# taz.de -- Zombiefilm "Survival of the dead": Duell unter dem Mond | |
> Die Untoten sind die besseren Menschen: Seit 1968 erzählt der Regisseur | |
> George A. Romero Grundsätzliches über die Gegenwart in seinen | |
> Zombiefilmen. "Survival of the Dead" ist sein sechster Streich. | |
Bild: Gestorben wird immer: So an die 53 Millionen Menschen pro Jahr - ohne Zom… | |
Ein Bild des Mondes, dann geht es um Grundsätzliches: Das letzte Mal, als | |
jemand gezählt habe, erklärt ein Soldat in Großaufnahme, seien 53 Millionen | |
Menschen pro Jahr gestorben. Also 150.000 pro Tag. 107 pro Minute. Und das, | |
stellt der Soldat trocken fest, "war die normale Zeit". | |
Seit deren Ende kehren die Toten wieder, als Zombies, und sorgen für ein | |
exponentielles Wachstum der Sterblichkeit. Abgesehen von den "normalen" | |
Faktoren: "Selbstmorde, Morde, Chaos - und wir". Wir, das sind die | |
Soldaten, die gelernt haben, keine Angst vor den Zombies zu haben, denn sie | |
sind leicht genug umzubringen. "Außer sie waren - deine Kameraden." | |
Dann geht es ans Eingemachte: Ein Kameraden-Zombie erwacht und das Zögern | |
über sein Erschießen führt zur ersten Eskalation des Todes. Anderswo, auf | |
einer abgelegenen Insel vor der amerikanischen Küste, führt das moralische | |
Dilemma zu ähnlichen Auseinandersetzungen: Das Töten von zu Zombies | |
gewordenen Familienmitgliedern, von Frauen, von Kindern stellt die Figuren | |
auf eine harte Probe. | |
"Survival of the Dead", der entzückend paradox betitelte sechste Film im | |
epochalen Zombie-Zyklus von Genrepionier George A. Romero, ist selbst eine | |
filmische Grundsatzerklärung. 1968 hat der Regisseur aus Pittsburgh mit dem | |
Mitternachtskultfilm "Night of the Living Dead" die Ästhetik des modernen | |
Horrors entscheidend geprägt. Dieser spottbilligen und schockierend | |
direkten Autokino-Allegorie aus den Jahren des Vietnamkriegs und der | |
Bürgerrechtsbewegung ließ Romero 1978 mit dem epischen Satire-Schocker | |
"Dawn of the Dead" ein kinematografisches Schlüsselwerk über den | |
Kapitalismus im 20. Jahrhundert folgen: Gemetzel und Kaufrausch en gros mit | |
den Untoten in der Shopping Mall, "all lost in the supermarket". | |
Inmitten der Reagan-Ära schickte er 1985 im klaustrophobischen dritten Teil | |
"Day of the Dead" die Menschheit (und alle Menschlichkeit) in den | |
Untergrund: ein merkwürdig intimes und verzweifelt humanistisches Stück | |
Splatter-Philosophie. Dann folgten zwanzig Jahre Pause. Nach bitteren | |
Erfahrungen im Dienste von Hollywood zog sich Romero für fast eine Dekade | |
zurück, ironischerweise ermöglichte ihm dann Universal Pictures ein großes | |
Comeback: In der rabiaten Politsatire "Land of the Dead" entwarf er 2005 | |
ein Action-Zeitbild zwischen Irak-Invasion und immer weiter aufklaffender | |
Schere zwischen Arm und Reich. Der Film war auch eine stolze, | |
altmodisch-proletarische Antithese zu den beschleunigten, aber entwurzelten | |
Zombie-Erfolgen kurz zuvor, die Romeros Rückkehr zweifellos befördert | |
hatten: "28 Days Later" vom britischen Spaßlaberl Danny Boyle und das | |
grausam apolitische Remake von "Dawn of the Dead" durch Zack Synder, der | |
sich anschließend in "300" vollends einem Playstation-Faschismus | |
verschrieb. | |
Romero hingegen wandte sich wieder von nivellierenden Studioauflagen ab, | |
ging nach Kanada und setzte mit "Diary of the Dead" 2007 als | |
Digitalvideo-Independent zum Neustart an: Die Handlung des fünften Films im | |
Zyklus war parallel zur originalen Nacht der lebenden Toten angesiedelt, | |
dabei machte sich Romero über aktuelle Trends lustig - die aktuellen | |
schnellen Kino-Zombies ebenso wie eine alles aufzeichnende, aber nur wenig | |
begreifende Internet-Kultur. Durch den Medienkritik-Relativismus dominierte | |
erstmals bei Romero die Ironie, mit manchmal deprimierenden Resultaten - | |
knapp vor Schluss gibt es ein buchstäbliches Gegenbild zum Finale von "Day | |
of the Dead". Zugleich zeigte "Diary of the Dead" aber eine ungebrochene | |
Lust am anarchischen Protest und eine nachgerade kindliche Freude am | |
Vorführen von gewitzten Methoden, Zombies den Garaus zu machen. Als hätte | |
Romero in der langen Pause seine Ideen zum Thema inventarisiert. | |
Zusammengewürfelte Notgemeinschaften | |
Den Spaß lässt er sich auch in seiner zweiten Digital-Intervention | |
"Survival of the Dead" nicht nehmen: Es gibt Zombietod durch Feuerlöscher, | |
als Zigarettenanzünder und dergleichen Absurditäten mehr. Aber trotz | |
solcher Einlagen ist Romeros sechster Zombie-Streich von bestechender | |
moralischer Ernsthaftigkeit, eine Erinnerung an ein Genrekino, das seinem | |
Publikum etwas über die Gesellschaft zu erzählen hatte und nicht über die | |
entfremdeten Fantasien von Marketingstrategen. Es geht um Gruppendynamik | |
und um die Auseinandersetzungen, wie man in dieser Welt (über-)lebt - in | |
Clans, Einheiten, zusammengewürfelten Notgemeinschaften. | |
Wie einst bei Raoul Walsh oder Howard Hawks: Romeros Genre-Mixtur erinnert | |
auch an die Vielfältigkeit der großen alten Hollywood-Handwerker. | |
Zombie-Horror trifft Kriegsfilm trifft Western. Und wie in William Wylers | |
allegorischem, klassenkämpferischen Epos "The Big Country" herrscht auf der | |
abgelegenen Insel, wo der Großteil des Films spielt, ein Streit zwischen | |
zwei verfehdeten Sippen: Der Anführer der einen predigt den | |
Vernichtungskrieg gegen die Zombies, der Kapo der anderen sucht die | |
Koexistenz, will sie eventuell kapitalistisch nutzbar machen, wenn man | |
ihnen erst den Appetit auf Menschenfleisch abgewöhnt hat. Die Soldaten | |
kommen prompt zwischen die Fronten: Die letzten Menschen sind eher bereit, | |
sich gegenseitig umzubringen, als dem anderen Recht zu geben. | |
Romero spitzt die Konfrontationen immer wieder zu auf die ethischen | |
Probleme. Der Titel "Survival of the Dead" bekommt da noch eine zusätzliche | |
sarkastische Dimension: Die Untoten sind dem Augenschein nach die besseren | |
Menschen. | |
Es sagt viel über die Welt und ihre Filme, dass anderthalb Stunden | |
souveränes populäres Unterhaltungskino heute so unmodisch wirken können: | |
Von einem Großteil der Genre-Fans und der Rezensenten ist "Survival of the | |
Dead" seit seiner Premiere in Venedig vor allem als zu wenig originell | |
kritisiert worden. Dabei ist genau das der Punkt: Es geht bei Romero nie um | |
pseudoerfinderischen Schnickschnack, sondern um das Spiegelbild der | |
"normalen Zeit". Abgesehen vom Detail, dass laut UN-Bericht 2009 | |
mittlerweile 57 Millionen Menschen pro Jahr sterben, ist sie unschwer | |
wiederzuerkennen: Es geht eben um Grundsätzliches über die Menschheit in | |
der Gegenwart. | |
Und dann sieht man im gewaltigen Schlussbild wieder den Mond und davor die | |
zu Zombies gewordenen Clan-Chefs beim Austragen ihres ewigen, sinnlosen | |
Duells. Wenn sie keiner aufhält, werden sie so weitermachen, bis die Erde | |
von ihrem Trabanten nicht mehr zu unterscheiden ist: a nackerte Kugel. In | |
seiner Reinheit hat "Survival of the Dead" im Gegenwartskino nur einen | |
würdigen Partnerfilm: den Totenklagen-Monolog "Corneille - Brecht" von | |
Jean-Marie Straub und Cornelia Geiser. | |
"Survival of the Dead". Regie: George A. Romero. Mit Kenneth Welsh, | |
Kathleen Munroe u. a. USA 2009, 86 Min. | |
6 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Christoph Huber | |
## TAGS | |
Spielfilm | |
Horrorfilm | |
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