| # taz.de -- Chaos im Bahnverkehr nach Sturm: Sechs Stunden in der Pendlertaxe | |
| > Trotz Unwetter schickte die Bahn in Berlin Regionalzüge auf die Strecke – | |
| > die dort dann liegen blieben. Ein Erfahrungsbericht. | |
| Bild: Mehr so Stillstand statt vorwärts. | |
| BERLIN taz | Unwetterwarnung, Stufe „Orkan“ gar, die ersten S-Bahnen fallen | |
| aus. Da macht sich der erfahrene Pendler am Dienstag etwas früher auf nach | |
| Hause. Am Bahnhof Friedrichstraße dann um kurz nach 17 Uhr: Regionalbahn | |
| nach Dessau hat ein paar Minuten Verspätung, kommt aber. Also rein. Die | |
| Entscheidung für einen langen Abend auf Schienen. | |
| Es geht gut bis Charlottenburg, da stehen wir länger. Es kommt die erste | |
| von vielen Durchsagen des Lokführers: „Wegen eines Sturmschadens ist die | |
| Strecke nach Wannsee nur eingleisig. Wir warten noch auf entgegenkommende | |
| Züge, sind quasi in der Warteschlange.“ | |
| Draußen regnet es. Umsteigen auf die S-Bahn? Es steigen jedoch immer mehr | |
| Gäste ein. Sie berichten, dass die S 7 nach Potsdam auch nur noch bis | |
| Grunewald fährt. Oha. Also schön im RE 18725 bleiben. Nach einer knappen | |
| halben Stunde rollt der Zug endlich an. Kollektives Aufseufzen im Zug. Von | |
| 400 Leuten, wie wir später erfahren. | |
| Dann, ein paar Kilometer vor Nikolassee: Der Zug bremst scharf, der Sturm | |
| hat wohl einen weiteren Baum gefällt, seine längsten Äste streifen an der | |
| rechten Seite des Regios entlang. Der Zug steht. | |
| Dann die Durchsage: „Wir warten auf die Freigabe der Strecke“. Gemurmel, | |
| Zeitungen werden zu Ende gelesen, Gespräche mit den bisher fremden Nachbarn | |
| angefangen. Wieder eine halbe Stunde später: „Die Oberleitung ist | |
| beschädigt und liegt auf dem Gleiskörper. Bitte verlassen Sie nicht den | |
| Zug, es besteht Lebensgefahr – Kriechströme. Wir warten auf einen | |
| Notfallmanager der Bahn“. | |
| ## Empörung, Panik? | |
| Jetzt entscheidet sich die Stimmung im Zug: Empörung, Panik, Gelassenheit? | |
| Ein paar vorlaute 50-Jährige und eine gemischte Ausflugsgruppe mit | |
| Brandenburger Akzent geben den Ausschlag: Witze werden gerissen, zu Hause | |
| angerufen, dauert noch eine halbe Stunde etc. | |
| Arbeiter tauchen draußen auf und schneiden die Bäume klein. Aber kein | |
| Stromtrupp für die Oberleitung. Der Triebfahrzeugführer muss uns immer | |
| wieder vertrösten: kein Notfallmanager, keine genauen Auskünfte, nur: zu | |
| viele Sturmschäden. | |
| Ein Mann ruft lauthals seinen Kollegen an: „Ich stecke im Zug. Kann sein, | |
| dass ich morgen früh eine Stunde später komme.“ Es dauert, bis die Pointe | |
| sackt, dann lacht der ganze Waggon. Immerhin schon 20 Uhr. Licht wird | |
| ausgeschaltet – Zugbatterien inzwischen so leer, dass eh keine Weiterfahrt | |
| mehr möglich ist, so die Lautsprecher. Die Leute fangen an, vom Abendesssen | |
| zu reden. | |
| Ständig klingeln Handys. Mein Herr Sohn mit Namen Niklas schickt mir Fotos | |
| vom leckeren Mahl zu Hause. | |
| 21.30 Uhr: Zwei Feuerwehrleute gehen durch den Zug. Der Staffelführer sagt: | |
| Es laufen derzeit fünf Evakuierungen, wir seien noch nicht dran. Das Wort | |
| „Evakuierung“ führt wieder zu einer Handywelle – klingt bedeutend. In et… | |
| einer halben Stunde. Sie überlegten gerade, wie sie die 400 Leute im | |
| Dunkeln aus dem Zug bekommen. Wahrscheinlich kommt ein zweiter Zug, in den | |
| wir dann umsteigen. Eine Passagierin fragt: „Wo fährtn der dann hin?“ | |
| Feuerwehr: „Na, ist doch jetzt egal!“ | |
| Eine Stunde später: Alle Zeitungen, Bücher etc. sind gelesen. Die | |
| Handyspiele werden langweilig. Endlich steigen alle vorne aus dem Zug. Eine | |
| riesige Polonaise durch die Waggons. Jeder wird von zwei Feuerwehrleuten | |
| runtergehoben. Die Südbrandenburger kriegen den letzten Zug Richtung Dessau | |
| noch, um 23.34 Uhr ab Wannsee. Man verabschiedet sich herzlich und bietet | |
| Fahrgemeinschaften an. So sind sechs Stunden von Friedrichstraße nach | |
| Wannsee. | |
| 1 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Metzger | |
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