# taz.de -- In die Bürgerschaft gewählt: Die Hinterlistigen | |
> Von den 83 neuen Abgeordneten haben rund 20 ihren Sitz ihren zahlreichen | |
> Personenstimmen zu verdanken. Einzelne galten in ihren Parteien als | |
> Außenseiter. Wir stellen sie vor. | |
Bild: Wahlzettel mit Ankreuzfeldern: Viele Abgeordnete erhielten ihr Mandat dur… | |
Die große Überraschung der Bürgerschaftswahlen sind die KandidatInnen, die | |
auf einem hinteren Platzen der Liste standen, aber durch ihre | |
„Personenstimmen“ ein Mandat bekommen: Sie kommen offenbar bei den | |
WählerInnen besser an als in ihren Parteien. Der Prominenteste unter ihnen | |
ist der langjährige Viertel-Ortsamtsleiter Robert Bücking, der für die | |
Grünen 5.460 Personenstimmen erhielt und damit mehr als die grüne | |
Sozialsenatorin Anja Stahmann (4.180) und doppelt so viele wie der grüne | |
Umweltsenator Joachim Lohse (2.532). Auf der Liste hatte er einen | |
mittleren, aber aussichtslosen Platz 18. | |
Von ganz hinten nach vorn gearbeitet haben sich bei der SPD zwei Kandidaten | |
mit türkischen Wurzeln: Ali Seyrek von Platz 65 liegt mit 3.905 | |
Personenstimmen vor der sozialdemokratische Bildungssenatorin Eva | |
Quante-Brandt, und Sirri Acar hat immerhin mit 1.536 Stimmen einen Platz | |
vor dem baupolitischen Sprecher der SPD, Jürgen Pohlmann, bekommen. | |
Die beiden zeigen das Spektrum der Kandidaten mit Migrationshintergrund, | |
die es geschafft haben: Seyrek, der schon seit vier Jahren im Parlament | |
sitzt, hat, wie er sagt, „vielleicht 70 Prozent“ seiner Stimmen bei den | |
Aleviten erhalten. Sirri Acar ist Muslim mit Wurzeln in der Türkei, lebt | |
seit 35 Jahren in Deutschland, ist Bauingenieur von Beruf und zweiter | |
Vorsitzender seines SPD-Ortsvereins, Elternsprecher, engagiert im | |
Turnverein Lesum. In Bremerhaven hat der Anwalt Turkal Özdal das zweite | |
Mandat bei den Grünen errungen – obwohl er bewusst nur für den letzten | |
Listenplatz kandidiert hatte, nur um Stimmen für seine Partei zu ziehen. | |
## Netzwerke im echten Leben | |
KandidatInnen, die von ihren Partei-Netzwerken nicht vorn platziert wurden, | |
konnten sich nach vorn arbeiten, wenn sie in (realen) sozialen Netzwerken | |
engagiert sind. Birgit Bergmann zum Beispiel, bei der CDU auf dem | |
chancenlosen Listenplatz 27, hat es geschafft, und erfahrene Parteikader | |
wie Michael Glintenkamp, Thomas Quast oder auch Thomas vom Bruch hinter | |
sicht gelassen. Sie ist neu in der CDU, ein „Newcomer in der Politik“, wie | |
sie selbst sagt, von Beruf Unternehmensberaterin und sozial verankert in | |
der Matthäus-Gemeinde in Huchting. | |
Auch Sigrid Grönert (CDU) von der Paulus-Gemeinde hat es wieder geschafft. | |
Der SPD-Kandidat Elombo Bolayela ist auch in evangelikalen Gemeinden | |
vernetzt, zusätzlich zu seinen afrikanischen Kreisen – und hat mit seinen | |
3.889 Stimmen sogar populäre Parteiarbeiter wie Klaus Möhle (3.109) | |
überholt. Bei der Linken erhielt die Politik-Managerin Sophia Leonidakis | |
mit 3.369 Stimmen drei Mal so viele Stimmen wie ihr Parteivorsitzender | |
Christoph Spehr. | |
## Gefahr für Rot-Grün | |
Für die Grünen ist neben dem Erfolg für Bücking das Ergebnis für Susanne | |
Wendland ein Ärgernis: Sie kommt von Platz 32, also ganz hinten, und hat | |
mit 2.001 Stimmen viele Parteiaktive überholt, denen sie als Risiko einer | |
rot-grünen Koalition gilt. Die Politikwissenschaftlerin hat als Abgeordnete | |
zwei Mal eine Abstimmung durch Abwesenheit bewusst vermieden: Sie ist gegen | |
die geschlossene Unterbringung von kriminellen jugendlichen Flüchtlingen | |
und gegen die Förderung der Jacobs-Universität aus Steuermitteln. Sie habe | |
„immer Kante gezeigt“, sagt sie stolz, und viele angesprochen, die sonst | |
nicht „grün“ gewählt hätten. | |
Eine Überraschung ist auch, dass der populäre Theatermacher Carsten Werner | |
es nicht geschafft hat – 782 Stimmen waren deutlich zu wenig. Für Wilko | |
Zicht (1.871 Stimmen) hat es dagegen diesmal gereicht – mit ihm zieht einer | |
der „Väter“ des neuen Wahlrechts ins Parlament ein. Er ist bei „Mehr | |
Demokratie“ engagiert, aber vor allem in der Szene der Fußball-Fans: Dort, | |
sagt er, habe er Stimmen auf sich gezogen, die sonst wenig mit den Grünen | |
zu tun haben. | |
15 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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