| # taz.de -- Kolumne Wortmeldung: Das Phantom Akademisierungswahn | |
| > Wer die duale Ausbildung stärken will, muss sie attraktiver machen, | |
| > anstatt das Studieren zu attackieren. Eine Antwort auf Julian | |
| > Nida-Rümelin. | |
| Bild: Die wollen alle studieren – gut so! | |
| Die Debatte über einen angeblichen Akademisierungswahn wird schärfer. Eine | |
| Allianz aus konservativen Bildungsbürgern und Wirtschaftsvertretern warnt | |
| vor dem „Universitätsstudium für alle“ und einem Exitus der dualen | |
| Berufsausbildung – [1][vorneweg Prof. Nida-Rümelin.] Die Kontroverse speist | |
| sich aus Emotionen, aber nicht aus Fakten. Sachlichkeit tut not! | |
| Brauchen wir mehr oder weniger AkademikerInnen? Künftige | |
| Qualifikationsbedarfe lassen sich nicht präzise vorhersagen. Einseitig auf | |
| Studium oder Ausbildung zu setzen ist daher töricht. Als | |
| Hochtechnologieland und Wissensökonomie brauchen wir weiter | |
| Hochqualifizierte, also mehr Meister und mehr Master. Qualifizierte Berufs- | |
| und Hochschulabschlüsse sind die Eintrittskarte zur Arbeitswelt. Damit sind | |
| die zentralen Fragen: Was will der oder die Einzelne? Wie entfalten alle | |
| ihr Potenzial? Wie vermeiden wir Bildungsabbrüche? | |
| Die Hochschulen haben ein Jahrzehnt der Studierenden-Rekorde erlebt. Ein | |
| Studium ist attraktiv: Akademiker erhalten oft höhere Einkommen, sind | |
| seltener arbeitslos. Auch AbsolventInnen beruflicher Bildung haben gute | |
| Chancen: Ihr großes Plus ist die betriebliche Praxis. Sie sind Stütze des | |
| Mittelstands, begehrte Fachkräfte und wirtschaftlicher Erfolgsfaktor. | |
| Bedroht der Uni-Run das duale System? Nein! Denn beides wird stark | |
| nachgefragt: Studien- und Ausbildungsplätze. Das Interesse am dualen System | |
| ist ungebrochen, zeigt der Berufsbildungsbericht. Seit Jahren will jeder | |
| fünfte Studienberechtigte eine Berufsausbildung machen, bei | |
| nichtakademischen Eltern gar jeder vierte. | |
| Was ist also das Problem? Trotz guter Konjunktur sank die Zahl | |
| abgeschlossener Ausbildungsverträge mit rund 522.000 auf ein historisches | |
| Tief. Nur knapp 21 Prozent aller Unternehmen bilden überhaupt noch aus. Ein | |
| starkes Stück also, wenn ausgerechnet der Präsident des Deutschen | |
| Industrie- und Handelskammertages eine „Überakademisierung“ beklagt und | |
| Studienplatzabbau fordert. Die Krise des dualen Systems ist hausgemacht und | |
| nicht auf eine gestiegene Studierneigung zurückzuführen. Es wird schlicht | |
| zu wenig ausgebildet. Nicht der Trend zu akademischen Berufen ist ein | |
| Problem, sondern die Einkommensschere zwischen Akademikern und | |
| Facharbeitern. Hier müsste der DIHK gegensteuern! | |
| ## Durchlässigkeit statt Bildungsblokaden | |
| Am Rückgang der Ausbildungsverträge sind nicht die Hochschulen schuld. Es | |
| sind die Betriebe, die das Ausbildungsangebot knapp halten. Dabei räumen | |
| Betriebe Hauptschülern kaum Chancen ein. Über 250.000 junge Menschen hätten | |
| im Jahr 2014 gern eine Ausbildung begonnen, landeten aber nach der Schule | |
| im Übergangssektor. Es braucht endlich den Paradigmenwechsel vom | |
| Warteschleifen-Parallelsystem hin zu betrieblicher Ausbildung. Industrie- | |
| und Handelsberufe stehen auf Platz zwei der begehrten Ausbildungsberufe von | |
| Studienberechtigten. Weil aber Ausbildungsplätze fehlen, kommt es zu einer | |
| verschärften Konkurrenz zwischen den Studienberechtigten in besonders | |
| begehrten Berufen – so der aktuelle Berufsbildungsbericht. Wer als | |
| Abiturient das Nachsehen hatte, entschied sich notgedrungen für ein | |
| Studium. | |
| Anstatt berufliche und akademische Bildung gegeneinander auszuspielen, | |
| müssen wir deren Gleichwertigkeit erreichen. Beide Qualifizierungssysteme | |
| profitieren davon, wenn es zwischen ihnen reibungslose Übergänge gibt. | |
| Durchlässigkeit ist das Zauberwort! Jedem Jugendlichen muss ein Pfad | |
| aufgezeigt werden, der zu einem guten Berufsabschluss führt. Jeder junge | |
| Mensch soll sich frei zwischen den Systemen entscheiden können. Diese | |
| Wahlfreiheit ist denen ein Dorn im Auge, die vom Akademisierungswahn | |
| fabulieren. Nida-Rümelins Warnung vor einem „Überhang an Akademikern“ | |
| mündet in der elitär wirkenden Feststellung, dies führe „zu einem | |
| wachsenden Teil unterwertiger Beschäftigung“. Da kommt ein Verständnis von | |
| Gleichwertigkeit zum Vorschein, das Hochschulen abschotten will. Denn: | |
| Weniger Akademiker heißt weniger Studienanfänger und Abbau von | |
| Studienplätzen. | |
| Was wären die Folgen? Höhere Hürden vor der Hochschultür würde die | |
| skandalöse soziale Schieflage beim Hochschulzugang verschärfen. Ohne höhere | |
| Ausbildungsbereitschaft der Betriebe bliebe das duale System in der Krise. | |
| Beides wäre ungerecht! Statt Bildungsblockaden zu errichten, müssen wir | |
| Wahlfreiheit sichern. Damit für alle genügend gute Ausbildungs- und | |
| Studienplätze bereitstehen und Bildungschancen nicht vererbt werden. Wer | |
| die Attraktivität dualer Ausbildung stärken will, muss eine | |
| Ausbildungsgarantie verwirklichen. Und Phantomdebatten beenden, die das | |
| Studieren attackieren. | |
| 8 May 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kai Gehring | |
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