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# taz.de -- Prozess gegen Boston-Attentäter: „Er tat Teenagerdinge“
> Im Verfahren ums Boston-Attentat will die Anwältin des Angeklagten die
> Todesstrafe verhindern. Juristen kritisieren die Länge des Prozesses.
Bild: Dzhokhar Tsarnaev zwischen seinen Verteidigern im Gericht in Boston.
NEW YORK taz | Der Angeklagte hat im gesamten [1][Prozess] geschwiegen. Er
hat sich weder zu den ihm vorgeworfenen Taten noch zu den 92 ZeugInnen der
Anklage oder zu den vier ZeugInnen der Verteidigung geäußert. Auch am
Schluss lässt Dzhokar Tsarnaev wieder nur seine Anwältin für ihn sprechen.
Judy Clarke sagt in ihrem Schlussplädoyer, dass ihr Mandant seine
Beteiligung am Attentat in der Zielgeraden des Boston Marathon nicht
leugnet. „Wir bestreiten das nicht“, sagt sie den zwölf Geschworenen in
Boston in ihrem Abschlussplädoyer, „aber ohne Tamerlan wäre es nicht
passiert“. Es geht um insgesamt vier Tote und über 260 Verletzte.
Der sieben Jahre ältere Bruder Tamerlan, der in der mörderischen Raserei
nach den Bombenattentaten im April 2013 selbst ums Leben gekommen ist, hat
Dzhokar Tsarnaev mitgerissen, erklärt die Anwältin. Sie beschreibt ihren
Mandanten als „Kid“ und sagt: „Er tat Teenagerdinge“. Clarke spricht ü…
die Bewunderung, die Dzhokar Tsarnaev für seinen älteren Bruder empfand,
und den großen Einfluss, den dieser auf ihn ausübte.
Staatsanwalt Al Chakravarty jedoch beschreibt einen anderen Dzhokar
Tsarnaev. Bei ihm ist der Angeklagte ein überzeugter Djihadist, der sich im
Internet von radikalen Predigern wie Anwar al-Awlaki und von Medien wie dem
al-Qaida-Magazin „Inspire“ bekehren lässt. „Er hat den Rat von Inspire
befolgt“, sagt der Staatsanwalt, „er hat ein Jahr lang ein Doppelleben
geführt, während er die Anschläge vorbereitete.“
Die Frage ist nun, ob der nunmehr 21-jährige Dzhokar Tsarnaev ein
Überzeugungstäter oder ein Verführter war. Die öffentlichen Verhandlungen
darüber sind nun abgeschlossen. Seit Dienstag beratenen die zwölf
Geschworenen hinter verschlossenen Türen. Von den dreißig Anklagepunkten,
die ihnen vorliegen, könnten siebzehn mit dem Tod bestraft werden.
## Kein Zweifel an Schuld des Angeklagten
Niemand im Bundesgericht in Boston bezweifelt, dass Dzhokar schuldig
gesprochen wird. Dafür sorgen erstens die Videos, die ihn beim Deponieren
eines mit Sprengstoff beladenen Rucksacks inmitten der Zuschauermenge am
Rand des Marathons zeigen, zweitens die Anleitungen zum Bombenbau, die auf
seinem Computer gefunden wurden, drittens Zeugenaussagen und viertens ein
mit Blut bespritzter Brief. Diesen hat Dzhokar Tsarnaev geschrieben, als er
sich auf der Flucht vor der Polizei in einem Boot in einem Bostoner Garten
versteckte. In dem Brief begründet Dzhokar seine Gewalt: „Wir Muslime sind
ein Köper. Wer einen von uns angreift, greift alle an.“
Tsarnaevs Anwältin Judy Clarke eröffnete und schloss den Prozess in Boston
mit einem Schuldgeständnis. Clarke ist die erfolgreichste Verteidigerin von
Todeskandidaten in den USA. Unter anderem hat sie den Serienmörder Theodore
Kaczynski, bekannt als „Unabomber“, und den Todesschützen Jared Loughner
vor Hinrichtungen bewahrt.
Der Bundesstaat Massachusetts hat die Todesstrafe im Jahr 1982 abgeschafft.
Während des Prozesses haben alle Meinungsumfragen gezeigt, dass die
Mehrheit der BewohnerInnen von Massachusetts auch nach den Marathonbomben
ihre liberale Grundhaltung bewahrt hat. An jedem einzelnen Verhandlungstag
standen Menschen mit Schildern gegen die Todesstrafe vor dem
Gerichtsgebäude. Katholische Gläubige verteidigten Flugblätter gegen die
Todesstrafe und immer wieder sprachen sich Überlebende und Angehörige von
Opfern gegen eine Hinrichtung von Dzhokar Tsarnaev und für eine lebenslange
Haftstrafe ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung aus.
Weil die US-Regierung aber auf der Möglichkeit einer Hinrichtung bestand,
wurde das Verfahren aus den Händen der Justiz von Massachusetts genommen
und einem Bundesgericht mit Sitz in Boston übergeben. Das Gericht prüfte
bei der Berufung der Geschworenen in die Jury alle Beteiligten in einem
umständlichen und langen Verfahren auf ihre Bereitschaft, den Angeklagten
möglicherweise zum Tode zu verurteilen.
## Kritik an hohen Prozesskosten
Juristen kritisierten, dass dadurch die Prozesskosten unnötig in die Höhe
getrieben würden: Wäre der Fall vor einem Gericht des Bundesstaates
Massachusetts verhandelt worden, so eines der Argumente, wäre Dzhokar
Tsarnaev bereits verurteilt und säße lebenslänglich hinter Gitter.
Sobald die Geschworenen die grundsätzliche Schuldfrage geklärt haben, und
falls sie Dzhokar Tsarnaev in mindestens einem der todesstrafenrelevanten
Anklagepunkte für schuldig halten, geht der Prozess in die nächste Phase.
8 Apr 2015
## LINKS
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## AUTOREN
Dorothea Hahn
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