| # taz.de -- Briefwechsel Reich-Ranicki und Rühmkorf: Er hat nie was hingewichst | |
| > Die Korrespondenz zwischen Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf ist ein | |
| > politisches Zeitdokument und erzählt von den Bedingungen des | |
| > Publizierens. | |
| Bild: Hat sich auf hohem Niveau mit Marcel Reich-Ranicki gefetzt: Peter Rühmko… | |
| Peter Rühmkorf war ein großartiger Zeitungsschreiber und zugleich ein | |
| hoffnungslos unprofessioneller. Immer wieder lässt er Abgabetermine | |
| verstreichen, bittet wortreich klagend über seine unmenschliche | |
| Arbeitsbelastung um Aufschub und liefert schließlich gar nicht mehr. „Sie | |
| erinnern mich als Kritiker an jene Herren, die gierig auf Damen blicken und | |
| dann, wenn die Dame bei ihnen ist, selbige nicht einmal anfassen wollen“, | |
| wirft Marcel Reich-Ranicki ihm nach einer Weile vor. „Ich höre nicht auf zu | |
| hoffen, daß Sie sich bessern werden und warte sehnsüchtig auf eine | |
| Nachricht von Ihnen.“ | |
| Reich-Ranicki, der publizistische Vollprofi, unter dessen Leitung das | |
| FAZ-Literaturressort die Reputation erwirbt, von der es bis heute zehrt, | |
| weiß von Anfang an, was er an Rühmkorf als Beiträger hat, und er weiß auch, | |
| wie er mit einem selbstverliebten, etwas flatterhaften, offenbar chaotisch | |
| arbeitenden, aber eben auch mit Witz, Einfallsreichtum und enormer | |
| stilistischer Blendkraft gesegneten „Dichter“ umgehen muss. Er spielt schon | |
| bald, mit hübscher Ironie moderiert, die Rolle des wohltätigen Patriarchen, | |
| der nie einen Zweifel daran lässt, wie sehr er ihm gewogen ist, der aber ob | |
| der Flausen seines Lieblings nur mit dem Kopf schütteln kann. Und der | |
| manchmal eben auch schimpfen muss. | |
| „Mein lieber Peter Rühmkorf, so geht das nicht weiter. Sie liefern nichts, | |
| kommen mit immer neuen Vorschlägen, denen wiederum immer neue Ausreden | |
| folgen. Unsere Gespräche sind überaus angenehm, aber die Leser der FAZ | |
| haben davon gar nichts. Seit einem Jahr ist bei Ihnen der Ehrenstein-Band. | |
| Wie lange noch sollen wir warten? Warum sind Sie so faul? Sie wünschten | |
| dringend Bücher des Poeten Gernhardt. Wir haben Ihnen im Januar drei Bände | |
| geschickt. Und was haben wir bekommen? Sie wünschten Thérame ’Die | |
| Taxifahrerin‘. Vermutlich handelt es sich um irgendeine Sauerei, die Sie | |
| inzwischen schon genossen haben, ohne an Ihrem Genuß die Leser unserer | |
| Zeitung teilnehmen zu lassen ? Kurz und gut: bessern Sie sich endlich und | |
| schicken Sie mir Manuskripte. Meine Geduld ist groß, doch nicht | |
| grenzenlos.“ | |
| Schon im ersten Briefwechsel im August 1974 werden die Rollen festgelegt. | |
| Rühmkorf liefert seinen Einstandstext, eine Ringelnatz-Interpretation für | |
| die Frankfurter Anthologie, und schlägt gleich mal auf die Pauke, damit | |
| sein Gegenüber den Text auch hinreichend ästimiert. „Habe eben den Schluß | |
| nochmal umgeschrieben, was bei meinen Bohrtiefen wieder einen ganzen Tag | |
| gedauert hat.“ Deshalb schlägt er eine besondere Honorierung vor. „Es wür… | |
| der weiteren Zusammenarbeit ein gutes Fundament einziehen helfen. Die | |
| Gerechtigkeit gegenüber den Kollegen bliebe in jedem Fall gewahrt, weil ich | |
| nie was hinwichse, immer Grundlagenforschung mitliefre.“ | |
| Reich-Ranicki lässt nichts anbrennen, lobt den Autor gebührend und sichert | |
| ihm seine ungeteilte Unterstützung zu. „Was das Finanzielle betrifft: Sie | |
| können sicher sein, daß ich Sie so gut behandeln werde, wie Sie es | |
| verdienen – und ich meine das nicht etwa ironisch.“ | |
| ## Dringende Ermahnungen, laustarkes Wehklagen | |
| Und so läuft die Zusammenarbeit tatsächlich über viele Jahre. Reich-Ranicki | |
| „triezt“ Rühmkorf mit freundlichen Gesuchen, Erinnerungen, dringenden | |
| Ermahnungen und lautstarkem Wehklagen und nimmt ihm auf der anderen Seite | |
| so gut wie alles ab, sogar wenn es ihm inhaltlich gegen den Strich geht. | |
| „Inzwischen habe ich Ihr Thomas-Mann-Manuskript gelesen. Ich finde jeden | |
| Satz, ja jedes Wort in Ihrem Manuskript ganz und gar falsch. Aber ich habe | |
| Ihre Ausführungen mit großem Vergnügen gelesen und wir werden sie gern und | |
| mit Vergnügen publizieren.“ | |
| Was Rühmkorf noch wichtiger ist, man zahlt ihm fürstliche Honorare dafür. | |
| Vor allem nachdem er sich fest an das Blatt gebunden und Reich-Ranicki die | |
| Exklusivrechte seiner Texte zugesichert hat. Dabei ist Reich-Ranicki kein | |
| völlig unkritischer Bewunderer der Rühmkorf’schen Formulierungskunst. | |
| Angesichts seiner Besprechung einer von Jürgen Theobaldy herausgegebenen | |
| Lyrik-Anthologie kann sich der Redakteur „die Bemerkung nicht verkneifen, | |
| daß manche Sätze Ihrer Kritik so überaus kunstvoll konstruiert, wenn nicht | |
| gebastelt sind, daß man sie mindestens zweimal lesen muß und zwar nicht nur | |
| deshalb, weil man den Genuß verdoppeln, sondern weil man auch den Sinn | |
| verstehen möchte. Fassen Sie bitte diesen bescheidenen Hinweis als | |
| freundliche Warnung auf. Wer Kritiken schreibt, will ja, wie schon Fontane | |
| gesagt hat, vor allem verstanden werden. Ich habe den Eindruck, daß Sie es | |
| bisweilen Ihren Lesern etwas schwer machen.“ | |
| Und die in dem Band abgedruckten, von Rühmkorf zu Recht nicht in seine | |
| Sammelbände aufgenommenen Kritiken zeigen ganz schön die etwas verkrampfte | |
| Überamplifiziertheit, die ihm schon mal unterlaufen ist, wie er selbst | |
| zugibt, wenn er „drei unterschiedliche Gedanken in einen Satz pressen“ | |
| muss. | |
| Das ist dann aber auch schon das Äußerste an Kritik, das Reich-Ranicki | |
| seinem Autor zumutet. Und solange der die Texte trotzdem abnimmt, halten | |
| sich die Verstimmungen in Grenzen. Erst als Reich-Ranicki Rühmkorfs | |
| Interpretation eines Gedichts von Arno Schmidt ablehnt – es ist schlicht zu | |
| lang für die Frankfurter Anthologie –, bricht eine alte ideologische | |
| Neuralgie gegenüber dem Blatt auf, die zuvor durch die gedeihliche | |
| Kollaboration weitgehend verheilt schien. | |
| Nicht „in der Länge liegt hier die Enge“, betont Rühmkorf, „sondern in … | |
| merklich geschrumpften Brust der FAZ – die hat nicht mehr die schöne | |
| pluralistische Breite von Anno 76–80. Machen wir uns nichts vor und fassen | |
| Ihre Schwierigkeiten ins Auge. Der Wind, wir wissen es, hat sich gedreht, | |
| der Trend sich gewendet, und die geliebt-gelobten Fuffziger sind (wo auch | |
| nicht als Schwung der Räder, Vormarsch der Förderbänder) so doch als | |
| ideologischer Stickmief richtig hübsch wieder real geworden. Da bilden sich | |
| denn so kleine Modellfälle wie der unsere quasi unter der Hand.“ | |
| ## „Gekränkt und verletzt“ | |
| Reich-Ranicki reagiert postwendend. Rühmkorfs Brief sei eine | |
| „Unverschämtheit“, ja „viel schlimmer: Ihr Brief ist töricht.“ „Im … | |
| zumindest jenes Teils dieser Zeitung, den ich verwalte, also der Literatur, | |
| hat sich absolut nichts geändert. Sie können offenbar nicht begreifen, was | |
| Freiheit und Toleranz bedeuten. Ich bin in dieser Zeitung nun bald zehn | |
| Jahre, und es gibt noch keinen einzigen Artikel, keinen einzigen Absatz, | |
| den ich hier gedruckt sehen wollte und der unveröffentlicht geblieben wäre. | |
| Die Freiheit, von der ich hier übrigens dankbar profitiere, ist heute | |
| genauso groß wie vor fünf oder acht Jahren.“ | |
| Er gibt zu, „gekränkt und verletzt“ zu sein, aber nicht einmal das werde | |
| einen Einfluss haben auf ihre Zusammenarbeit. „Am Ende bleibt mir ein | |
| Trost: die stille Hoffnung nämlich, daß Ihr Brief in einer Stunde | |
| reduzierter Zurechnungsfähigkeit geschrieben wurde. Und diese meine | |
| Hoffnung werden Sie sehr wohl begreifen, wenn Sie die Güte hätten, sich zu | |
| erinnern, wie die FAZ und wie ich sich Ihnen gegenüber in ausnahmslos allen | |
| Situationen im Laufe der letzten zehn Jahre verhalten haben.“ | |
| Dieser Riss kann noch einmal gekittet werden, er weist aber schon voraus | |
| auf das tiefe Zerwürfnis über zehn Jahre später. Reich-Ranicki hatte Günter | |
| Grass’ „Ein weites Feld“ auf ziemlich degoutante Weise verrissen. Einmal | |
| mehr wähnt Rühmkorf, und dieses Mal vielleicht nicht ganz zu Unrecht, | |
| dubiosen „Parteigeist“ am Werk. Er glaubt sich zwischen den Fronten | |
| entscheiden zu müssen, schlägt sich auf die Seite von Grass und wendet sich | |
| dezidiert gegen eine solche „zur ideologischen Lehrmeisterin verklärten | |
| Kritik“. | |
| Kurze Zeit später lässt Rühmkorf dann auch noch eine öffentliche Abrechnung | |
| folgen, das aus Briefen, Tagebucheinträgen und einer Festrede montierte | |
| Pamphlet „Ich habe Lust, im weiten Feld …“, in dem er Reich-Ranicki als | |
| „Renegatenmacher“ zu entlarven versucht, der gern linke Genossen durch gute | |
| Fütterung an den FAZ-Fleischtöpfen bekehrt habe. | |
| ## Reich-Ranicki war Gesinnung herzlich egal | |
| Aber spätestens an dieser Stelle übersieht der Dichter doch wohl den | |
| Pragmatismus des Kritikers und Blattmachers. Reich-Ranicki war Gesinnung | |
| herzlich egal oder zumindest konnte er jederzeit davon absehen, wenn er | |
| glaubte, damit der Literatur einen Dienst zu erweisen. Er kam um die linke | |
| Intelligenzija schlicht nicht herum, das ist der einzige Grund für die | |
| Rekrutierung von Rühmkorf, Enzensberger, Erich Fried et alii. Sein | |
| unermüdlicher Einsatz hinter den Kulissen für den „roten“ Rühmkorf, dem | |
| nicht zuletzt aufgrund der Strippenzieherei Reich-Ranickis ab Mitte der | |
| 70er Jahre die Preise zufliegen – wofür der Förderer aber auch einmal zu | |
| oft Dank einfordert –, lässt sich nur mit einiger verquerer Rabulistik als | |
| politisches Missionierungsmanöver interpretieren. | |
| Vielleicht hat Rühmkorf das am Ende eingesehen. Er schickt ihm jedenfalls | |
| zum 80. Geburtstag, fünf Jahre später, ein hübsches Versöhnungsgedicht: | |
| Gestatten einen Lungenzug | |
| aus langer Friedenspfeife. | |
| Fünf Jahre Fehde sind genug, | |
| wie ich die Welt begreife. | |
| Zum Frieden ist es nie zu spät, | |
| na wollen wir’s mal hoffen, | |
| daß diese Prise Calumet | |
| nicht einfach so vorüberweht, | |
| und wenn die neue Zehn angeht, | |
| noch alte Wunden offen. | |
| Es gibt diesem Briefwechsel, den Christoph Hilse und Stephan Opitz | |
| vorbildlich ediert und konzise kommentiert haben, eine menschenfreundliche | |
| Rundung, dass Reich-Ranicki das Friedensangebot tatsächlich annimmt und sie | |
| in den letzten Jahren zu einem vergnügten Arbeitsverhältnis zurückfinden. | |
| Vorher muss Rühmkorf allerdings, das ist die Bedingung, einen Artikel über | |
| seine Arbeit schreiben – „nicht unbedingt liebevoll, doch freundlich und | |
| respektvoll“. Man lernt hier auch einiges über die Spielregeln des | |
| Betriebs. | |
| 25 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Schäfer | |
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