# taz.de -- Kolumbien nach dem WM-Aus: Jubelfeiern ohne Rasierschaum | |
> Trotz Niederlage: James Rodriguez und seine Mitspieler werden in | |
> Kolumbien euphorisch gefeiert. Selbst die FARC-Guerilla posiert im | |
> Trikot. | |
Bild: Konfetti und Vuvuzelas: Public Viewing in Bogotá. | |
WIEN taz | Es war alles vorbereitet. Wie schon bei den vorangegangenen | |
Spielen herrschte in den großen Städten Kolumbiens seit Freitag Vormittag | |
strenges Alkoholverbot. Der Nachmittag wurde per Regierungsdekret frei | |
gegeben, damit niemand das historische Match heimlich am Smartphone | |
verfolgen musste. Auch der Gebrauch von Rasierschaum und Mehl im | |
öffentlichen Raum wurde verboten und Motorrad- und Mopedfahrer durften | |
niemanden auf dem Soziussitz befördern. Der Grund ist die seltsame | |
Gewohnheit mancher Fans, im Siegestaumel unbeteiligte Passanten oder andere | |
Fans mit Schaum einzusprühen und mit Mehl zuzunebeln. | |
Diese Ablenkung wurde nicht nur von Taschendieben genutzt, sondern | |
provozierte auch manche gewaltsame Reaktion, wie sie in der Nacht nach dem | |
Auftaktsieg gegen Griechenland vor zwei Wochen zu neun Todesopfern geführt | |
hatte. | |
Die Party-Zonen in Bogotá, die ausnahmsweise bis fünf Uhr morgens | |
freigegeben waren, blieben nach der Schlappe gegen Brasilien verlassen. Von | |
Gewaltexzessen aus Wut über den Abschied von der WM oder aus Groll gegen | |
den Schiedsrichter ist bislang nichts bekannt. Der spanische Referee, der | |
nach übereinstimmender Sicht der kolumbianischen Sportkommentatoren von | |
Anfang an gegen die Cafeteros gepfiffen hatte, wurde vom verletzen | |
Stürmerstar Radamel Falcao per Tweet geschmäht. | |
Trotz der für viele unerwarteten Niederlage kehren die Kicker von Teamchef | |
José Néstor Pékerman wie Helden nach einer siegreichen Schlacht nach Hause. | |
„Danke, Burschen! Eine Wahnsinnsweltmeisterschaft!" titelt das | |
Wochenmagazin Semana in seiner online-Ausgabe. „Im Stadion weinte man voll | |
Stolz", berichtet El Tiempo, Kolumbiens größte Tageszeitung. Und das | |
tränenüberströmte Gesicht des jugendlichen Spielmachers James Rodríguez, | |
der von brasilianischen Spielern getröstet wird, ist für die meisten | |
Blätter das Bild des Tages. | |
## Endlich mehr als ein Drogenland | |
Die unerwarteten Erfolge der Mannschaft scheinen der kolumbianischen Nation | |
einen Schub an Stolz und Selbstbewusstsein gegeben zu haben, der über den | |
Moment hinaus Wirksamkeit entfalten könnte. „Endlich werde ich nicht mehr | |
auf Drogen und Gewalt angesprochen, wenn ich sage ich komme aus Kolumbien", | |
wird ein Fan in der Presse zitiert: „jetzt höre ich immer, wie toll unsere | |
Mannschaft spielt". Für den Sportreporter Hernán Peláez von Radio Caracol | |
haben die unerwarteten Erfolge der Mannschaft „den eingeschlafenen | |
Patriotismus wiedererweckt". Er beobachtet „eine Euphorie, ein | |
Nationalbewusstsein und den Glauben an unsere Spieler". | |
Diese Stimmung ging auch an den Standesämtern und Kirchen nicht vorüber: | |
Die Zahl der während der letzten zwei Wochen geborenen Kinder, die auf den | |
Namen James (sprich: Chames) oder Jackson getauft wurden, ist Legion. | |
Torschützenkönig James Rodríguez und Stürmer Jackson Martínez sind heute | |
schon unsterblich. Eine Mutter, die kurz vor dem Viertelfinale niederkam, | |
ließ ihren Sprößling sicherheitshalber als James Neymar eintragen. Selbst | |
der aus Argentinien stammende Teamchef Pékerman wird in manchem José | |
Néstor, Jahrgang 2014, weiterleben. | |
Dass die Comandantes der FARC-Guerilla, die in Havanna ein Friedensabkommen | |
mit der Regierung verhandeln, sich in den gelb-weißen Team-Dressen | |
ablichten ließen, mag ein Kuriosum sein, das zeigt, wie der Sport auch den | |
tiefsten ideologischen Graben überbrücken kann. Doch während der WM ist | |
auch die Zustimmung der Bevölkerung zum Friedensdialog angestiegen. Und | |
selbst nüchterne Politologen rechnen damit, dass jetzt ein beschleunigter | |
Abschluss des Dialogs möglich ist. | |
5 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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