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# taz.de -- Repression gegen Besiktas-Fans: Erdogan nimmt Rache
> Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für die Wortführer der
> Besiktas-Ultravereinigung Çarsi. Das ist auch eine Form der Anerkennung.
Bild: Pro Fußball und Anti-Erdogan: Besiktas-Fans von der Gruppierung „Carsi…
Lebenslänglich. Mit einer solchen Anklage hat Cem Yakiskan nicht gerechnet.
„Wir dachten, sie würden uns vielleicht wegen Landfriedensbruch oder
Widerstand gegen die Staatsgewalt anzeigen. Aber damit haben wir nicht
gerechnet.“ Yakiskan ist 48 Jahre alt und einer der bekannten Wortführer
der Ultravereinigung Çarsi.
Am Tag nach der Räumung des Gezi-Parks waren er und einige anderes Fans des
Istanbuler Fußballklubs Besiktas zuhause festgenommen worden. Damals kamen
sie nach ein paar Tagen frei. Doch nun fordert die Staatsanwaltschaft gegen
35 Mitglieder von Çarsi hohe Hafstrafen. Für Yakiskan und zwei weitere
Wortführer lebenslänglich, inklusive der Feststellung der besonderen
Schwere der Schuld. Der Grund: Sie hätten die Regierung umstürzen wollen.
Also ein versuchter Putsch.
„Natürlich wollten wir, dass die Regierung zurücktritt“, sagt Yakiskan im
Gespräch mit der taz. „Und das war eine Reaktion auf das Verhalten des
Staates: Die Brutalität, mit der die Polizei gegen die jungen Leute im
Gezi-Park vorgegangen ist, hat uns und Millionen andere auf die Straße
getrieben. Aber wir sind Fußballfans, wie sollten wir putschen können?“
Die Klage gegen die Besiktas-Fans ist nicht die einzige befremdliche im
Zusammenhang mit Gezi. Der Türkischen Stiftung für Menschenrechte zufolge
wurden bis Ende August mindestens 105 Prozessen gegen 5.895 Personen
erhoben. Einige dieser Fälle haben für Aufmerksamkeit gesorgt: Das
Verfahren gegen 3.108 Leute in Kirklareli etwa, einer Kleinstadt im
europäischen Landesteil, wo sich in den Tagen von Gezi nichts derart
einzigartiges zutrug, wie man es bei einer solchen Massenklage vermuten
könnte.
## Aufpasser des Aufstands
Oder das „Gezi-Hauptverfahren“ gegen [1][die 60-jährige Mücella Yapici] v…
der Istanbuler Architektenkammer, den Generalsekretär der Ärztekammer und
24 weitere Mitglieder der Taksim-Solidarität, für welche die Anklage
Haftstrafen zwischen 7,5 und 29 Jahren fordert. [2][Oder das Verfahren
gegen die 20-jähige Studentin Ayse Deniz Karacagil], die die
Staatsanwaltschaft von Antalya mit einer gewagten Beweisführung – Gasmaske,
Taucherbrille, roter Schal – wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung für 98 Jahre ins Gefängnis geschickt hätte. Eine völlig
unrealistische Forderung. Während das Verfahren noch läuft, hat sich die
Angeklagte offenbar der kurdischen PKK angeschlossen.
Aber lebenslänglich, das fordert der türkische Staat nur für Fußballfans.
Man könnte sagen: Auch das ist eine Form von Anerkennung. Denn die Fans von
Besiktas spielten bei den Gezi-Protesten nicht nur in den militanten
Auseinandersetzungen mit der Polizei eine besondere Rolle. Sie schlichteten
Streitereien zwischen beteiligten politischen Gruppen, sie transportieren
den zuweilen derben, oft aber auch klugen Humor der Fankurve in die
Proteste und sind zweitweise so etwas wie die Aufpasser des Aufstands.
„Çarsi wurde zu einem Symbol der Proteste, vielleicht wollen sie uns
deshalb so schwer bestrafen“, sagt der 29-jährige Nuray. „Die Çarsi-Leute
wurden zu Volkshelden – etwas, was die politische Opposition nicht
hinbekommt. Ich glaube, vor uns hatten die wirklich Angst. Deshalb wollen
die uns einschüchtern.“ Durchaus mit Erfolg. So wie viele aus dem Umfeld
von Çarsi derweil vorsichtig sind, will auch Nuray nicht ihren Namen in der
Zeitung lesen. Und politische Parolen waren bei Spielen von Besiktas
zuletzt seltener zu hören als bei Spielen von Fenerbahçe, obwohl die
organisierte Anhängerschaft des Lokalrivalen politisch eigentlich viel
gespaltener ist.
Zumindest innerhalb der türkischen Opposition können die Besiktas-Fans mit
Solidarität rechnen. Nur mit einem rechnen sie nicht: Mit offizieller
Unterstützung aus Europa. Vor einem Champions-League-Qualifikationsspiel
gegen Arsenal London (0:0), ließ die Uefa Transparente von den Rängen
entfernen. Das eingekreiste A im Çarsi-Logo sei eine unzulässige politische
Botschaft. Recep Tayyip Erdogan sieht das nicht anders.
9 Sep 2014
## LINKS
[1] /Tuerkische-Aktivistin-ueber-die-Wahl-/!135919/
[2] /Gezi-Prozess-in-der-tuerkischen-Provinz/!139717/
## AUTOREN
Deniz Yücel
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Fußball
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Volkshelden avanciert.
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