| # taz.de -- Wider die Vergänglichkeit: Zwischen Kunstgeschichte und Sperrmüll | |
| > Weil den Museen das Geld fehlt, kümmert sich das „Forum für Nachlässe“… | |
| > die Werke verstorbener Künstler aus Hamburg und Umgebung. | |
| Bild: Um diesen Nachlass braucht sich keiner zu Sorgen: Zeichnungen von Jörg I… | |
| HAMBURG taz | Zum Glück war der Vermieter nicht gleichgültig. Zum Glück | |
| rief er das „Forum für Nachlässe“ an. Gora Jain und ihr Team kamen, räum… | |
| die Wohnung der verstorbenen Margrit Kahl auf und nahmen mit, was sie an | |
| Bildern, Zeichnungen, Skizzen und Notizen vorfanden: Ein künstlerischer | |
| Nachlass wurde so im vergangenen Jahr in ziemlich letzter Minute gerettet. | |
| Er wäre sonst unweigerlich auf dem Sperrmüll gelandet. | |
| Die Hamburger verdanken Margrit Kahl die Gestaltung des Bornplatzes im | |
| Grindelviertel, wo sie im November 1988 den Grundriss der einstigen | |
| Synagoge dort in Form eines Mosaiks auf dem Boden nachlegte, 50 Jahre | |
| nachdem die Hamburger das Gotteshaus in Schutt und Asche gelegt hatten. | |
| Nun liegt Kahls Nachlass in den Räumen des Forums für Nachlässe, das ab dem | |
| 1. September mit einer Ausstellung und einem Symposium sein zehnjähriges | |
| Bestehen feiert. Der Verein erhält und pflegt Werke von KünstlerInnen aus | |
| Hamburg und Umgebung. | |
| Kahls Nachlass wurde aufgearbeitet, größtenteils digitalisiert und wird bei | |
| Gelegenheit wieder gezeigt werden. Sehr vorsichtig nimmt Gora Jain ein Foto | |
| aus einem Karton, noch ein Handabzug, also echtes, fixiertes Fotopapier, | |
| Format 10 mal 15 Zentimeter. | |
| Es zeigt Margrit Kahl, Schülerin von Franz Erhard Walther und damit sowohl | |
| Bildhauerin als auch Aktionskünstlerin, wie sie vor einer weißen Wand steht | |
| und einem Kreis einen zweiten Kreis hinzufügt: möglicherweise ein Dokument | |
| zu ihrer Arbeit „Zirkularbewegung mit beiden Händen gleichzeitig – | |
| linksherum“ von 1978. | |
| 30 Nachlässe betreut das Forum mittlerweile. Darunter ist der Nachlass des | |
| 1883 geborenen Matisse-Schülers und Mitbegründers der Hamburger Sezession | |
| Friedrich Ahlers-Hestermann ebenso wie der des Documenta-Teilnehmers und | |
| Villa Massimo Stipendiaten Klaus Kröger. Das Werk des Theatermalers Gerhard | |
| Dancker wird hier bewahrt, auch das von Karl-Heinz Westphal, der allein | |
| 1.000 Zeichnungen hinterlassen hat. | |
| Westphal wurde 1969 nach einem Fluchtversuch aus der damaligen DDR | |
| verhaftet, schwer misshandelt, dann vom Westen freigekauft. Hier nahm er | |
| seinen künstlerischen Werdegang auf, der leider nicht allzu lange dauerte: | |
| Er nahm sich 1978 das Leben. | |
| Zu den zu betreuenden Nachlässen gehört aber auch der von Wlodek Bzowka, | |
| der aus Screenshots von 3D-Computerspielen neue malerische Formen | |
| entwickelte und der als DAAD-Stipendiat in Tokio im Jahr 2007 bei einem | |
| Verkehrsunfall mit gerade mal 28 Jahren ums Leben kam. | |
| Es könnten weit mehr Nachlässe sein, weit mehr künstlerische Lebensläufe, | |
| weit mehr Einblicke auch in die Hamburger und norddeutsche Kunstgeschichte, | |
| die man verfolgen könnte: 150 Anfragen zählte man seit Bestehen des Forums. | |
| Längst betreut das Forum auch sogenannte Vorlässe: Künstler schauen schon | |
| mal in die Zukunft und sortieren selbst aus, was sie für erhaltenswert | |
| betrachten. Dieser Trend wird zunehmen. | |
| “Nachlässe sind das Problem des zwanzigsten Jahrhunderts, das wir im | |
| einundzwanzigsten Jahrhundert lösen müssen“, sagt Gora Jain. Nie wurde | |
| schließlich so viel Kunst produziert, die nach dem Ableben ihrer | |
| SchöpferInnen eben zurück bleibt. | |
| Zugleich haben die klassischen Kunstinstitutionen wie Museen, Kunsthallen | |
| oder Kunstvereine immer weniger Mittel zur Verfügung, um selbst zu sammeln | |
| oder um auch nur von ihnen geschätzte Künstler oder Kunstrichtungen fortan | |
| zu bewahren, so wie es ihr Auftrag ist. Und so geht die Schere zwischen | |
| dem, was von Jahr zu Jahr wächst und dem, was bleibt, immer weiter | |
| auseinander. | |
| Muss alles bewahrt werden? Natürlich nicht. Gora Jain sagt: „Auch wenn bei | |
| vielen Werken oft erst die Kunstgeschichte entscheidet, ob und wie | |
| bedeutsam sie am Ende sind, ist ein Nachlass keinesfalls wie ein guter | |
| Wein, der nur lange genug lagern muss, um an Wert zu gewinnen.“ Auch wenn | |
| es schwer falle, müsse man bei einem Nachlass sehr pragmatisch prüfen, was | |
| bewahrt werden solle. „Aber auch, was verkauft, verschenkt oder auch | |
| vernichtet wird.“ | |
| Ja, auch das Wort „vernichtet“ müsse ausgesprochen werden. „Das ist die | |
| dunkle Seite unserer Arbeit, wobei die ganz dunkle Seite die wäre, dass ein | |
| Werk komplett verschwindet.“ | |
| Was bewahrt wird, das besprechen sie in ihren regelmäßigen Sitzungen: „Es | |
| geht nicht um den Blankeneser Hobbymaler, ohne diesem jetzt zu nahe zu | |
| treten. Es geht um eigenständige, professionelle künstlerische Positionen, | |
| über die wir dann sprechen wie in einer Jury.“ Es gibt also auch nach dem | |
| Tod noch eine Jury? Gora Jain lacht kurz, nickt. | |
| Untergekommen ist man bisher im hinteren Trakt des Künstlerhauses Sootbörn | |
| in Hamburg-Niendorf, das sinnigerweise zugleich in der Einflugsschneise des | |
| Fuhlsbüttler Flughafens wie am Rande des neuen Niendorfer Friedhofes liegt, | |
| so dass sich hier das Motiv des aus der Ferne Ankommens und das des die | |
| ewige Ruhe Findens symbolisch passend ergänzen. | |
| Zweieinhalb Räume hat man, die aus allen Nähten platzen. Mit der | |
| Ausstellung und dem Symposium will das Forum sein Anliegen einer breiteren | |
| Öffentlichkeit bekannt machen, aber auch den Hamburger Kulturpolitikern | |
| näher bringen, dass die Betreuung von Nachlässen eben Geld kostet und dass | |
| es nicht sein kann, dass das künstlerische Erbe einer Großstadt und ihrer | |
| Region den Händen ehrenamtlich Tätiger überlassen bleibt. | |
| Jetzt mit Zahlen zu jonglieren, jetzt lautstark finanzielle Forderungen | |
| aufzustellen, ist nicht Gora Jains Stil. Aber es gäbe da eine Art Vorgabe, | |
| an die man sich einfach mal gedanklich halten könnte: die geplante | |
| Unterbringung des Nachlasses des Hamburger Malers Eduard Bargheer im | |
| Hamburger Jenischpark in bester Elblage. | |
| Die dafür vorgesehen Ausgaben: 1,5 Millionen Euro für die Sanierung des | |
| ehemaligen Gartenbauamtes, in dem Bargheers Bilder unterkommen sollen. Und | |
| anschließend 250.000 Euro Etat für die dann kommenden fünf Jahre an | |
| Betriebs und Ausstellungskosten. | |
| „Für diese Summe könnten wir sehr gut ein Haus bestellen, in dem wir unsere | |
| Nachlässe bewahren und weitere aufnehmen, die wir dann der Öffentlichkeit | |
| zeigen plus drei Ateliers für Künstler, in denen gearbeitet wird – das | |
| vielleicht in der Speicherstadt, somit angebunden an die Hamburger | |
| Kunstmeile.“ | |
| Gora Jain kommt noch mal kurz auf Karl-Heinz Westphal zurück. Sie kannte | |
| sein Werk nicht, für sie ist es eine echte Entdeckung: „Seine Sachen | |
| lagerten 20, 30 Jahre bei einem Freund, der sogar eine Homepage erstellte, | |
| um das Werk bekannt zu machen. Bis er merkte, das man als Privatmensch eben | |
| nicht viel ausrichten kann.“ | |
| ## Jubiläumsausstellung „Entdeckt und bewahrt! Ein Querschnitt durch die | |
| Sammlung“: 1. 9. bis 29. 9., Hamburger Staatsarchiv, Kattunbleiche 19 | |
| ## Symposium „Kulturgut in Gefahr!“: 14. 9., Hamburger Staatsarchiv, 10 | |
| Uhr. Anmeldung unter | |
| 26 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
| ## TAGS | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Museum | |
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