# taz.de -- Protest: Unverblümt revolutionär | |
> Das Verschwinden der 43 Studenten aus Mexiko hat auch ein kulturelles | |
> Nachspiel: Immer mehr Künstler engagieren sich mit Videos, Plakaten und | |
> Liedern. | |
Bild: Erinnert an die 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa: Gran OM | |
125.000 Mexikaner haben das Video zu „For Those“ mittlerweile angeklickt. | |
Der Clip über die 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa, aufgenommen | |
direkt nach ihrem Verschwinden am 26. September 2014, ist ein Hit in den | |
sozialen Netzwerken Mexikos. Obwohl die Reggae-Hymne bereits vor knapp drei | |
Jahren vom umtriebigen Sänger Lengualerta komponiert wurde und allen | |
Menschen gewidmet ist, die verschwunden sind und getötet wurden, ist sie | |
erst in den letzten Monaten immer öfter zu hören. | |
Das hat viel mit dem Video-Clip zu tun, den Gran OM und Lengualerta direkt | |
im Anschluss an die ersten Nachrichten vom gewaltsamen Verschwinden der 43 | |
Studenten in dem abgelegenen Landkolleg Raúl Isidro Burgos in Ayotzinapa | |
gedreht haben. „Wir wussten, dass das Verschwinden der 43 nicht einfach | |
unter den Teppich gekehrt werden kann und zwei Tage nach der Nachricht aus | |
der Hauptstadt haben wir in Ayotzinapa an das Schultor geklopft“, sagt der | |
Videokünstler Gran OM alias Omar Inzunza. | |
## Perfekte Ergänzung | |
Der 34-Jährige hat mit seiner unverblümt revolutionären Bildsprache, die | |
nicht nur seine Videos, sondern auch unzählige Plakate prägt, viele Fans | |
gewonnen. Einfache, aber treffende Bilder, matte, oft erdige Farben sind | |
Teil der Visitenkarte von Gran OM. Er arbeitet seit mehreren Jahren mit | |
Lengualerta alias Rodrigo F. zusammen. Die beiden ergänzen sich perfekt, | |
denn der eine ist die Stimme, der andere die Augen, sagt Gran OM. In DF, | |
wie Mexiko Stadt landesweit genannt wird, und darüber hinaus hat sich das | |
Duo einen Ruf in der alternativen Reggae- und Rap-Szene erarbeitet. | |
Diese Szene ist so etwas wie ein Schwungrad des kulturellen Widerstands, | |
der in Mexiko seit dem Verschwinden der 43 Studenten um sich greift. | |
„Lebendig hat man sie mitgenommen. Lebendig wollen wir sie wieder“ lautet | |
die zentrale Forderung der „Künstler für Ayotzinapa“. Mehr als 200 | |
mexikanische Künstler beteiligen sich, haben Porträts der „43“ gemalt, | |
Songs komponiert oder wie Gran OM Videos produziert. Seine laufen unter der | |
Überschrift „Videoclip und Diskurs“, denn es geht ihm um mehr als coole | |
Beats und emotionale Bilder. Das zeigt auch das im Landkolleg von | |
Ayotzinapa gedrehte Video, welches den „43“ ein Gesicht gibt, sie aus der | |
Anonymität herausholt und mit der Forderung nach Gleichheit und | |
Gerechtigkeit endet. „Wir alle sind Ayotzinapa“, sagt der Filmemacher und | |
Medienunternehmer Epigmenio Ibarra, der die Porträts der 43 ins Netz | |
stellte und dem kulturellen Widerstand eine Bühne gab. Kunst müsse in | |
dieser Situation das Gewissen sein. | |
Künstlergruppen wie „Ya me Cansé“ machen in Videos auf die Hintergründe … | |
strukturellen Gewalt in Mexiko und auf die Arroganz der Regierenden | |
aufmerksam. Dabei steht der Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam seit | |
dem 7. November 2014 für die Arroganz: Entnervt reagierte er auf Rückfragen | |
der Journalisten zum Verschwinden der 43 und versuchte mit dem Satz „Ya me | |
Cansé“, zu deutsch: „Mir reicht es“, die Pressekonferenz abzuwürgen. | |
Seitdem ist der Satz zu einem politischen Statement geworden – ähnlich dem | |
„Ya Basta“ („Es reicht“), mit dem 1994 die Zapatisten an die Öffentlic… | |
traten. | |
Das gewaltsame Verschwinden der 43 Studenten markiert einen Wendepunkt, | |
sagt Gran OM. Die Proteste haben zugenommen, reißen nicht ab und sind | |
landesweit zu beobachten, sagt die Theaterdirektorin Perla de la Rosa aus | |
Ciudad Juárez. Sie engagiert sich seit Jahren mit eindringlichen | |
Theaterstücken für den Wandel in Mexiko. | |
Mit Musikern wie Lengualerta, Manik B oder Lucio La Rua meldet sich nun | |
eine jüngere Generation zu Wort. Die drei genannten Musiker sind auch Teil | |
von „Protesta“, einem zum mexikanischen Unabhängigkeitstag am 15. September | |
2014 produzierten Video. Darin wird die zunehmende Vermummung angesichts | |
massiver Polizeigewalt thematisiert, der notwendige Protest gegen die | |
Machtstrukturen in Mexiko aufgezeigt und zur Revolution gegen die | |
Verhältnisse aufgerufen. Mehr als ein Dutzend Bands haben mitgewirkt, Gran | |
OM hat Regie geführt und das Projekt finanziert. | |
Das kann er sich hin und wieder leisten, weil er als Filmemacher auch für | |
Bildungskanäle arbeitet. Die jüngste Arbeit unter dem Signet von „Videoclip | |
y Discurso“ wurde jedoch durch Spenden ermöglicht. Dieser Clip wirbt für | |
Solidarität mit den Yaqui. Das indigene Volk, welches im Bundesstaat Sonora | |
lebt, droht zum zweiten Mal enteignet und vertrieben zu werden. Der | |
Wasserreichtum der Region, in der die Ethnie lebt, ist der Grund dafür, | |
dass ein Wasserunternehmen die Hand nach den indigenen Territorien | |
ausstreckt. Ein Thema, das bereits Mexikos populärster linker | |
Schriftsteller und Historiker, Pablo Ignacio Taibo II, in einem Buch | |
aufgegriffen hat. Nun haben es Gran OM und Lengualerta in Szene gesetzt. | |
16 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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