# taz.de -- Wahlalter: Mit 16 will man noch wählen | |
> Eine Initiative von Jugendverbänden strebt die Senkung des Wahlalters an. | |
> Derzeit wird ein Gesetzantrag im Parlament diskutiert. | |
Bild: Parteien streiten um eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. | |
Wolfgang Gründinger ist so etwas wie ein Überflieger. Mit 17 Jahren wollte | |
er für den Stadtrat in seiner bayrischen Heimatstadt Tirschenreuth. Doch | |
daraus wurde nichts - weil er noch nicht volljährig war. Inzwischen ist | |
Gründinger 26 Jahre alt, studiert Sozialwissenschaften an der | |
Humboldt-Universität (HU) und hat ein Buch mit dem Titel "Der Aufstand der | |
Jungen" geschrieben. Darin fordert er: "Eine Senkung des Wahlalters ist | |
überfällig." Nicht nur, weil Deutschland dringend einen Ausgleich für die | |
starke Alterung der Bevölkerung bräuchte, sondern auch, weil dann Themen | |
wie Bildung, Umwelt und Netzpolitik endlich ernsthaft auf die politische | |
Agenda rücken würden. | |
Gründinger engagiert sich im Berliner Netzwerk "Wahlalter 16". Das aus 13 | |
Jugendverbänden bestehende Bündnis kämpft dafür, dass bereits bei der | |
kommenden Abgeordnetenhauswahl Mitte September auch 16- und 17-Jährige ihre | |
Stimme abgeben können. Mehrere Jugendorganisationen der Parteien - darunter | |
die Grüne Jugend sowie Solid der Linkspartei - unterstützen die Forderungen | |
und versuchen, für das Anliegen in ihren Parteien zu werben. Das Ziel ist | |
indes nicht leicht zu erreichen: Damit aus dem Wunsch Wirklichkeit wird, | |
muss die Berliner Landesverfassung geändert werden. Dafür braucht die | |
Initiative eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus. | |
"Die Grünen, die den Gesetzesantrag gestellt haben, und die Linke haben wir | |
schon auf unserer Seite", berichtet Tillmann Weickmann vom | |
Landesjugendring, der auch Mitglied des Bündnisses ist. Für die Mehrheit | |
nötig wäre die SPD plus eine zusätzliche Stimme. Derzeit wird der Antrag in | |
den Ausschüssen beraten. | |
Doch die Sozialdemokraten tun sich schwer mit der Jugend. Auf einem | |
Landesparteitag im Juni 2010 wurde zwar ein Antrag der Jusos und mehrerer | |
SPD-Ortsgruppen zur Senkung des Wahlalters angenommen. "Die | |
sozialdemokratischen Mitglieder des Abgeordnetenhauses zu Berlin werden | |
dazu aufgefordert, eine Gesetzesinitaitve zu starten, (…) dass Menschen ab | |
dem vollendeten 16. Lebensjahr ab dem Jahr 2011 bei Abgeordnetenhauswahlen | |
sowie Volksbegehren und Volksentscheiden ihr Wahlrecht ausüben können!", | |
heißt es in dem Antrag. Der Landeschef der Jusos, Christian Berg, begründet | |
das so: "Jugendliche sollen endlich wählen dürfen, um ihre Interessen | |
wahrnehmen zu können." | |
Doch die SPD-Fraktion ist in der Frage gespalten und hat einen Beschluss | |
gefasst, dass sie das Thema Wahlalter in dieser Legislaturperiode nicht | |
mehr behandelt. "Das ist keine Art, mit den Wählern umzugehen, wenn man | |
sechs Monate vor der Wahl das Wahlrecht ändert", sagt der stellvertretende | |
Vorsitzende der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu. Er ist ohnehin ein Gegner | |
der Initiative. Für ihn ist nicht entscheidend, ob die Jugendlichen reif | |
genug fürs Wählen sind. Es geht ihm um das Prinzip des Staatsbürgers: | |
"Jemand, der wählt, muss auch anderweitig Verantwortung übernehmen", sagt | |
Felgentreu. "Wenn man das Wahlalter herabsetzt, dann muss man auch die | |
volle Vertragsfähigkeit und das Alter für Eheschließungen herabsenken." | |
Die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sandra Scheeres, hält | |
diese Argumentation für falsch. "Die Jugendlichen sind reif genug zum | |
Wählen. Und in der Landespolitik werden Themen beschlossen, die | |
Auswirkungen auf die Jugendlichen haben." Zudem sei die Entscheidung der | |
Fraktion, das Thema Wählen mit 16 für diese Legislaturperiode ruhen zu | |
lassen, denkbar knapp gewesen. Sie könne sich deswegen vorstellen, dass die | |
Forderung Teil des SPD-Wahlprogrammes werden könnte. | |
Wahlen ab 16 würde den Sozialdemokraten wahrscheinlich sogar nutzen. Bei | |
einer symbolischen Stimmabgabe der Initiative "U18" zu den vergangenen | |
Abgeordnetenhauswahlen im Jahr 2006 stimmt mit fast 37 Prozent die meisten | |
Minderjährigen für die SPD. Zweitstärkste Partei waren die Grünen mit 15,4 | |
Prozent. An dem Test nahmen 13.790 Kinder und Jugendliche teil. | |
Die Herabsenkung des Wahlalters würde der Soziologe Klaus Hurrelmann auf | |
jeden Fall begrüßen. Seinen Forschungen zufolge werden Jugendliche | |
heutzutage schneller erwachsen als früher. "Um das Jahr 1900 kamen die | |
Jugendlichen mit 15 Jahren in die Pubertät, heute sind sie es schon mit | |
12", erklärt er. Der Grund sei der beschleunigte Lebenszyklus. Die Folgen | |
der früheren Pubertät wirkten sich nicht nur auf den Körper der | |
Jugendlichen aus. "Sie sind auch sozial und intellektuell früher reif." | |
Hurrelmann kann sich vorstellen, dass die Herabsenkung des Wahlalters ein | |
Ansporn für die etablierten Parteien sein kann, sich mehr um die jüngere | |
Klientel zu kümmern. | |
Die 17-Jährige Christin Küpper ist sich sicher, dass das Interesse an der | |
Politik unter Jugendlichen zwischen 16 und 18 zunehmen wird, wenn sie | |
wählen können. "Viele meiner Mitschüler wissen gar nicht, dass man schon | |
als Minderjähriger Mitglied einer Partei sein kann", erzählt Christin, die | |
bei den Jusos aktiv ist. Wenn sie ihren Bekannten von ihrem Engagement | |
erzählt, wachse bei denen auch gleich das Interesse an Politik. | |
2 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Simon Poelchau | |
## TAGS | |
Wahlrecht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte über Wahlalter in Berlin: Kinder an die Macht! | |
Ab wann sollen Menschen wählen dürfen? In Berlin fordert das Jugendtheater | |
Atze ein generelles Wahlrecht von Geburt an. Macht das Sinn? | |
Grün-Rot will Wahlalter doch nicht senken: 5 vor 12 noch rausgestrichen | |
Grüne und SPD wollten im Koalitionsvertrag eigentlich die Senkung des | |
Mindestalters für Kommunal- und Landtagswahlen auf 16 Jahre vereinbaren – | |
doch in letzter Minute wurde das revidiert. |