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# taz.de -- Türkei in der Karikatur: Sauer macht lustig
> Dem autoritären System zum Trotz: Im Buch "Die Nase des Sultans"
> kommentieren die politischen Karikaturen die gesellschaftliche
> Entwicklung der Türkei.
Bild: Nachrichten schauen: Türkischer Alltag in einer Teestube.
Das Entsetzen ist dem Verstorbenen ins Gesicht geschrieben: Denn im
Paradies angekommen, wird er zwar von einem Engel empfangen, muss aber
feststellen, dass es sich bei den Jungfrauen, die der Engel mit sich führt,
um Eselstuten handelt, die ihn mit wässrigen Mäulern gierig-lüstern
erwarten. Nein, dieser Cartoon gehörte nicht zu den - inhaltlich wie
zeichnerisch eher dürftigen - Mohammed-Karikaturen, die im September 2006
in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten veröffentlicht wurden und ein
paar Monate später für eine weltweite Krise sorgten. Er erschien ein Jahr
zuvor. Der Zeichner heißt Erdil Yasaroglu, und gedruckt wurde der Cartoon
in der Türkei, genauer: in der Comic- und Satirezeitschrift Penguen.
Penguen ist kein marginales Fanzine. Woche für Woche verkauft die
Zeitschrift rund 50.000 Exemplare, ihre bekanntesten Zeichner sind in der
Türkei Popstars. Und es ist nicht die einzige Zeitschrift ihrer Art, neben
Penguen existieren mit LeMan und Uykusuz zwei weitere auflagenstarke Comic-
und Satirezeitschriften.
Wer mit türkischen Zeichnern über ihre Arbeit redet, wird eher früher als
später auf einen Namen stoßen: Oguz Aral. "Ohne ihn gäbe es die heutige
reiche türkische Comic- und Satirekultur nicht", sagt Metin Üstündag,
Mitherausgeber von Penguen und bekannt für seine Cartoon-Kolumne "Die
Sonntagsliebenden".
Arals Zeitschrift Girgir war nicht nur die Schule, die sämtliche der heute
noch tätigen älteren Zeichner (sowie viele der heutigen Comedystars)
durchlaufen haben, sie bildet auch die Blaupause für alle folgenden
Publikationen. Ihre besten Zeiten erlebte die 1972 gegründete Girgir in den
düstersten Tagen in der jüngeren Geschichte des Landes, unmittelbar nach
den Putschs der Jahre 1971 und 1980. Zwar durfte auch in diesen Zeiten
Satire nicht alles, aber doch mehr als Zeitungen und Zeitschriften. So
avancierte Girgir zeitweise zum bedeutendsten oppositionellen Blatt und
verkaufte mehr als eine halbe Million Exemplare pro Woche. Zum Vergleich:
Die beiden auflagenstärksten Blätter der Gegenwart, die
islamisch-konservative Tageszeitung Zaman und Posta, der Boulevardableger
der Hürriyet, verkaufen etwa 650.000 Exemplare.
Girgir ist zwar progressiv, aber einer linkskemalistischen Linie
verpflichtet. Ihr Humor und ihre Helden sind volkstümlich, der Spott selten
so, dass ihn eine Mehrheit der Gesellschaft als geschmacklos empfinden
würde.
Ab Mitte der Achtzigerjahre vollzieht sich mit der wirtschaftsliberalen
Politik unter Turgut Özal ein nachhaltiger gesellschaftlicher Wandel; die
Lebensstile vervielfältigen sich, die Popkultur beginnt ihren Siegeszug,
urbane Subkulturen entstehen.
Girgir hat große Mühe, dieser Entwicklung gerecht zu werden. Mitte der
Achtziger beginnt ein Auflösungsprozess. Während manche, etwa konservative
oder apolitische Girgir-Ableger sich nicht lange halten können, erweist
sich die von einigen jungen Girgir-Zeichnern gegründete Zeitschrift Limon
als überlebensfähig - freilich ohne je wieder an die Rekordauflage
heranzukommen.
In den Neunzigerjahren, die durch den Konflikt mit der PKK und dem
radikalen politischen Islam bestimmt sind und in denen Folter und
"Verschwindenlassen" von Oppositionellen an der Tagesordnung sind, wird
LeMan, wie das Blatt ab 1992 heißt, zum Organ und zum Ventil einer jungen
Generation, die zwar Unbehagen an den politischen und gesellschaftlichen
Verhältnissen, aber auch eine gewisse politische Resignation empfindet.
Die politische Kritik von LeMan ist härter, Vulgärsprache und die offene
Darstellung von Sexualität halten Einzug, die Themenpalette wird breiter,
die Strichführung vielfältiger, radikaler und avantgardistischer.
Um die Jahrtausendwende, in einer Zeit, als das Land die gesellschaftlichen
Spannungen allmählich zu überwinden scheint und einen Aufbruch in Richtung
EU unternimmt, gründet eine von den Aral-Schülern Metin Üstündag und
Bahadir Baruter angeführte Gruppe von jungen LeMan-Abtrünnigen die
Zeitschrift Penguen. "Einerseits war LeMan zu sehr zu Agitprop geworden,
andererseits kommerzialisierte sich die Zeitschrift immer mehr. Das fanden
wir unglaubwürdig", berichtet Metin Üstündag.
Penguens Humor ist absurder, fantastischer und schwärzer; ihre politische
Kritik weniger moralisierend, vielmehr zeigt sie oft die groteske Seite der
Macht. Und Gegenstand von Kritik und Spott sind nicht nur die Herrschenden
und die Reaktion, sondern auch das "einfache Volk" oder die gebildete
urbane Jugend, jenes Milieu, das den Kern der Leserschaft bildet. Im Jahr
2005 führt Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einen - letztlich
erfolglosen - Prozess um Schmerzengeld gegen Penguen, weil er sich
beleidigt fühlt.
Die Geschichte der politischen Karikatur endet nicht mit Penguen. Einer
fast schon gesetzmäßig verlaufenden Zellteilung folgend spaltet sich Mitte
2007 eine Gruppe jüngerer Zeichner von Penguen ab, um eine neue Zeitschrift
namens Uykusuz zu gründen. Die Zeitschrift hat sich binnen kürzester Zeit
etabliert. Und so wie viele Leser, die mit LeMan aufgewachsen waren, später
daneben auch Penguen kauften, greifen heute viele, die mit Penguen
aufgewachsen sind, zu Uykusuz und halten ihrem Blatt dennoch die Treue.
Noch ist es allerdings zu früh, um zu sagen, ob Uykusuz ein Ausdruck jener
gesellschaftlichen Entwicklungen ist, in der sich die Türkei seit zwei
Jahren befindet.
Den in Istanbul lebenden Journalistinnen Sabine Küper-Busch und Nigar Rona
gebührt das Verdienst, diese reiche Comic- und Satirelandschaft erstmals in
einer umfangreichen Form einem deutschen Publikum vorzustellen. Mit
erläuternden Texten. Und natürlich mit zahlreichen Bildern.
Sabine Küper-Busch/Nigar Rona (Hg.): "Die Nase des Sultans - Spitzen der
türkischen Karikatur". Dagyeli Verlag, Berlin 2008, deutsch/türkisch, 264
Seiten, 28 Euro.
13 Oct 2008
## AUTOREN
Deniz Yücel
## TAGS
Satire
Karikatur
Hürriyet
Mohammed
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