# taz.de -- Stasi-Zuflucht zu besichtigen: Ein Wahnsinnsbunker | |
> Der Bunker in Biesenthal sollte als Notunterkunft für die Führung des | |
> Ministeriums für Staatssicherheit dienen. An diesem Wochenende ist er zu | |
> besichtigen. Ein Gespräch mit Bunkerexperte Hans-Jürgen Herget. | |
Bild: Wenn er in seinem Büro in der Normannenstraße nicht mehr hätte arbeite… | |
taz: Herr Herget, es gibt viele Dinge, für die man sich ehrenamtlich | |
engagieren kann. Warum ausgerechnet der Bunker? | |
Hans-Jürgen Herget: Da ich selbst aktiv drei Jahre in den Grenztruppen der | |
DDR gedient habe, bin ich militärhistorisch interessiert. Nach meinem | |
Wehrdienst hielt ich den Kontakt zu alten Kameraden. Und wenn ich unterwegs | |
bin, ob in der Uckermark, im Oderbruch oder der ehemaligen | |
Altbundesrepublik, wo ein militärisches Objekt auftaucht, versuche ich, | |
etwas zu dessen Geschichte zu erfahren. Das interessiert mich einfach. | |
Wo waren Sie als Grenzsoldat? | |
Auch gegenüber dem Checkpoint Charlie in Berlin. Allerdings kenne ich ihn | |
noch in einer anderen Bauform. Ich hatte mich freiwillig zu den | |
Grenztruppen gemeldet, weil ich nicht sinnlos über einen Acker turnen | |
wollte. Ich wollte etwas sehen und erleben. Das habe ich auch. | |
Was haben Sie gesehen und erlebt? | |
An der Grenzübergangsstelle war ständig Verkehr. Wer ging drüber? Gerade am | |
Checkpoint passierten die ganzen Militärmissionen und Diplomaten. Wenn die | |
Amerikaner schwer bewaffnet mit ihren Jeeps auffuhren und das MG schwenkten | |
– du wusstest, die drücken nicht ab –, das sah schon kriegsmäßig aus. Wir | |
konnten uns vom Turm aus auch junge, hübsche Mädchen mit dem Fernglas | |
angucken. Es war ein abwechslungsreicher Dienst. Nicht wie bei den | |
Landstreitkräften: auf dem Acker gestanden und „Vorwärts“ gebrüllt und | |
völlig sinnlos übers Feld gerobbt … | |
Wofür wurde der Bunker in Biesenthal erbaut? | |
Der Bunker sollte im Ernstfall die Ausweichführungsstelle des Ministeriums | |
für Staatssicherheit (MfS) werden. Erich Mielke hätte dort mit seinem Stab | |
gesessen. Von dort sollte das operative Geschehen, was man sonst von der | |
Zentrale in Berlin lenkte, weiter gestaltet werden. | |
Weckt der Bunker bei Ihnen Jugenderinnerungen? | |
Bedingt. Mit Bunkern hatte ich während meiner aktiven Wehrmachtszeit nichts | |
zu tun. Aber es gibt bei den Bunkerbegegnungen immer wieder Gespräche mit | |
Altgedienten. Auch mit amerikanischen und britischen Offizieren, die damals | |
in Westberlin saßen. Der Blick der Leute von der anderen Seite – das sind | |
Geschichten, die für mich privat wie beruflich interessant sind. Insofern | |
sind das Erinnerungen, die hochkommen, nicht direkt auf den Bunker bezogen. | |
Ich gehörte nicht zu MfS-Kreisen. | |
Was für Leute kommen zu einer Bunkerbesichtigung? | |
Der ganze Querschnitt: Leute, die die Zeit damals bewusst erlebt haben, die | |
in der Umgebung gelebt haben und nie wussten, was hier war. Leute, die im | |
Objekt selbst gedient haben, aber nicht überall hindurften. Und Väter mit | |
ihren Kindern, die Vergangenheit anfassen wollen. | |
Was kann man anfassen? | |
Viel: Von den Wahnsinnstüren bis zu den Betten, die allerdings ein bisschen | |
angeschimmelt sind. Und man erfährt viel: über den Aufbau eines Bunkers, | |
seine Schutzfunktion. Die Abläufe im Ernstfall, Technik und | |
Belüftungsanlagen. Wie hätte der Bunker beim Einschlag von schweren Waffen | |
geschwankt? Wie war er abgesichert? | |
Gruseln Sie sich dort unten? | |
Nein. Es ist eng und man kann sich vorstellen, wie es wäre, wenn man jetzt | |
14 Tage dort leben müsste. Nur künstliches Licht, ohne zu wissen, welche | |
Tageszeit ist, außer wenn man auf die Uhr guckt. Die Vorstellung, dort | |
abgeschottet und eng in Dreierbetten übereinander zu schlafen und nicht zu | |
wissen, was draußen passiert, ist doch: Ist da alles zerstört? Was | |
existiert da überhaupt noch? Wie sieht es aus, wenn ich wieder rauskomme? | |
Diese Vorstellung ist für viele gruselig. | |
Wie lange hätte man in diesem Bunker überleben können? | |
Der Bunker ist 40 mal 50 Meter groß: Es war für die Unterbringung von 160 | |
Leuten vorgesehen. Die hätten zehn, maximal vierzehn Tage autark leben | |
können. Unter vollständiger Hermetisierung, also totalem Luftabschluss. Bei | |
biologischen oder chemischen Waffen: 24 Stunden. | |
Wann wurde dieser „Wahnsinnsbunker“ gebaut? | |
Von 1984 bis 1988, er ist dem MfS übergeben worden, wurde aber nie | |
fertiggestellt. Technisch hätte er funktioniert, aber das war wie bei | |
Preußens: Das eine Schild war zu klein, an anderer Stelle war nicht die | |
richtige Farbe an der Tür … Dann kam 1989, und damit hatte sich die Sache | |
erledigt. Dabei hat der Bunker rund 120 Millionen DDR-Mark gekostet, das | |
fehlte dann anderswo. Nicht bloß Baumaterial, es wurden viele | |
hochintelligente Leute gebunden, um sich mit den technischen Vorgängen zu | |
befassen. Die hätten als Architekten im zivilen Bereich arbeiten können. | |
Diesen Irrsinn zu erleben, dieses Wettrüsten, was letztendlich mit der | |
Frage verbunden ist, was wäre, wenn es wirklich geknallt hätte: Man hätte | |
dort vielleicht 14 Tage überlebt. Aber was dann? Dann wären sie | |
rausgekommen und da wäre alles verbrannt gewesen. Es hätte keiner mehr | |
gelebt, was wollten die noch führen? Welche Aufgabe wäre da noch gewesen? | |
Diese Sinnlosigkeit von solchen Bauten im Atomkrieg! Der Bunker in | |
Biesenthal war nicht der einzige im Umfeld von Berlin. Es gibt über 20, in | |
denen man den Wahnsinn des Wettrüstens vor Augen geführt bekommt. | |
Bringt Sie der Bunker zum Nachdenken? | |
Es ist sicher ein Denkanstoß, zu sehen, was wäre, wenn … Ein dritter | |
Weltkrieg würde wahrscheinlich zur Vernichtung der Menschheit führen. Doch | |
die Politik wird nicht von den Menschen gemacht, die sich diesen Bunker | |
ansehen. | |
11 Apr 2015 | |
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