "Wir wussten, dass sie mit etwas | |
Besonderem kommen würden", erklärte Neuseelands Kapitän Richie McCaw. "Und | |
spätestens ab dem Zeitpunkt war klar, dass wir hier einen ganz harten Abend | |
erleben werden." | |
In den ersten Minuten zeigte Frankreich dann auch mehr Rugby als im | |
gesamten Halbfinale gegen Wales. Trotzdem dominierten die All Blacks | |
zunächst das Spiel und gingen durch einen Try des massigen Verteidigers | |
Tony Woodcock mit 5:0 in Führung. Doch auch weil Scrum-Half Piri Weepu | |
gleich drei Penalties in der ersten Halbzeit nicht verwandeln konnte, glitt | |
den klar favorisierten All Blacks die Partie immer mehr aus den Händen. | |
Spätestens mit Beginn der zweiten Halbzeit rollte eine weiße Angriffswelle | |
nach der nächsten auf das Malfeld der Neuseeländer zu und ließ die All | |
Blacks immer blasser aussehen, denen in dieser Phase dennoch ein Penalty | |
zum 8:0 gelang. | |
Franzosen-Kapitän Thierry Dusautoir persönlich erzielte schließlich in der | |
47. Minute einen Try. Und weil auch der folgende Conversion-Kick saß, stand | |
es auf einmal nur noch 8:7. An diesem Spielstand sollte sich allerdings bis | |
zum Schluss nichts mehr ändern. | |
Frankreich begegnete den All Blacks mit einem, wie der New Zealand Herald | |
später bewundernd schrieb, "übermenschlichem Aufwand", spielte mit Spirit, | |
Elan und einer großen Portion Mut. Den All Blacks hingegen halfen 61.000 | |
Zuschauer im Stadion und, wie es Trainer Graham Henry sagte, "die Erfahrung | |
der älteren Spieler", den Sturmlauf der entfesselnden Franzosen unbeschadet | |
zu überstehen. | |
## Chaos und Peinlichkeiten | |
Nach dem Schlusspfiff schien einer ganzen Nation ein Stein vom Herzen zu | |
fallen. "Wir haben den Affen endlich von der Schulter geschüttelt", | |
erklärte der sichtlich erschöpfte Richie McCaw. Und Graham Henry erklärte: | |
"Heute ging es einfach nur darum, die Sache über die Linie zu bringen. Und | |
meine Jungs haben genau das gemacht. Ich bin unheimlich stolz auf sie." | |
Gewonnen hat die siebte Rugby-Weltmeisterschaft damit zweifellos das beste | |
und einzig ungeschlagene Team. Verloren im Finale hat hingegen das bessere | |
Team. Nach einem Weltmeisterschaftstrip voller Chaos und Peinlichkeiten | |
haben die Franzosen im letzten Spiel ihre Würde und den Respekt der | |
Rugbywelt zurückgewonnen. | |
In Neuseeland hingegen konnte die Mutter aller Partys beginnen - umso mehr, | |
da am Montag ein nationaler Feiertag ist. Neuseeland hält den Webb Ellis | |
Cup nun zum zweiten Mal in den Händen und hat mit den Doppelweltmeistern | |
Australien und Südafrika gleichgezogen. | |
Der Eden Park von Auckland bleibt außerdem eine uneinnehmbare Festung. Zum | |
letzten Mal haben die All Blacks hier vor 17 Jahren verloren. Gegner | |
damals: Frankreich. Dieses Mal haben die Gallier einen Triumph um | |
Haaresbreite verpasst. | |
23 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Henkel | |
## TAGS | |
Rugby | |
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